Schwabmünchner Allgemeine

„Wir hätten die Energiewen­de günstiger haben können“

Interview Wie der Chef des Verbands der Chemischen Industrie Ökostrom fördern und gleichzeit­ig Stromkunde­n entlasten will

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Herr Tillmann, die Große Koalition hat das Erneuerbar­e-Energien-Gesetz reformiert. Statt eines Garantiepr­eises für Ökostrom-Anbieter soll es nun gezielte Förderunge­n geben. Wie erfolgreic­h war diese Reform? Utz Tillmann: Die Große Koalition hat einiges bewegt, das gilt auch mit Blick auf die Entlastung­sregelunge­n für die strominten­sive Industrie. Die Annäherung an die Märkte funktionie­rt. Die Erzeuger von Ökostrom kommen mit deutlich weniger Förderung aus. Das ist positiv. Aber es gibt noch genügend Punkte, die nicht ordentlich laufen. Die nächste Regierung muss eine umfassende Reform des EEG in Angriff nehmen, um die Kinderkran­kheiten, die unveränder­t existieren, zu beseitigen, und den Fördermech­anismus so gestalten, dass sich die Kostenspir­ale nicht weiter nach oben dreht.

Bei der Ausschreib­ung eines OffshoreWi­ndparks erhielt jüngst ein Betreiber den Zuschlag, der völlig ohne die EEG-Umlage auskommt. Ist das der Anfang vom Ende der Umlage? Tillmann: Das kann ich noch nicht beurteilen. Die Frage ist: Wo stehen wir heute beim Ausbau der erneuerbar­en Energien und wo wollen wir hin? Der Anteil des Ökostroms wird weiter steigen, und dieser Ausbau wird auch weiterhin nicht ohne Förderung auskommen. Dass die Förderhöhe mittlerwei­le sinkt, ist ein Erfolg, der durch das neue Ausschreib­ungsmodell möglich geworden ist.

Sie haben Kinderkran­kheiten des EEG angesproch­en, die eine neue Regierung beseitigen muss. Woran denken Sie? Tillmann: Wir brauchen ein völlig neues Finanzieru­ngssystem, weil das bisherige System in dieser Form nicht fortgesetz­t werden kann. Zweitens den Einspeisev­orrang überprüfen: Die Erneuerbar­en-Erzeuger müssen Verantwort­ung übernehmen, wenn sie nicht liefern können. Außerdem brauchen wir eine enge Koordinati­on und eine Synchronis­ation von Ökostrompr­oduktion und Netzausbau. Derzeit sind die Netze kaum mehr in der Lage, den Strom noch aufzunehme­n. Ein Autobauer produziert ja auch nicht mehr Motoren als Fahrgestel­le. Beides muss Hand in Hand gehen. Und es kann nicht sein, dass Anlagen, obwohl sie noch nicht am Netz angebunden sind, gefördert werden. Das muss aufhören. Sie fordern bei der Finanzieru­ng der EEG-Umlage, deren Volumen sich im letzten Jahr auf 25 Milliarden Euro belief, einen Systemwech­sel. Wie soll der aussehen? Tillmann: Das bisherige Finanzieru­ngssystem für Neuanlagen muss komplett ad acta gelegt werden. Die EEG-Umlage in ihrer bestehende­n Form sollte auslaufen. Das hat zur Folge, dass ab einem bestimmten Stichtag die Umlage nicht mehr weiter steigt, sondern mit dem Ende der Förderung Jahr für Jahr abnimmt. Damit könnte der Strompreis für die privaten wie die gewerblich­en Kunden langfristi­g billiger werden.

Und was passiert mit den Neuanlagen? Tillmann: Die Förderung der Neuanlagen erfolgt aus dem Bundeshaus­halt. Das Ausschreib­ungsmodell funktionie­rt, wie wir sehen. Die Fördersätz­e gehen nach unten. Das eröffnet die Chance, mit relativ kleinem Budget im Bundesetat den weiteren Ökostromau­sbau, den wir alle wollen, zu finanziere­n. Zudem baut sich die Fördersumm­e relativ langsam auf, was für den Finanzmini­ster verkraftba­r ist.

Allein in die EEG-Umlage sind bislang insgesamt rund 250 Milliarden Euro geflossen. War das die teuerste Form der Energiewen­de und hätte man den Umstieg vom Atom- zum Ökostrom billiger bekommen können? Tillmann: Das war in der Tat ein überaus teurer Weg, den wir eingeschla­gen haben. Wir haben sehr viel Lehrgeld bezahlen müssen. Alle anderen Volkswirts­chaften können von unseren Fehlern lernen. Wir hätten die Energiewen­de günstiger haben können, wenn wir bei der EEGUmlage sehr viel früher und sehr viel deutlicher umgesteuer­t hätten.

Die Grünen, Umwelt- und Naturschut­zverbände sowie Klimaschüt­zer fordern den Ausstieg aus Braun- und Steinkohle. Ist das überhaupt möglich? Tillmann: Auf fossile Energieträ­ger sofort zu verzichten, ist Quatsch. Wir sind derzeit weder beim Ausbau der Erneuerbar­en und der Netze noch bei der Speicherte­chnik so weit, dass wir auf eine sichere Versorgung durch fossile Kraftwerke verzichten könnten. Wir brauchen Strom rund um die Uhr, nicht nur wenn die Sonne scheint und der Wind weht. Wir können es uns nicht erlauben, alle bisherigen Energieträ­ger gleichzeit­ig über Bord zu werfen.

Wie wird der Strom in 20, 30 Jahren erzeugt? Tillmann: Es wird deutlich mehr Ökostrom produziert werden, aber wir werden auch noch fossile Energieträ­ger einsetzen müssen. Und wenn wir, was politisch gewollt ist, in den nächsten 20, 30 Jahren die Automobilf­lotte auf Strom umstellen wollen und erneuerbar­en Strom auch verstärkt in anderen Bereichen einsetzen möchten, brauchen wir sehr viel mehr Strom als heute. Das heißt, auch bei den Erneuerbar­en muss der Zubau sehr viel rascher erfolgen. Interview: Martin Ferber

„Auf fossile Energieträ­ger sofort zu verzichten, ist Quatsch.“Utz Tillmann

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Utz Tillmann ist Hauptge schäftsfüh­rer des Ver bandes der Chemischen In dustrie und gilt als aus gewiesener Energieexp­erte.

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