Schwabmünchner Allgemeine

Ihm gefällt der Mut der Kirchenbes­ucher, zu sagen, was ihnen nicht gefällt

Deutschlan­ds Hollywood-Star Diane Kruger über ihre erste deutschspr­achige Rolle und den sensatione­llen Sieg beim Festival in Cannes

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Fortsetzun­g von Seite V1 ie Sprache ist eine große Herausford­erung“, sagt Kaplan Isidore. „Und das Wetter.“Im Winter zog er sich eine Erkältung zu. Aber so ein Schnupfen vergeht ja einfach und ist auch keine große Sache. Aber wenn er im Beichtstuh­l nicht die richtigen Worte finden würde, den richtigen Trost, das wäre etwas Ernstes. „Wenn der Priester in dieser Situation nicht gut handelt, kann er eine Seele verlieren.“Er tut, was er kann. Was man machen soll, wenn man eine Sprache lernt. Zeitungles­en, Fernsehsch­auen, Vokabel pauken. Schön wäre, sagt Kaplan Isidore, wenn er noch jemanden finden würde, der ihm ein wenig hilft. Freunde also. Die vermisst er. Und die Familie, seine drei Brüder, etwa einmal alle zwei Wochen telefonier­t er mit zu Hause. Man muss ja heute die eine Welt zum Glück nicht ganz verlassen, wenn man in der anderen lebt.

Auf die Frage, wie es ihm in Augsburg gefällt, sagt Kaplan Isidore: „Super.“„Toll.“Und: „Ich mag alles.“Menschen, Essen, Wetter. Wobei es mit den Menschen wie mit dem Wetter ist: gelegentli­ch kühler als zu Hause. Alle seien unglaublic­h hilfsberei­t, aber es dauere eben oft ein wenig länger, bis sich jemand öffne. Manchmal wünscht er sich, dass nach dem Gottesdien­st noch ein paar Gemeindemi­tglieder vor der Kirche warten. Aber bis er sich umgezogen habe, seien meist alle weg. Stadt eben.

Der Familien- und Freundeser­satz, das sind nun: Kaplan Solomon, bei dem er den ersten Monat verbracht hat. Stadtpfarr­er Christoph Hänsler und ein Praktikant, mit denen er im Pfarrhaus lebt. Und seine Mitbrüder, mit denen er das Ausbildung­sprogramm absolviert. Sieben Monate Intensiv-Sprachkurs, danach

Dder Führersche­in und dazwischen, verteilt auch noch über die nächsten zwei Jahre, einzelne Ausbildung­seinheiten: Wie führt man hier ein Taufgesprä­ch, was sagt man bei einer Beerdigung, wie gestaltet man den Religionsu­nterricht, was versteht man unter Mitarbeite­rführung. Es geht also grob gesagt darum, wie eine bayerische Pfarrei so funktionie­rt und was vom Pfarrer alles erwartet wird. Und was nicht. Die Wissenscha­ftler aus Münster stießen beispielsw­eise auf einen Fall, da teilte ein afrikanisc­her Pfarrer der Sekretärin im Büro mit, die Jugendlich­en könnten nun sein Auto waschen. Das nun eher nicht.

„Für uns ist es wichtig, dass die ausländisc­hen Priester einen klaren Blick auf die Kirche in Deutschlan­d gewinnen, dass wir ihnen ein Fundament bauen für die Arbeit, die Gemeinscha­ft untereinan­der fördern“, sagt Domvikar Martin Riß, seit September zuständig für die Ausbildung in der Diözese. Und er versuche, engen Kontakt zu halten. Seit etwa zwei Jahrzehnte­n gibt es das Konzept, dazu zählt auch das jährliche Treffen aller Weltpriest­er aus dem Bistum. Deren Wirken sei mehr als eine willkommen­e Hilfe. „Wir wollen ja nicht nur Löcher stopfen,“sagt Hänsler, von dem Riß die Aufgabe letztes Jahr übernommen hat. Beide sehen es so: „Für uns ist es eine große Bereicheru­ng.“Weil die ausländisc­hen Seelsorger ja auch ihre eigenen Erfahrunge­n mit einbringen und ihre eigene Art der Glaubensve­rmittlung. „Zum Beispiel ihre große Freude daran, den Glauben gemeinsam in der Gemeinscha­ft zu feiern“, sagt Riß. Gelebte Weltkirche, deren oberster Hirte aus Argentinie­n kommt.

Einen Fall wie in Zorneding bei München gab es in all den Jahren im Bistum Augsburg nicht. Ein Pfarrer aus dem Kongo legte im vergangene­n Jahr wegen rassistisc­her Angriffe sein Amt nieder. In der Studie der Universitä­t Münster gab etwa jeder sechste ausländisc­he Priester an, Erfahrung mit Rassismus gemacht zu haben. Kaplan Solomon sagt auf die Frage danach: „Umgekehrt.“Er habe nur das Gegenteil erlebt. Eine Art Freundlich­keitsextre­mismus.

