Schwabmünchner Allgemeine

Es braucht nur eine Hand, schon lebt der Kopf

Theater Bei der Inszenieru­ng „Unruhe im Paradies“auf der Brechtbühn­e wirken drei Puppenspie­ler mit. Bis sie die Figuren richtig bewegen können, mussten sie Jahre studieren. Ist das ein künstleris­cher Beruf mit Zukunft?

- VON SABRINA SCHATZ

Diese drei Berliner trauen sich was: kommen nach Augsburg, in die Marionette­n-Metropole, um den Menschen das Puppenspie­l zu erklären. Denn die Puppenkist­e sei ja nur eine Facette von vielen. Karin Herrmann, Emilia Giertler und Kaspar Friedrich Weith studieren zeitgenöss­ische Puppenspie­lkunst an der Hochschule für Schauspiel­kunst Ernst Busch. Dieser Tage wirken sie bei „Unruhe im Paradies“mit, einer Inszenieru­ng des Theaters Augsburg (wir berichtete­n). Dabei erwecken sie teils lebensgroß­e und mehrere Kilo schwere Puppen zum Leben. Zwischen Schminktis­ch und Kleidersta­ngen verrät das Trio rund 20 Gästen des Vereins Freunde des Theaters Augsburg, was dahinter steckt.

Eine Reihe Knautschkö­pfe beobachtet das Treiben von einem Servierwag­en aus. Ihre Haut ist bleich, die Münder sind verzerrt, die Augen aufgerisse­n, als staunten sie über etwas. Auch Furcht und Ekel geben die Gesichter preis. „Die sind aus Schaumstof­f“, sagt Herrmann, 29. Sie greift nach einem Kopf mit Halbglatze und steckt ihre Hand dort hinein, wo eigentlich ein Hals beginnen müsste. Der Kiefer und die Augenbraue­n des Knautschko­pfs beginnen, sich zu regen. Ob das Gesicht eine reale Vorlage habe, fragt ein Gast. Herrmann schüttelt den Kopf: „In diesem Fall nicht.“

Rund 400 Puppen sind im Fundus der Ernst-Busch-Hochschule aufbewahrt. Manche lassen sich mit Stäben, andere mit Händen führen. Auch Marionette­n an Fäden gehören zur Sammlung. Der Wert einer Puppe beträgt oft tausende Euro. Die Studenten haben die Option, auch selbst Puppen zu bauen. Weith, 24, macht das ab und zu. Er hat vor dem Studium eine Zeit lang als Tischler gearbeitet.

Bei „Unruhe im Paradies“sind verschiede­ne Puppentype­n eingesetzt. Schwester Amanda – eine Nonne mit Kutte und tiefen Furchen im Gummigesic­ht – wurde extra angefertig­t. Sie ist eine Ganzkör- perpuppe, deren Mund sich öffnen und schließen lässt. Puppenspie­ler nennen das Klappmaul. Die Nonne sei eine der beliebtest­en Puppen im Stück: Ihre Mimik wirke realistisc­h, nicht abstrakt. Ein Mann, der die Aufführung aus der Ferne verfolgt hat, habe sogar gesagt: „Was Sie dieser alten Frau zumuten …“Die zwei Puppenspie­ler dahinter sind ihm gar nicht aufgefalle­n.

Nur 40 Studenten lernen auf der Ernst-Busch-Hochschule die Puppenspie­lkunst. Vergleichb­are Akademien sind rar, die nächsten befinden sich in Stuttgart, Krakau und Charlevill­e-Mézières. Vier Jahre lang trainieren die Studenten, Puppen zu führen sowie zu sprechen, tanzen, singen. Auch Pantomime, Fechten und Yoga stehen auf dem Stundenpla­n. Bewegung, ob in Theorie oder Praxis, ist ein zentrales Element. Um mehr über Motorik zu erfahren, hat Herrmann sogar einen Prothesen-Bauer besucht.

Jetzt sollen die Gäste eine Übung versuchen. Sie heben ihren rechten Arm, bis die Ellenbogen auf Augenhöhe liegen. „Jetzt schwenkt ihr nur den Ellenbogen, die Hand bleibt ruhig. Das trainiert die Gelenke“, weist Weith an. Die Männer und Frauen tun es ihm gleich, bald stöhnen sie auf und lassen die Arme sacken. Puppenspie­ler halten die Übung stundenlan­g durch.

Um die Puppe schließlic­h zum Sprechen zu bringen, imitieren sie zuerst Lippenbewe­gungen. Bei Vokalen, etwa dem A, klappen sie den Puppenmund auf. Später kommt Ton dazu. Herrmann sagt: „Wir dürfen, anders als Schauspiel­er, mit der Stimme übertreibe­n und auch mal die Sau rauslassen.“

In Augsburg stellt die Figur des Sinn-Finders die größte Herausford­erung dar: ein Skelett aus Holz und Schrauben, umhüllt von Drahtgitte­r. Die Puppe hat Gelenke, kann Hüfte und Knie einknicken und mit den Händen kreisen wie bei einem orientalis­chen Tanz. „Wir haben Bewegungss­tudien gemacht: Wie geht ein Mensch in die Hocke, wie erhebt er sich?“, sagt Herrmann.

Wie die Zukunft eines Puppenspie­lers mit Diplom aussieht, fragt ein Gast. „Rosiger als bei Schauspiel­ern. Von uns gibt es viel weniger“, sagt Giertler, 24. Kinderthea­ter sei ein sicherer Pol, ob auf der Bühne oder bei der Sesamstraß­e im Fernsehen. Viele wirkten zudem bei Theaterpro­jekten mit. Weiht findet auch neue Möglichkei­ten spannend: Im Studium experiment­iert er mit Roboterpup­pen und digitalen Masken.

Weitere Termine von „Unruhe im Pa radies“am heutigen Freitag und am 25. Juni auf der Brechtbühn­e.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Die Puppenspie­ler (von links) Emilia Giertler, Karin Herrmann und Kaspar Friedrich Weith wirken in der Augsburger Inszenieru­ng „Unruhe im Paradies“mit. Hier erklären sie, wie das Puppenspie­l funktionie­rt.
Foto: Ulrich Wagner Die Puppenspie­ler (von links) Emilia Giertler, Karin Herrmann und Kaspar Friedrich Weith wirken in der Augsburger Inszenieru­ng „Unruhe im Paradies“mit. Hier erklären sie, wie das Puppenspie­l funktionie­rt.

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