„Die Markthallen rauben uns die Romantik“
Historie Ab 1820 produzierte die Firma Lotzbeck auf dem Areal Tabak. Als daraus ein Markt wird, sind nicht alle begeistert
Geschichten werden auf dem Stadtmarkt viele erzählt. Beim Essen, Einkaufen oder zufälligen Begegnungen. Dabei ist allein die Geschichte des Marktes schon interessant. Schließlich war auf dem über ein Hektar großen Areal einst die Tabakfabrik Lotzbeck beheimatet.
Die Fleischhalle, in der sich heute die Augsburger gerne in der Mittagspause treffen, war einmal das Zentralgebäude der Tabakfabrik. Wo die Stadtmarkt-Besucher heute Fleisch kaufen oder ihren Hunger stillen, wurde vor knapp 200 Jahren Rauch-, Kau- und Schnupftabak produziert und gelagert. Der Blankziegelbau inmitten des Areals wurde 1820 errichtet. Diese Jahreszahl ist auch heute noch über einer Eisentüre in der Fleischhalle zu sehen. Der Schnupftabak der Gebrüder Lotzbeck aus Baden galt um 1800 als der Tabak schlechthin in Deutschland. Um in Bayern Fuß zu fassen, kaufte Lotzbeck zunächst im Jahr 1811 die in Konkurs gegangene Schüle’sche Kattunfabrik vor dem Roten Tor. Sie wurde zur Augsburger Niederlassung. Von hier aus gingen Zigarren und Tabak an bayerische Arbeitnehmer. Schnell warf die Filiale Gewinn ab. Ludwig Sander, der mit einer Lotzbeck-Tochter verheiratet war, setzte auf Expansion.
Sander kaufte 1819 fünf Anwesen innerhalb der noch völlig ummauerten Stadt nördlich der St.-AnnaKirche. Die Häuser grenzten an die Annastraße. Dahinter lagen lange Gärten. Auf diesem Areal, dem heutigen Stadtmarkt, entstand 1819/20 die neue Lotzbeck’sche Tabakfabrik. In die Mitte wurde der massive Rohziegelbau errichtet, die heutige Fleischhalle. Als 1879 Steuern und Zölle auf Tabakwaren stark stiegen, begann der Absatz jedoch zu stagnieren. 1925 ließ das Unternehmen die Stadt wissen, dass sie ihre Produktion in Augsburg einstellen. Für die Stadt bot sich damit eine Chance.
Die Büronot städtischer Ämter sollte durch den Umbau der Gebäude beseitigt werden. Das Zentralgebäude der Produktion war noch völlig intakt. Baufachleute meinten zu der Zeit, dass die Ausdünstungen bei der Tabakherstellung eine konservierende Wirkung gehabt hätten. Der massive Ziegelbau mit seinen weiten Tabak-Lagerkellern und Produktionsräumen sollte zu Markthallen samt Marktgaststätte umgebaut werden. Zudem stand viel Freigelände für weitere Marktsegmente zur Verfügung. Außerdem wurde angemerkt, dass „der Weg zwischen Rathaus und Bahnhof für Fußgänger um 130 Meter verkürzt werde.“Die Stadt kaufte das Grundstück mit der Fabrikanlage für 1,45 Millionen Mark.
Der Stadtmarkt ging 1930 in Betrieb. Er war der Nachfolger der Stadtmetzg, des Fisch- und Obstmarktes und der Augsburger Straßenmärkte. Anfangs waren nicht alle vom neuen Markt begeistert. „Die Eröffnung der Markthallen raubt uns nicht nur die Romantik des Straßenmarktes, sie versetzt auch einem anderen Kuriosum, der Garküche in der Stadtmetzg, den Todesstoß“, schrieb etwa ein Berichterstatter. Es scheint damals wie heute zu sein: Nicht immer kommen Veränderungen zunächst gut an.