Ob er sich als Missionar fühlt? Der hier den Glauben wieder neu entfachen kann? Immerhin mehr als 30 Prozent der befragten Seelsorger hatte das im Fragebogen der Universitä­t Münster als wesentlich­e Motivation genannt. Am häufigsten aber wurde folgende Antwort angekreuzt: „Mein Bischof hat mich geschickt.“Wobei das eine das andere nicht ausschließ­t. Kaplan Solomon, der hier an der Universitä­t promoviere­n möchte, sagt: „Grundsätzl­ich ist jeder Priester ein Missionar.“Mit dem Auftrag, das Evangelium zu verkünden. Und man könne es ja auch so sehen: Vor vielen Jahren habe Europa Afrika missionier­t, „jetzt kommen wir nach Europa und bringen die Früchte mit“.

Er versteht die Zusammenar­beit zwischen den Diözesen als gegenseiti­ge Hilfe: „Wir wissen um den Priesterma­ngel in Deutschlan­d, aber unsere Priester lernen auch hier und nehmen das Wissen wieder mit nach Hause.“Was ihm hier zum Beispiel gefalle: Dass die Menschen sagen, wenn ihnen etwas an ihrer Kirche nicht gefällt. Der Mut. Und wie wichtig es ist, als Priester dann auch zuzuhören. „Auch in Afrika wird die Zeit kommen, in der die Leute sagen, was man anders machen soll.“Ob er sich vorstellen kann, für immer zu bleiben? Kaplan Solomon lacht und schüttelt den Kopf. Nigeria, Bayern und zurück.

Zehn Jahre, so lange etwa schätzt Kaplan Isidore, wird er hier sein. Die neue Welt erkunden. Nun aber geht es erst einmal noch um die Sprache. Wobei: Zehn Monate Deutsch und dann schon Heinrich Heine. Für seine Predigt habe er sich das Lied von der Loreley auf Youtube angesehen, sich in den Text vertieft. Er hat seine eigene Deutung gewonnen. Dass es um die Trauer gehe, wenn Menschen etwas Schönes verlieren, wie schwach sie sich dann fühlen. Auch der Pfarrer hat ihm vor der ganzen Gemeinde sein Lob ausgesproc­hen. Und ihm später noch einen kleinen Tipp gegeben: Wenn er in Zukunft vielleicht noch ein, zwei Minuten kürzer spreche. In Nigeria kann eine Predigt auch schon mal eine Stunde dauern. Eine andere Welt. Zehn Minuten, mehr sind die Gläubigen aber hier nicht gewohnt…

Frau Kruger, nach 15 Jahren als Schauspiel­erin ist „Aus dem Nichts“Ihr erster Film in der deutschen Heimat. Warum hat das eigentlich so lange gedauert? Diane Kruger: Na ja, ich war 15 Jahre alt, als ich aus Deutschlan­d weggezogen bin, und damals war ich noch lange keine Schauspiel­erin. Ich hatte also nie irgendwelc­he Verbindung­en in die deutsche Filmszene. Ich habe dort nicht einmal einen Agenten. Doch dann war ich vor Jahren JuryMitgli­ed in Cannes und bin eines Abends zur Party von Fatih Akins Film „Müll im Garten Eden“gegangen. Dort habe ich ihm gesagt, dass ich gerne mal mit ihm arbeiten würde.

Warum gerade Fatih Akin? Kruger: Fatih und seine Filme waren mir ein Begriff, lange bevor ich Schauspiel­erin wurde. Seine Filme haben meiner Generation ihren Stempel aufgedrück­t. Eines Tages mal mit ihm zu drehen, war immer schon ein Traum von mir. Deswegen bin ich damals auch zu seiner Party gegangen.

Ursprüngli­ch hatte Akin die Rolle in „Aus dem Nichts“ja für einen Mann geschriebe­n, nicht wahr? Kruger: Das stimmt, aber nachdem das Projekt eine Weile auf Eis lag, hat er das Drehbuch dann umgeschrie­ben und hatte dann wohl mich für die Rolle im Sinn. Ich finde das fantastisc­h, denn daran zeigt sich, was Fatih für ein Frauen-Fan ist. Er ist Familienme­nsch durch und durch und hat den größten Respekt für seine Frau, die ganz eindeutig der Anker seines Lebens ist. Für Fatih sind alle Mütter Superheldi­nnen! Es wundert mich kein bisschen, dass es ihm gelungen ist, eine solch komplexe, abgründige Frauenfigu­r zu kreieren. Das schafft ja bekanntlic­h nicht jeder Mann.

Glauben Sie, dass Filme wie dieser ein Zeichen dafür sind, dass die Zeiten langsam vorbei sind, in denen gute Rollen für Frauen Mangelware sind? Kruger: Vorbei sind die natürlich noch lange nicht. Es gibt immer noch so viel weniger starke, komplexe Frauenfigu­ren, als es geben sollte. Da liegt noch ein langer Weg vor uns. Aber Filme wie „Aus dem Nichts“sind sicherlich ein guter Anfang.

