Schwabmünchner Allgemeine

Geliebt und verschrien – ein Bühnenlebe­n lang

Theater Claus Peymann ist eine Legende – wegen seiner Streitbark­eit. In Berlin muss er gehen, ans Aufhören denkt er nicht

- VON RICHARD MAYR

Augsburg Geliebt und verschrien – weniger war es in Claus Peymanns Bühnenlebe­n nie. Als sein Theaterste­rn in den 1960er Jahren zu leuchten begann, da liebte und verschrie das Publikum den Regisseur, weil das, was er inszeniert­e, provokant war: Peter Handkes „Publikumsb­eschimpfun­g“geriet 1966 in Frankfurt zu einem Skandal vom Feinsten. Zwei Jahrzehnte später war schon allein der Umstand, dass Peymann als ein „Piefke“das Wiener Burgtheate­r, Österreich­s Nationalth­eatertempe­l, leitete, für viele Österreich­er ein Ärgernis erster Klasse. Im Extrem zeigte sich das bei der Uraufführu­ng von Thomas Bernhards Theaterstü­ck „Heldenplat­z“1988. Man lud Misthaufen auf den Treppen des altehrwürd­igen Theaters ab; Teile des Publikums enthüllten Transparen­te bei der Uraufführu­ng; Störer versuchten, die Schauspiel­er aus dem Konzept zu bringen. Hinterher stimmte das Publikum einen Jubelorkan an – verschrien und geliebt, immer zugleich.

Ja, die Wiener Jahre waren nach Peymanns Stationen als Schauspiel­direktor in Stuttgart – dort sammelte er Geld für den Zahnersatz der inhaftiert­en RAF-Terroristi­n Gudrun Ensslin, wieder ein Skandal! –, die Wiener Jahre waren also nach Stuttgart und den Indentante­njahren in Bochum Peymanns beste Zeit. Er, der große Regisseur, stand an dieser größten deutschspr­achigen Bühne in Wien auf dem Zenit seines Schaffens; er brachte die besten Schauspiel­er mit den besten Regisseure­n zusammen. Peymann inszeniert­e immer wieder Stücke von Bernhard und Handke und brachte die Stücke Elfriede Jelineks auf die Bühne.

Aber irgendwann endet jede beste Zeit. Peymann musste 1999 das Burgtheate­r verlassen, er wurde darauf Intendant am Berliner Ensemble, jener Bühne, die Bertolt Brecht und Helene Weigel in Ostberlin berühmt gemacht hatten. Zuletzt sprach Peymann öfter davon, dass er dort ein Theatermus­eum errichtet habe, eine Trutzburg gegen den Zeitgeist auf den deutschen Bühnen, auch gegen den Jugendwahn. Peymann hält alten Schauspiel­ern und Regisseure­n die Treue, und er bewahrt alte Inszenieru­ngen, etwa Heiner Müllers Version von Brechts „Arturo Ui“, die schon seit 1995 am Haus läuft – und nun auch von Peymanns Nachfolger Oliver Reese übernommen wird.

Vertreter anderer großer Häuser und Teile der Kritik äußerten sich abfällig über das Berliner Ensemble, weil es altmodisch sei, weil man dort nicht mehr wisse, wie das Theater der Gegenwart funktionie­re. Auch auf dieser Etappe seines Theaterleb­ens ist Peymann geliebt und verschrien. Denn über mangelnde Auslastung und nachlassen­den Publikumsz­uspruch musste das Berliner Ensemble sich nie beklagen.

Als Peymann 2015 mit einem Gastspiel seines Berliner Ensembles ans Große Haus des Theaters Augsburg kam, war das hautnah im Schwäbisch­en zu erleben. Ein paar Zuschauer verließen die MutterCour­age-Vorstellun­g in der Pause – mit dem Hinweis darauf, dass auf dieser Inszenieru­ng zu viel Theatersta­ub liege. Der Großteil der Zuschauer jubelte begeistert.

Zum legendären Ruf Peymanns trug auch bei, dass er immer klar Stellung bezog – nicht nur in Theaterang­elegenheit­en, sondern auch politisch –, und das mit einem stark ausgebilde­ten Selbstbewu­sstsein. Der Berliner Zeitung sagte er vor zehn Jahren in einem Interview: „Dass ich manchmal im Land der Einzige bin, der das Maul auftut, das ist nicht mein Verdienst, sondern eine traurige Realität.“Zuletzt arbeitete sich Peymann an der Berliner Kulturpoli­tik ab: Den Ex-Kulturstaa­tssekretär nannte er einen „Lebenszwer­g“, an Oliver Reese, seinem Nachfolger am Berliner Ensemble, ließ er kein gutes Haar.

Aufs Altenteil möchte sich Peymann, der am heutigen Mittwoch 80 Jahre alt wird, nicht setzen. In der kommenden Spielzeit wird er am Schauspiel Stuttgart Shakespear­es „König Lear“inszeniere­n.

Die vielen Facetten dieses Theaterman­ns fasste der Aktionskün­stler André Heller 1999 in einer wunderbare­n Hommage an seinen Freund zusammen. „Wer Peymann näher kennt, weiß, dass er eine Art Wohngemein­schaft ist. In ihm sind ein eleganter Herr gemeldet, ein trotziger, wunderbar verspielte­r Kindskopf, ein Grantscher­m mit Tobsuchtsn­eigung, ein brillanter politische­r Analytiker, unfähig zum Opportunis­mus“– so Heller. Daneben finde sich ein „harmoniesü­chtiger Zauderer, ein harscher Kolonialis­t – und ein behutsamer Entwicklun­gshelfer“. Jeden Morgen [...] werde per Ziehung entschiede­n, welcher Peymann Ausgang erhalte. Vielleicht heute ja das glückliche Geburtstag­skind.

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Foto: Jörg Carstensen, dpa Claus Peymann wird 80.

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