Aus drei Jahren wurde ein ganzes Leben
Porträt Jum-Soon Dorotik aus Südkorea vertritt morgen ihre Heimat beim Fest der Kulturen. Als Krankenschwester kam sie 1974 nach Deutschland und blieb, auch wenn der Anfang durchaus schwerfiel. Was sie am Leben hier besonders schätzt
Königsbrunn „Ich glaub, ich brech zusammen“, diese typisch bayrische Redewendung geht Jum-Soon Dorotik im Gespräch glatt über die koreanischen Lippen. Dabei lächelt sie vergnügt, während sie aus ihrem Leben erzählt, das sich aus den Erfahrungen zweier völlig unterschiedlichen Kulturen zusammensetzt. In Korea geboren und letztendlich in Königsbrunn gelandet, bis auf die Anfangssilbe „Ko“gibt es keine Gemeinsamkeiten. Dorotik wird ihre Heimat auch am Samstag beim Fest der Kulturen auf dem Gelände zwischen Infopavillon 955 und Eisarena repräsentieren.
Aufgewachsen in der Stadt Daegu in Süd-Korea folgte sie 1974 dem Ruf der Bundesrepublik Deutschland. Diese brauchte dringend geprüfte Krankenschwestern und Bergarbeiter und schloss deshalb in den 60er-Jahren unter anderem mit Süd-Korea spezielle Regierungsabkommen. Jum-Soon verließ als examinierte Krankenschwester mit 21 Jahren ihre Heimat, um im Kreiskrankenhaus Hofheim bei Frankfurt/Main zu arbeiten. „Aufgrund des Abkommens war meine dreijährige Ausbildung in Korea der deutschen Ausbildung gleichgesetzt“, erklärt Dorotik.
Ihr Ziel war es, Geld zu verdienen für die Aussteuer, nur deshalb gaben ihre Mutter und ihr viel älterer Bruder überhaupt die Erlaubnis für diesen Auslandsaufenthalt. Jum-Soons Vater war bereits verstorben und eigentlich erwartete die ganze Familie, dass die junge Frau nach den drei vertraglich vereinbarten Jahren wieder nach Hause käme.
Einen Monat hatte sie in Korea Deutschunterricht als Vorbereitung und sie erzählt: „Ich konnte ,Hallo‘ und ,Guten Tag‘, und zu den meisten Anweisungen und Fragen habe ich einfach nur ,Jaja‘ gesagt.“Gewohnt hat sie im Wohnheim des Krankenhauses und einsam war sie sicher nicht. „Wir waren ja um die 15 Koreanerinnen, und vormittags haben wir Deutsch gelernt und nachmittags gearbeitet“, erinnert sie sich.
Ein richtiger Kulturschock waren das deutsche Wetter und das Essen für die junge Krankenschwester: „Mir kamen alle Jahreszeiten gleich vor, ständiger Nieselregen, die Straßen so leer und die Zäune so niedrig.“Letzteres fand sie sehr beruhigend, da in Südkorea die Zäune hoch gebaut sind, um Einbrecher abzuschrecken. Doch vor allem das Essen war ein Punkt, der Jum-Soon zu schaffen machte: „Asia-Läden gab es noch keine, den Reis zu jeder Mahlzeit – einschließlich dem Frühstück – habe ich sehr vermisst. Knoblauch in der Küche kannten nur die in Deutschland lebenden Jugoslawen, und als wir versucht haben Chicorée wie Chinakohl zu verarbeiten, erlebten wir Koreanerinnen eine bittere Überraschung“, lacht sie.
Für Überraschung sorgte sie dann selbst auch in ihrer Familie, als sie bei einem Besuch ihr Hochzeitskleid von einem ihrer Schwager nähen ließ und mitteilte, dass sie nicht zurückkommen würde. Als einziges der sieben Geschwister beschloss Jum-Soon, nicht in ihrer Heimat zu leben. Auf einer Silvesterfete eines befreundeten deutschen Arztes hatte sie ihren Mann Adelbert kennengelernt. Der war so beeindruckt, dass er einen Blumenstrauß samt seiner Telefonnummer vor ihrer Appartementtür hinterließ. 1979 heirateten sie in der katholischen Kirche, wo sich Jum-Soon schnell zu Hause fühlte, obwohl sie von Geburt an der buddhistischen Religion angehörte. Auch die Schwiegereltern nahmen die Koreanerin mit offenen Armen auf, nur ihre eigene Familie war zuerst etwas unsicher. „Sie hatten Bedenken, dass der deutsche Mann mich vielleicht nicht gut behandeln würde“, erklärt sie.
Tochter Melanie, die heute selbst verheiratet ist und zwei Kinder hat, kam zur Welt und 1990 landete die Familie beruflich bedingt in Königsbrunn. Und hier bereichert Jum-Soon seit vielen Jahren ganz aktiv das kulturelle Leben der Stadt. Kontakte zu knüpfen fällt ihr nicht schwer, so pflegen die Dorotiks einen großen Freundeskreis, der bunt gemischt ist. Natürlich gehören auch viele Koreaner dazu.
„Dann unterhalte ich mich in meiner Muttersprache, aber oft sprechen wir auch deutsch, damit die Ehepartner der Unterhaltung folgen können“, sagt sie. Beim jährlich stattfindenden Serenadenabend tritt sie mit dem koreanischen Chor auf. Und morgen, beim Fest der Kulturen, wird sie an einem Stand zusammen mit Landsleuten koreanische Speisen – natürlich selbst gemacht – anbieten und auf der Bühne mit koreanischen Trommeln und Tänzen den Brunnenstädtern Ausschnitte ihre Heimatkultur präsentieren.
Was Jum-Soon Dorotik an ihrer zweiten und neueren Heimat am besten gefällt, danach muss man sie nicht fragen, denn das kommt im Gespräch immer wieder deutlich zum Ausdruck: „Freiheit.“Und damit meint sie unter anderem: „Die Freiheit so zu leben wie man möchte und wenn es nur bedeutet, dass man auch im Winter mit einem kurzärmeligen T-Shirt draußen rumlaufen kann, ohne dass die Gesellschaft mit strikten Normen und Regeln einen darin einschränkt.“
Deutsches Essen war ein Kulturschock