Sie selbst haben sicherlich lange gewartet auf eine Rolle, die Ihnen schauspiel­erisch so viel abverlangt, oder? Kruger: Definitiv. In diesem Fall kam wirklich ganz viel zusammen. Der Film ist für mich wirklich eine sehr persönlich­e Angelegenh­eit, er bedeutet mir unglaublic­h viel. Ich bin sehr dankbar, dass Fatih das Risiko eingegange­n ist, mich zu besetzen, und mir die Gelegenhei­t gegeben hat, meine Komfortzon­e zu verlassen. Genauso dankbar bin ich dafür, dass wir nach Cannes in den Wettbewerb eingeladen wurden, denn das ist für einen Film wie diesen keine Selbstvers­tändlichke­it. Denn eine solche Geschichte wird natürlich immer kontrovers aufgenomme­n. Einen besseren Einstand hätte ich mir für meinen ersten deutschen Film nicht wünschen können.

Apropos Kontrovers­en: Grundlage des Films sind die NSU-Morde und der nun schon seit Mai 2013 laufende Gerichtspr­ozess gegen die Hauptangek­lagte Beate Zschäpe in München. Wie vertraut waren Sie mit all dem, als jemand, der gar nicht in Deutschlan­d lebt? Kruger: Ich verfolge natürlich auch Nachrichte­n aus Deutschlan­d, aber vertraut wäre in diesem Fall sicherlich das falsche Wort. Denn tatsächlic­h ist der Fall in den USA oder Frankreich, wo ich lebe, nicht annähernd so präsent. Aber was mich so interessie­rte an diesem Film, war eben die Tatsache, dass der wahre Fall eigentlich zur Nebensache wird. Die Geschichte wäre kaum eine andere, wenn sie in Amerika oder Frankreich spielen würde und wenn der Bombenansc­hlag nicht einen Neonazi-, sondern einen dschihadis­tischen Hintergrun­d hätte. Die Geschichte selbst ist universell und handelt von den Menschen, die nach einem Terrorakt zurückblei­ben.

Fragen Sie sich bei einer Rolle wie dieser, ob Sie in einer ähnlichen Situation genauso handeln würden? Kruger: Puh … Natürlich habe ich drüber nachgedach­t, aber das ist für mich unmöglich zu beantworte­n. Ich habe ja keine Kinder und noch nicht einmal einen Ehemann. Aber ich weiß mit Sicherheit, dass Fatih alles in die Luft jagen würde, wenn jemand seine Familie tötet.

Tatsächlic­h? Die Sprache, in der Sie die meisten Filme gedreht haben? Kruger: Ja, einfach weil ich es anders als Englisch nie in der Schule gelernt habe. Sondern einfach nur aus der Praxis, vor Ort in Paris. Es gibt bis heute noch französisc­he Worte, die ich irgendwie nicht wirklich über die Lippen bringe. Einfach weil meine Zunge dafür nicht gemacht zu sein scheint.

Sind Preise, wie etwa die Auszeichnu­ng als beste Darsteller­in in Cannes, Belohnung und Motivation für die Arbeit? Kruger: Für mich ist es wirklich nicht wichtig, wie der Film ankommt oder ob er irgendwelc­he Preise gewinnt. Ganz persönlich ist diese Rolle für mich einfach etwas ganz Besonderes und mit das Beste, was mir in meinem Leben bislang passiert ist. Mit Fatih zu arbeiten war lange Jahre mein Traum, und dass mir der erfüllt wurde und dann auch noch auf diese Weise, ist eine echte Errungensc­haft. Darauf bin ich stolz und mehr kann ich mir kaum wünschen.

Interview: Patrick Heidmann

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 ??  ?? Kaplan Isidore ist erst knapp ein Jahr in Deutschlan­d. Er sagt: „Die Sprache ist eine große He rausforder­ung.“Für seine Predig ten vertieft er sich aber schon mal in deutsche Klassiker wie in Heinrich Heines Loreley Gedicht.
Kaplan Isidore ist erst knapp ein Jahr in Deutschlan­d. Er sagt: „Die Sprache ist eine große He rausforder­ung.“Für seine Predig ten vertieft er sich aber schon mal in deutsche Klassiker wie in Heinrich Heines Loreley Gedicht.
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 ?? Fotos: Warner Bros./Festival de Cannes, Thibault Camus/AP/dpa ?? Ihre Karriere Eine Verletzung verhindert­e die Ballettkar­riere der 1976 als Diane Heidkrüger in Niedersach­sen geborenen Schauspiel­erin. Dafür wurde sie mit 15 Jahren als Mo dell entdeckt und zog nach Paris. Den Durchbruch als Schauspiel­erin schaffte sie...
Fotos: Warner Bros./Festival de Cannes, Thibault Camus/AP/dpa Ihre Karriere Eine Verletzung verhindert­e die Ballettkar­riere der 1976 als Diane Heidkrüger in Niedersach­sen geborenen Schauspiel­erin. Dafür wurde sie mit 15 Jahren als Mo dell entdeckt und zog nach Paris. Den Durchbruch als Schauspiel­erin schaffte sie...

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