Geliebt und verschrien – ein Bühnenleben lang
Theater Claus Peymann ist eine Legende – wegen seiner Streitbarkeit. In Berlin muss er gehen, ans Aufhören denkt er nicht
Augsburg Geliebt und verschrien – weniger war es in Claus Peymanns Bühnenleben nie. Als sein Theaterstern in den 1960er Jahren zu leuchten begann, da liebte und verschrie das Publikum den Regisseur, weil das, was er inszenierte, provokant war: Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“geriet 1966 in Frankfurt zu einem Skandal vom Feinsten. Zwei Jahrzehnte später war schon allein der Umstand, dass Peymann als ein „Piefke“das Wiener Burgtheater, Österreichs Nationaltheatertempel, leitete, für viele Österreicher ein Ärgernis erster Klasse. Im Extrem zeigte sich das bei der Uraufführung von Thomas Bernhards Theaterstück „Heldenplatz“1988. Man lud Misthaufen auf den Treppen des altehrwürdigen Theaters ab; Teile des Publikums enthüllten Transparente bei der Uraufführung; Störer versuchten, die Schauspieler aus dem Konzept zu bringen. Hinterher stimmte das Publikum einen Jubelorkan an – verschrien und geliebt, immer zugleich.
Ja, die Wiener Jahre waren nach Peymanns Stationen als Schauspieldirektor in Stuttgart – dort sammelte er Geld für den Zahnersatz der inhaftierten RAF-Terroristin Gudrun Ensslin, wieder ein Skandal! –, die Wiener Jahre waren also nach Stuttgart und den Indentantenjahren in Bochum Peymanns beste Zeit. Er, der große Regisseur, stand an dieser größten deutschsprachigen Bühne in Wien auf dem Zenit seines Schaffens; er brachte die besten Schauspieler mit den besten Regisseuren zusammen. Peymann inszenierte immer wieder Stücke von Bernhard und Handke und brachte die Stücke Elfriede Jelineks auf die Bühne.
Aber irgendwann endet jede beste Zeit. Peymann musste 1999 das Burgtheater verlassen, er wurde darauf Intendant am Berliner Ensemble, jener Bühne, die Bertolt Brecht und Helene Weigel in Ostberlin berühmt gemacht hatten. Zuletzt sprach Peymann öfter davon, dass er dort ein Theatermuseum errichtet habe, eine Trutzburg gegen den Zeitgeist auf den deutschen Bühnen, auch gegen den Jugendwahn. Peymann hält alten Schauspielern und Regisseuren die Treue, und er bewahrt alte Inszenierungen, etwa Heiner Müllers Version von Brechts „Arturo Ui“, die schon seit 1995 am Haus läuft – und nun auch von Peymanns Nachfolger Oliver Reese übernommen wird.
Vertreter anderer großer Häuser und Teile der Kritik äußerten sich abfällig über das Berliner Ensemble, weil es altmodisch sei, weil man dort nicht mehr wisse, wie das Theater der Gegenwart funktioniere. Auch auf dieser Etappe seines Theaterlebens ist Peymann geliebt und verschrien. Denn über mangelnde Auslastung und nachlassenden Publikumszuspruch musste das Berliner Ensemble sich nie beklagen.
Als Peymann 2015 mit einem Gastspiel seines Berliner Ensembles ans Große Haus des Theaters Augsburg kam, war das hautnah im Schwäbischen zu erleben. Ein paar Zuschauer verließen die MutterCourage-Vorstellung in der Pause – mit dem Hinweis darauf, dass auf dieser Inszenierung zu viel Theaterstaub liege. Der Großteil der Zuschauer jubelte begeistert.
Zum legendären Ruf Peymanns trug auch bei, dass er immer klar Stellung bezog – nicht nur in Theaterangelegenheiten, sondern auch politisch –, und das mit einem stark ausgebildeten Selbstbewusstsein. Der Berliner Zeitung sagte er vor zehn Jahren in einem Interview: „Dass ich manchmal im Land der Einzige bin, der das Maul auftut, das ist nicht mein Verdienst, sondern eine traurige Realität.“Zuletzt arbeitete sich Peymann an der Berliner Kulturpolitik ab: Den Ex-Kulturstaatssekretär nannte er einen „Lebenszwerg“, an Oliver Reese, seinem Nachfolger am Berliner Ensemble, ließ er kein gutes Haar.
Aufs Altenteil möchte sich Peymann, der am heutigen Mittwoch 80 Jahre alt wird, nicht setzen. In der kommenden Spielzeit wird er am Schauspiel Stuttgart Shakespeares „König Lear“inszenieren.
Die vielen Facetten dieses Theatermanns fasste der Aktionskünstler André Heller 1999 in einer wunderbaren Hommage an seinen Freund zusammen. „Wer Peymann näher kennt, weiß, dass er eine Art Wohngemeinschaft ist. In ihm sind ein eleganter Herr gemeldet, ein trotziger, wunderbar verspielter Kindskopf, ein Grantscherm mit Tobsuchtsneigung, ein brillanter politischer Analytiker, unfähig zum Opportunismus“– so Heller. Daneben finde sich ein „harmoniesüchtiger Zauderer, ein harscher Kolonialist – und ein behutsamer Entwicklungshelfer“. Jeden Morgen [...] werde per Ziehung entschieden, welcher Peymann Ausgang erhalte. Vielleicht heute ja das glückliche Geburtstagskind.