Entwicklungsland Deutschland
Comics Die Welt der gezeichneten Bücher wird immer vielfältiger – hat es bei uns aber traditionell schwer. Sagt ein Experte. Und erklärt, wie mutig alles anfing, vor 50 Jahren, mit Petzi, und warum die Freiheit heute viel größer ist
Herr Schikowski, warum fremdeln die Deutschen mit dem Comic?
Klaus Schikowski: Wahrscheinlich ist das noch eine Folge der Schmutzund Schundkampagnen der 50er und 60er Jahre. Damals dachte man, Comics seien ein Kindermedium und eher etwas für Analphabeten. Auf der anderen Seite haben wir drei große Comic-Kulturen: die amerikanische, aus der die Zeitungsstrips und die Superhelden kommen, die frankobelgische mit „Tim und Struppi“oder „Asterix“und schließlich die japanische mit den Mangas.
In Japan gibt es richtige Manga-Dynastien, und die Zeichner erwähnen voller Stolz, welchem Meister sie folgen.
Schikowski: Auch in den anderen Comic-Kulturen beziehen sich die Künstler aufeinander. Einzelne Zeichner haben manchmal regelrechte Booms ausgelöst und damit Nachwuchs angezogen. Das fehlte in Deutschland. Ralf König, einer der populärsten Zeichner, ist ein Geschichtenerzähler, jeder kennt hier seine Figuren, aber wirkliche Erben hat er nicht. Vielleicht noch Flix und Mawil, zwei junge Comic-Zeichner aus Berlin. Aber in Deutschland ist es tatsächlich nie gelungen, eine wirkliche Comic-Kultur zu etablieren. Das wird jetzt ganz langsam nachgeholt.
Die Fans haben sich im Ausland bedient oder gewartet, bis Comics, etwa aus Frankreich, ins Deutsche übersetzt wurden.
Schikowski: So hat ja auch der Carlsen Verlag vor 50 Jahren angefangen. Meine Vorgänger wollten „Tintin et Milou“auf den deutschen Markt bringen und nicht, wie bei Comics üblich, am Kiosk, sondern in Buchhandlungen verkaufen. Das war damals sehr mutig, aber es hat ja funktioniert. Mit „Tim und Struppi“ist es gelungen, den „guten Kinder-Comic“zu etablieren. Das ist heute noch ein Bestseller.
Dabei sind die Abenteuergeschichten bald 90 Jahre alt!
Schikowski: Im Comic-Bereich sind die berühmtesten Figuren fast alle älter als 50. Wir sprechen von den Peanuts, Spiderman oder Asterix. Und jetzt stehen wir an einer Schwelle, denn es entsteht viel Neues, das richtig gut ist, etwa im Bereich der Graphic Novels. Dennoch sollte man die Tradition pflegen. Man kann ja behutsam modernisieren, ohne das Alte zu verraten.
Mit den „Grafischen Geschichten“erreichen Sie noch mal ein ganz anderes Publikum.
Schikowski: Das sind oft kulturell oder belletristisch interessierte Leute. Und es gibt weniger Berührungsängste, weil Graphic Novels meistens abgeschlossene Einzelbände sind. Bei den Serien-Comics meinen viele, sie müssten alle Vorgängerbände kennen, um den neuen zu verstehen. Dabei beginnen Comics immer von Grund auf neu. Die Figuren machen in den seltensten Fällen eine Erfahrung. Donald wacht jeden Morgen auf …
… und stolpert gleich wieder in die nächste Pfütze.
Schikowski: Die Peanuts lernen ja auch kaum aus dem, was sie vorher erlebt haben. Das geht jedes Mal bei null los. Aber das ist eben nur eine Seite des Comics. Auf der anderen Seite haben Sie dann so etwas Ernsthaftes, Tiefgehendes wie „Die Leichtigkeit“von Catherine Meurisse. Die ehemalige Zeichnerin des Satiremagazins Charlie Hebdo hat mit diesem Buch versucht, ihre Albträume nach dem Terroranschlag auf die Redaktion zu verdrängen. Und am Ende hilft ihr die Schönheit dieser Welt. Das ist eine Botschaft, die Mut machen kann.
Was ist deutschen Lesern besonders wichtig?
Schikowski: Wenn man von der Resonanz im Feuilleton ausgeht, dann sind das politisch und gesellschaftlich relevante Graphic Novels. Auch die Ausstattung ist wichtig. ComicLeser greifen nach wie vor gerne zum Buch, das haptische Erlebnis gehört einfach dazu. Deshalb tut sich der digitale Comic schwer. Nennenswerte Downloads haben wir nur bei den Mangas.
Jeder gute Museumsshop bietet mittlerweile Graphic Novels über Picasso, Munch, Bosch …
Schikowski: In den Museen treffen wir tatsächlich auf ein sehr offenes Publikum. Wichtig ist aber bei solchen Biografien, dass sie über den Künstler hinausgehen. Die bloße Eins-zu-eins-Abbildung des Lebens reicht nicht. Im August er- scheint bei uns zum Beispiel „Magritte: Dies ist keine Biografie“. Da kauft sich ein ganz normaler Angestellter auf dem Flohmarkt eine Melone und taucht damit in die surrealen Welten des Malers ein. Das Buch spielt also selbst mit dem Surrealen, so etwas kann gerade mit dem Comic gelingen. Oder nehmen Sie Reinhard Kleists Nick-CaveBiografie, die wir auch im Sommer bringen. Kleist spielt mit Motiven aus Caves Leben und seinen Songs, ein Stück weit ist dieses Buch aber auch eine Abhandlung über das Schreiben von Musik. Genauso passt Kleists expressiver Strich zu dieser Figur.
Die Zeichner nehmen sich heute viel mehr Freiheiten.
Schikowski: Ihr Strich sagt ja auch etwas aus, das sie mit Worten oft nicht treffen. Früher war der Comic ein rein objektives Medium: Bei Hergé, dem Zeichner von „Tim und Struppi“, gibt es immer einen auktorialen Erzähler. Heute begreift man, dass der Comic auch ein Ich-Medium sein kann. Nehmen Sie Catherine Meurisse, die mit ihren Zeichnungen sehr viel von sich preisgibt. Diese Tiefe, diese differenzierten Emotionen haben viele dem Comic nie zugetraut. Das hat die Qualität richtig guter Literatur.
Interview: Christa Sigg