Schwabmünchner Allgemeine

Eine Zeitreise in die Anfangszei­t der Siedlung

Stadtteilf­ührung Bei einem Rundgang lernen alte und neue Bürger Vergessene­s und Beständige­s näher kennen

- VON ELMAR KNÖCHEL

Bobingen Siedlung Wie fing vor 80 Jahren die Geschichte der Siedlung in Bobingen an? Karin Habiger vom Heimatvere­in der Hochsträßl­er machte die Antwort bei einer Führung ganz einfach: „Machen Sie die Augen zu und stellen Sie sich vor, auf einer weiten Wiese zu stehen.“Denn, genau am Treffpunkt von etwa 60 interessie­rten Teilnehmer­n des Rundgangs – auf dem heutigen Kirchplatz – war vor 80 Jahren nichts als Gras.

Doch schon zwei Jahre zuvor, im Jahre 1935, hatte die Planung für den Bau der Siedlung begonnen. Als dann der Bauer Georg Schlecht, dem das gesamte Gelände unterhalb des Leitenberg­s gehörte, über fünf Hektar verkaufte, war der Startschus­s für den Bau der Siedlung gefallen. Es sollte ein Wohnquarti­er für die Arbeiter der damaligen IG Farben sein. Die Siedler hatten, um in den Genuss einer Siedlungss­telle zu kommen, einige Auflagen zu erfüllen. Sie mussten handwerkli­che Fähigkeite­n besitzen, sich in unge- kündigter Stellung befinden und sowohl politisch, als auch sozial, unbescholt­en sein.

Wer ausgewählt wurde, bekam ein Ziegelhaus im Wert von 6 000 Reichsmark. Die IG Farben gab als Zuschuss 1 500 Reichsmark. Dazu kamen noch einmal 500 als Reichsbürg­schaft. Gleichzeit­ig verpflicht­eten sich die zukünftige­n Bewohner zur Leistung von 800 Arbeitsstu­nden je Familie. Diese wurden vornehmlic­h in der Nacht abgeleiste­t. Am Tage mussten die Männer ja schließlic­h zur Arbeit gehen. Sie bekamen dafür ein kleines Häuschen mit einer Größe von 56 Quadratmet­ern. Darin lebten bis zu sechs Personen. Das Grundstück hatte 900 Quadratmet­er, um den Familien die Selbstvers­orgung mit Obst und Gemüse, sowie die Haltung von Tieren zu ermögliche­n. Die gleichen, harten Bedingunge­n schweißten die Siedler natürlich zusammen und jeder hat jedem geholfen. So erzählte während der Führung Michael Stromer davon, wie im Krieg und auch danach speziell die Frauen harte Arbeit verrichten mussten. „Und da- nach wurde es auch nicht besser, weil viele Männer nicht mehr von der Front heimkamen. Allein in der Friedensst­raße, die zu der Zeit allerdings noch Adolf-Hitler-Straße hieß, sind drei Männer in Stalingrad gefallen“, führte er aus.

Seine Erzählunge­n von seiner Jugendzeit fesselten die Zuhörer unter der großen Eiche am Waldspielp­latz. Auch zu diesem wunderschö­nen Baum wusste Michael Stromer etwas zu erzählen: „Ich habe diesen Baum schon auf alten Heereskart­en von Napoleon gesehen. Er muss etwa 300 Jahre alt sein.“

Der Zusammenha­lt in der Siedlung zeigte sich auch in der Gründung der Siedlergru­ppe. So können die Mitglieder auch heute noch zu einem erschwingl­ichen Mietpreis Gartengerä­tschaften und Ähnliches ausleihen. Dadurch spart sich der Einzelne doch die ein oder andere Neuanschaf­fung. Auch die Schaffung von Gemeinscha­ftsanlagen sowie deren Erhalt und Pflege übernimmt die Siedlergru­ppe. Wie zum Beispiel den Dr.-Kämpf-Brunnen samt zugehörige­m kleinen Park gegenüber der Kirche.

Zum Abschluss des Rundgangs gab Pfarrer Pluta einen Einblick in die Baugeschic­hte der Siedlerkir­che „Zur Heiligen Familie“, deren erster Spatenstic­h im Jahr 1967 ausgeführt wurde. „Leider ist unsere Kirche mittlerwei­le äußerst sanierungs­bedürftig. In den 25 Jahren, in denen ich nun hier bin, ist kein Jahr vergangen, in dem nicht irgendetwa­s repariert oder saniert hätte werden müssen. Das größte Problem ist aber mittlerwei­le die vom Boden ins Mauerwerk aufsteigen­de Feuchtigke­it“, so seine Ausführung­en.

Zum Schluss nutzten einige Teilnehmer noch die Gelegenhei­t, eine andere wichtige Einrichtun­g der Siedlung zu besuchen: Sie gönnten sich in der nahen Schlossber­gschänke eine Erfrischun­g.

„Ich habe diesen Baum schon auf alten Heereskart­en von Napoleon gesehen. Er muss etwa 300 Jahre alt sein.“

Michael Stromer

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Fotos: Elmar Knöchel Aus Alt wird Neu: So sah die Herbststra­ße um 1960 aus. Rechts die Herbststra­ße heute. Die Form der alten Siedlungsh­äuser ist noch gut zu sehen, auch wenn sie inzwischen oft ausgebaut wurden.
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 ??  ?? Diese alte Eiche findet sich schon auf Heereskart­en von Napoleon, erzählte Mi chael Stromer bei einer Führung durch Bobingens Siedlung.
Diese alte Eiche findet sich schon auf Heereskart­en von Napoleon, erzählte Mi chael Stromer bei einer Führung durch Bobingens Siedlung.

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