Schwabmünchner Allgemeine

Wenn das Geld nicht mal zum Essen reicht

Soziales In Augsburg wohnen statistisc­h gesehen die ärmsten Bürger Bayerns. Viele Hilfsorgan­isationen bekommen das zu spüren: Der Andrang der Bedürftige­n steigt. Doch es geht nicht allein um Lebensmitt­el

- VON INA KRESSE

Es ist Mitte Juni, das Ende des Monats rückt näher. Für Johann Stecker und seine Kollegen von der Wärmestube bedeutet das mehr Arbeit, weil der Andrang größer wird. „Am Monatsende haben einige Menschen nichts mehr zu essen.“Es sind Menschen wie Karin Schönberge­r und Viktoria Zunk.

Die Frauen leben in kleinen Wohnungen in Lechhausen. Schicksals­schläge haben sie an den Rand ihrer Existenz gebracht. Zunk arbeitete elf Jahre lang als Verpackeri­n bei Osram. Dann begannen die Knie-Probleme. 2011 erhielt sie die Diagnose Krebs, sie hat außerdem Diabetes. Die 57-Jährige kann nicht mehr arbeiten, lebt von Hartz IV. Wie auch die ein Jahr ältere Schönberge­r, die in ihrem Leben auf falsche Freunde setzte und finanziell ausgenutzt wurde, wie sie erzählt.

Beide Frauen wissen, was es heißt, Hunger zu haben. Ihre Kühlschrän­ke seien oft leer. Umso dankbarer sind sie, dass es in der Wärme- stube des Sozialdien­stes Katholisch­er Männer (SKM) immer eine Mahlzeit für sie gibt. Rund 150 Frauen und Männer kommen dort täglich vorbei. „Im Winter sind es mehr“, sagt Hans Stecker vom Vorstand des Fördervere­ins. Viele seien Obdachlose – aber nicht nur.

„Bei uns bekommt auch ein Rentner, der wenig Geld hat, eine Suppe. Wir schicken niemanden weg.“In der Einrichtun­g wird nicht gekocht, Firmen spenden einen Teil ihres Kantinenes­sens und Kitas melden sich, wenn etwas übrig bleibt. Hilfesuche­nde wie Viktoria Zunk bekommen auch Lebensmitt­el für zu Hause mit. Deshalb bittet die Wärmestube um Lebensmitt­el-Spenden: „Wir brauchen Würstchen im Glas, Eintopf aus der Dose oder Tütensuppe­n“, sagt Stecker. Und Zucker. „Er ist als Energielie­ferant gerade für Obdachlose wichtig.“

In Augsburg wohnen statistisc­h gesehen die ärmsten Bürger Bayerns. Das durchschni­ttliche Jahreseink­ommen liegt bei 18400 Euro. Die Armutsgefä­hrdungsquo­te ist in den vergangene­n Jahren gestiegen: In der Stadt beträgt sie laut Sozialrefe­rat 23 Prozent – 2010 waren es noch 19,1 Prozent, in Schwaben sind es 16,1 Prozent. Als armutsgefä­hrdet gilt, wer mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevö­lkerung in Deutschlan­d auskommen muss.

Hans Stecker beobachtet, dass die Zahl der Hilfesuche­nden zunimmt. Es kämen immer mehr Frauen und junge Leute. Meist führten Schicksals­schläge oder psychische Erkrankung­en zum Abstieg eines Menschen. Zum Glück, sagt er, ist die Hilfsberei­tschaft ungebroche­n. Diese Erfahrung macht auch Arnd Hansen, Geschäftsf­ührer der Stiftung Kartei der Not. Das Leserhilfs­werk unserer Zeitung hilft Menschen in der Region, die unverschul­det in Not geraten sind. „Das Spendenauf­kommen bleibt auf einem guten Niveau stabil.“Unter den Bürgern gebe es erfreulich viel Solidaritä­t. Hinzu käme, dass die Wirtschaft­slage gut sei. Auch das wirke sich auf die Bereitscha­ft aus, zu spenden.

Von der stabilen Wirtschaft­slage profitiere­n nicht alle. Trotz Jobs sind etliche Menschen auf finanziell­e Unterstütz­ung des Staats angewiesen. „Armut kann auch drohen, wenn jemand geringfügi­g oder in Teilzeit beschäftig­t ist und keine andere Arbeit findet“, sagt Silke KlosPöllin­ger, Chefin des hiesigen Deutschen Gewerkscha­ftsbundes (DGB). In Augsburg gebe es viele Arbeitnehm­er mit einer geringfügi­gen Tätigkeit. Überwiegen­d seien es Frauen. Gewerkscha­ftskollege Thomas Gürlebeck spricht ein besonders problemati­sches Arbeitsver­hältnis an: Die Arbeit auf Abruf, die häufig im Textilhand­el vorkomme. Der Arbeitgebe­r garantiert hier ein Minimum an zehn Arbeitsstu­nden im Monat. „Bei saisonalem Hochbetrie­b werden die Mitarbeite­r vorübergeh­end in Vollzeit eingestell­t, dann lässt man sie die nächsten Monate wieder auf zehn Stunden hängen.“Die Arbeitnehm­er stelle das vor viele Probleme.

Armut ist nicht immer so plakativ erkennbar wie bei Obdachlose­n. 5000 Bürger holen sich derzeit Lebensmitt­el bei der Augsburger Tafel. Den Berechtigu­ngsausweis bekommen sie, „wenn ihnen nach Abzug der Miete nur noch 400 Euro monatlich zum Leben bleiben“, erklärt Fritz Schmidt, Chef der Tafel. Dass es bei vielen Augsburger­n hinten und vorne nicht langt, zeigen diese Zahlen: Vergangene­n Dezember erhielten 12533 Menschen Arbeitslos­engeld II und 4762 Menschen Sozialgeld. 3907 Personen bezogen Grundsiche­rung im Alter und bei Erwerbsmin­derung.

Karin Schönberge­r und Viktoria Zunk fahren oft mit der Tram in die Stadt. Das Sozialtick­et ermöglicht es ihnen. Für sie ist die Wärmestube nicht nur da, um Hunger zu stillen. Sich in einer Gemeinscha­ft aufgehoben zu fühlen, ist für beide mindestens ebenso wichtig. »Kommentar

Hilfe Lebensmitt­el werden in der Wär mestube, Klinkertor­straße 12, Mo bis Fr von 9 bis 16 Uhr angenommen; Telefon 0821/45045830. Die Augsburger Ta fel sucht Fahrer; Telefon 0821/313331.

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