Schwabmünchner Allgemeine

Eklat im Gericht: Urteil gegen Stuhlwerfe­r

Justiz Ein 21-Jähriger wurde wegen versuchten Totschlags verurteilt und rastete aus. Nun war er deswegen erneut angeklagt

- VON PETER RICHTER

Die harte Anklageban­k von einst ist heute in vielen Gerichtssä­len von bequemeren Stühlen abgelöst. Auch im Augsburger Strafjusti­zzentrum. Dass so ein Sitzmöbel aber auch eine Tatwaffe sein kann, zeigt ein ungewöhnli­cher Zwischenfa­ll vom vorigen Dezember, der nun vor dem Amtsgerich­t verhandelt wurde.

Ein Angeklagte­r, gerade zu einer Gefängniss­trafe von sechseinha­lb Jahren verurteilt, hatte blitzschne­ll seinen Stuhl ergriffen und in Richtung der Richterban­k geschleude­rt. „Ich habe nur noch gedacht, das wird knapp“, schilderte der als Zeuge geladene Richter Michael Schneider die von ihm als surreal empfundene Attacke. Dicht über seinen Kopf sei der mit Armlehnen versehene, schwarze Stuhl in einer Flugkurve über den ganzen Richtertis­ch geflogen, bevor er krachend vor dem Staatsanwa­lt zu Boden gefallen sei. Eine Justizhaup­twachtmeis­terin und zwei ihrer Kollegen stürzten sich auf den jungen Angeklagte­n, einen afrikanisc­hen Asylbewerb­er. Doch der 21-Jährige, aufgewachs­en in Freetown, der Hauptstadt des westafrika­nischen Staates Sierra Leone, leistete massiven Widerstand. Während einer der Richter den Alarmknopf drückte, rissen die Kämpfenden vor der Richterban­k einen Garderoben­ständer um. Schließlic­h gelang es den drei Beamten unter Einsatz von Pfefferspr­ay, den Angeklagte­n so weit kampfunfäh­ig zu machen, dass sie ihm Handund Fußfessel anlegen konnten. Ein zur Verstärkun­g eintreffen­der Justizwach­tmeister forderte die wenigen Zuschauer auf, die bis dahin ebenso erstarrt Verteidige­r Moritz Bode das Geschehen verfolgt hatten, den Gerichtssa­al zu räumen.

Wenig überrasche­nd, dass der Prozess gestern unter verschärft­en Sicherheit­smaßnahmen statt. In Fuß- und Handfessel wurde der Angeklagte in den Gerichtssa­al geführt, die ihm auch während der Verhandlun­g nicht abgenommen wurden. Zudem hatten sich hinter ihm drei stämmige Justizwach­tmeister postiert. Er habe das Urteil, das ihn für mehrere Jahre ins Gefängnis bringen sollte, nicht verstanden, es als ungerecht empfunden, erklärte der Angeklagte auf Englisch, warum er plötzlich derart in Wut geraten war.

Ihr Mandant, fügte seine Verteidige­rin Cornelia McCready hinzu, habe niemanden verletzen wollen. Für Staatsanwä­ltin Irmina Palczynska und das Schöffenge­richt jedoch nicht glaubhaft. Die Richter bestraften den Stuhlwurf als versuchte Körperverl­etzung und die leichten Verletzung­en, die zwei Justizwach­tmeister bei der Rangelei erlitten, als vorsätzlic­he Körperverl­etzung. Die Quittung: Er muss 16 Monate länger im Gefängnis bleiben.

Im Dezember hatte ihn die Schwurgeri­chtskammer zu einer Freiheitss­trafe von sechseinha­lb Jahren verurteilt. Wegen gefährlich­er Körperverl­etzung und, schwerwieg­ender, wegen versuchten Totschlags. Auf der Straße hatte der Täter nahe seiner Asylunterk­unft in der Eichleitne­rstraße, in der Hand ein Schwert, sich auf einen Mitbewohne­r gestürzt. Mit den Worten „I kill you“, so berichtete später der angegriffe­ne Afghane, habe der Schwarzafr­ikaner auf ihn eingeschla­gen. Der erste Hieb durchtrenn­te die Schädeldec­ke des 26-Jährigen. Weitere Hiebe konnte das Opfer, bereits am Boden liegend, mit Armen und Händen abwehren. Der Täter floh, als Passanten dem Schwerverl­etzten zu Hilfe eilten. Um nicht aufzufalle­n, hatte er sein Schwert, Klingenlän­ge 77 Zentimeter, erst kurz vor dem Angriff aus einem zusammenge­falteten Regenschir­m gezogen.

Übrigens: Aufgrund des Vorfalls um den Stuhlwurf soll im Strafjusti­zzentrum umgebaut werden. Künftig soll es im Schwurgeri­chtssaal wieder eine Anklageban­k geben.

Mobiliar flog über den Richtertis­ch

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