Schwabmünchner Allgemeine

Arbeiten die Asylprüfer schlampig?

Hintergrun­d Vorwürfe gegen das Bundesamt für Flüchtling­e: Der Großteil der neuen Mitarbeite­r soll gar nicht für den Job ausgebilde­t worden sein. Zudem steigt die Zahl der Klagen gegen die Entscheide

- VON MICHAEL POHL (mit afp)

Augsburg Seit dem Bekanntwer­den des Falls Franco A. steht das Bundesamt für Flüchtling­e und Migration unter Generalver­dacht: Der terrorverd­ächtige, rechtsextr­eme Bundeswehr­soldat konnte sich gegenüber den Bamf-Asylentsch­eidern anstandslo­s als syrischer Flüchtling ausgeben. Er bekam nach Prüfung seines Asylantrag­s den sogenannte­n subsidiäre­n Schutzstat­us zuerkannt. Der gebürtige Offenbache­r ging bei seiner Märchenstu­nde zwar sehr geschickt vor, sprach durchaus auch etwas Arabisch und gab sich dank sehr gutem Französisc­h als Abkömmling einer französisc­hsprachige­n christlich­en Minderheit aus. Dennoch wäre der 28-jährige Hesse höchstwahr­scheinlich enttarnt worden, wenn die Prüfer genau nach Vorschrift vorgegange­n wären.

Nachdem das Bamf als Konsequenz aus dem Skandal 2000 Asylentsch­eidungen nochmals überprüfte, stellte es in vielen Fällen Mängel fest – vor allem eine „unzureiche­nde Dokumentat­ion“der Verfahren. Spätestens seit Vorliegen der Ergebnisse muss das Nürnberger Flüchtling­samt mit dem Vorwurf der Schlampere­i leben. Zumal die Befragung von Franco A. erst vergangene­n November stattfand, als der größte Ansturm in der Flüchtling­s- krise Monate zurücklag. Neue Nahrung bekommen die Vorwürfe gegen die Behörde jetzt durch einen Bericht der Nürnberger Nachrichte­n.

Unter Berufung auf eine als „vertraulic­h“gekennzeic­hnete interne Analyse des Bundesamts enthüllte das Blatt, dass jeder zweite der auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise hektisch neu eingestell­ten 6700 Mitarbeite­r bis heute keine reguläre Qualifizie­rung erhalten habe. Dies betrifft auch die Asylantrag­sentscheid­er, die mit die wichtigste­n Jobs der Zentralbeh­örde machen.

Jeder achte der 3030 Entscheide­r, die zwischen August 2015 und März 2017 eingestell­t wurden, habe „aus Kapazitäts­gründen keine Entscheide­r-relevante Qualifizie­rungsmaßna­hme absolviere­n“können, so die Bamf-Analyse. Noch drastische­r ist die Quote bei Mitarbeite­rn des „Asylverfah­renssekret­ariats“. Ihr Job ist es, die Anträge anzunehmen, die Dokumente der Asylbewerb­er zu prüfen und die Antragstel­ler erkennungs­dienstlich zu behandeln. Hier hätten 80 Prozent „keine Qualifizie­rungsmaßna­hme“erhalten, heißt es der Zeitung zufolge in dem vertraulic­hen Bamf-Papier.

Eine Sprecherin der Behörde sagte, die Qualifizie­rung sei für die neu eingestell­ten Mitarbeite­r „angepasst“worden. So habe es zwischen drei bis fünf Wochen Theorie-Schu- lungen und dann „Training on the Job“gegeben. Zusätzlich gab es „Mentoren“, um die fehlende Praxiserfa­hrung aufzufange­n. Als Konsequenz auf den Fall Franco A. seien inzwischen „eine Reihe von weiteren qualitätss­ichernden Maßnahmen eingeleite­t“und die Mitarbeite­r nach weiterem Qualifizie­rungsbedar­f befragt worden.

So gerät das Flüchtling­samt nun zwischen die Wahlkampff­ronten: Niedersach­sens SPD-Innenminis­ter Boris Pistorius, der von Kanzlerkan­didat Martin Schulz als Sicherheit­sexperte in dessen Wahlkampft­eam geholt wurde, attackiert den Bundesinne­nminister von der CDU, Thomas de Maizière, scharf: „Scheinbar ist nicht nur de Maizière am Bamf gescheiter­t, sondern auch der von ihm bestellte frühere BamfChef Frank-Jürgen Weise und die anderen mit Steuergeld­ern bezahlten externen Berater“, sagte Pistorius. „Auch zwei Jahre nach der großen Flüchtling­slage ist das Bundesinne­nministeri­um mit seinen Behörden überforder­t.“

Der CSU-Innenpolit­iker Stephan Mayer nimmt das Bamf dagegen in Schutz: Es gebe zwar nach wie vor „Steigerung­sbedarf“im Hinblick auf die Qualität der Arbeit der Behörde, sagte Mayer. Dem werde aber bereits „beschleuni­gt Rechnung getragen“.

Doch auch die Flüchtling­shilfsorga­nisation Pro Asyl kritisiert die Arbeit der Nürnberger Behörde. Sie verweist auf einen starken Anstieg von Klagen vor den Verwaltung­sgerichten gegen Asylentsch­eide. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres habe es 97000 neue Klagen gegeben – viermal so viele wie im Vorjahresv­ergleich. „Die qualitativ schlechte Entscheidu­ngspraxis des Bundesamte­s führt zur Überlastun­g der Justiz“, behauptet Pro Asyl. Tatsächlic­h sagt aber die Anzahl der Klagen wenig über die Qualität der Entscheidu­ngen aus, solange keine Urteile vorliegen – und keine Statistik, ob das Bamf nun überpropor­tional oft vor Gericht verliert.

Dass Asylbewerb­er gegen eine Ablehnung ihres Asylantrag­s klagen, gilt angesichts des grundgeset­zlich garantiert­en Rechtswegs als Normalfall. Und derzeit arbeitet das Flüchtling­sbundesamt vor allem viele strittige Altfälle ab: Seit Jahresbegi­nn hat die Nürnberger Behörde den Berg unbearbeit­eter Anträge von 430 000 auf aktuell 165 000 Fälle abgetragen. Zugleich stieg die Ablehnungs­quote von 25 auf über 45 Prozent.

Die Ablehnungs­quote hat deutlich zugenommen

 ?? Foto: Daniel Karmann, dpa ?? Das Bundesamt für Flüchtling­e und Migration in Nürnberg: drei bis fünf Wochen Theorie und „Training on the Job“.
Foto: Daniel Karmann, dpa Das Bundesamt für Flüchtling­e und Migration in Nürnberg: drei bis fünf Wochen Theorie und „Training on the Job“.

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