Im Mercedes auf der Flucht vor den Nationalsozialisten
Interview Der Schweizer Gottfried Koch kaufte einen zerlegten Oldtimer. Bei seinen Nachforschungen stieß er auf das Schicksal der jüdischen Familie Arnold in Augsburg. Nun ist der aufwendig restaurierte Wagen zu sehen
Herr Koch, Sie haben vor Jahren ein zerlegtes Mercedes 200 Cabriolet aus der Vorkriegszeit gekauft. Was hat es mit dem Oldtimer auf sich?
Koch: Es ist ein seltenes und einzigartiges Stück, vor allem auch wegen seiner besonderen Geschichte. Sie reicht bis nach Augsburg, ins Jahr 1934.
Wie kamen Sie zu dem Fahrzeug?
Koch: Ich bin ein Freund von alten Sachen. Als Oldtimer-Fan lese ich die Zeitschrift und bin dort auf ein Inserat gestoßen, in dem der Wagen angeboten wurde. Das Auto war damals in Teile zerlegt und in Kisten verpackt. Ein Autohändler aus Franken hatte es im Oktober 2010 in England ersteigert. Zunächst wollte er es selber restaurieren.
Oldtimer Markt Warum wollten Sie diesen Oldtimer haben?
Koch: Ich habe das Auto gekauft, damit mein Sohn etwas daraus machen und einen Mehrwert schaffen kann. Er hat bei Ferrari eine Lehre als Automechaniker gemacht und sich zum Automobil-Diagnostiker weiterentwickelt. Dann hat er sich mit einem Freund selbstständig gemacht. Die Idee war, wir kaufen restaurationsfähige Autos, er restauriert sie und dann verkaufen wir sie. Mittlerweile ist dieses Geschäftsmodell überholt, weil so viele Aufträge von Kunden kommen.
Sie haben die Geschichte des Autos erforscht, warum?
Koch: Ich habe in einer Kiste gestöbert, die beim Auto lag. Das mache ich schon immer gern. Und da stieß ich auf einmal auf eine Kopie aus dem Kommissionsbuch von Mercedes Benz von 1934. In diesem Auszug war die Reihenbaunummer vermerkt, mit der sich genau nachvollziehen lässt, welche Ersatzteile man braucht, um das Fahrzeug im Original wieder herzustellen. Das sind wichtige Informationen, denn diese Autos wurden in der Vorkriegszeit nur in sogenannten Werkstattserien gefertigt. Das passende Ersatzteil zu finden ist nicht so leicht wie bei heutigen, industriell gefertigten Modellen.
Sie sind bei Ihren Recherchen auch auf die früheren Besitzer des Cabriolets gestoßen ...
Koch: Ja. Mercedes hat damals handschriftlich aufgeschrieben, von wem das jeweilige Auto bestellt wurde. Dadurch erfuhr ich von Hans Arnold aus Augsburg, dem ersten Besitzer des Mercedes. Ich wollte wissen, wer war dieser Hans Arnold? Also habe ich nachgeforscht. Zunächst im Internet. Dort wurde ich aber nicht fündig. Dann dachte ich mir, so ein Auto hat ja nicht irgendjemand gefahren, also habe ich im Staatlichen Textilmuseum in Augsburg angerufen. Klar, die Arnolds kannte man da. Die jüdische Familie war Mitinhaber der früher weithin bekannten Spinnerei und Weberei am Sparrenlech, Kahn & Arnold. Aber Hans Arnold? Über ihn fand ich zunächst keine weiteren Details heraus.
Wie ging es weiter?
Koch: Man rief mich zurück mit der Nachricht: Da gibt es einen John Arnold in Kalifornien. Dann habe ich in Augsburg weiter nachgefragt. Da gibt es Leute, die sich um alte Industriegebäude im Textilviertel bemühen. Man sagte mir, dass da mal vor Jahren eine Dame da war, die habe die gleichen Fragen gestellt wie ich. Man wolle nach der Adresse suchen. So kam ich zu Bettina Kaplan, einer Großnichte von Hans Arnold. Ich bekam auch eine Antwort von ihr, eine ergreifende E-Mail. Ihre Familie war sehr aufgeregt zu hören, dass ein Stück ihrer Geschichte wieder aufgetaucht ist, und wollte mehr darüber erfahren.
Was haben Sie über Hans Arnold herausgefunden?
Koch: Vieles über Hans Arnold und seine Familie steht in dem Buch „Der Arnold-Mercedes“, das ich geschrieben habe. Die Arnolds verloren im Nationalsozialismus nicht nur ihren gesamten Industrie- und die älteren Familienmitglieder wurden auch alle von den Nazis ermordet. Ich war fassungslos und entsetzt, was sie erleiden mussten. Bei meiner Publikation habe ich mich eng mit den Nachfahren abgestimmt. Eine ganze Reihe von Bildern, Dokumenten, Informationen habe ich nicht veröffentlicht. Ich wolle da keine Intimität verletzen. Ich dachte, ich habe nicht das Recht, KZ-Dokumente zu publizieren. Hans Arnold, der Käufer des Mercedes, hat den Holocaust Gott sei Dank überlebt. Er starb 1986 in den USA.
Was wissen Sie über ihn und seinen Mercedes?
Koch: Hans Arnold war ein Liebhaber schöner Autos und hatte mehrere davon. Das Mercedes Cabriolet hat er 1934 über die Augsburger Mercedes-Niederlassung gekauft, die damals in der Ulmer Straße war. Am 24. März 1934 erhielt er das bestellte Fahrzeug. Man kann davon ausgehen, dass er das Cabriolet regelmäßig genutzt hat. Belegt ist, dass er mit dem Wagen seine spätere Frau Hildegard in Bamberg besucht hat. Mit Hilfe des Autos lässt sich auch später eine Etappe seines Lebensweges nachvollziehen. Wahrscheinlich hat es ihm ein Stück weit zur Flucht vor den Nazis verholfen.
Wie konnte Arnold 1936 nach England ausreisen?
Koch: Hans Arnold hat sich seit der Machtübernahme durch die Nazis mit einer Ausreise aus Deutschland beschäftigt und auch schon lange vor diesem Schritt Vorkehrungen getroffen, zum Beispiel durch den Aufbau von Beziehungen sowie in Form eines Transfers von Vermögensteilen. Anfang Mai 1936 hat sich Arnold in Augsburg nach London abgemeldet. Vielleicht war seine kurz zuvor erfolgte Entlassung als Geschäftsführer und Mitarbeiter der Spinnerei & Weberei am Sparrenlech dazu der unmittelbare Anlass. Gleichwohl war seine Emigration nach London alles andere als einfach. Nicht nur, dass in Deutschland die Hürden für eine Ausreise immer höher wurden, auch die Barrieren für eine Einreise in die Nachbarländer wurden immer größer.
Lässt sich Genaueres sagen, auf welcher Route Hans Arnold nach England floh?
Koch: Leider nein. Aber die Vermutung liegt nahe, dass er mit dem Auto nach England gefahren ist. Welche Route er genommen hat, ist unbekannt. Als sicher dürfen wir annehmen, dass er die Fähre von Calais nach Dover verwendet hat. Nach der Ankunft in London wurde der Mercedes wahrscheinlich nicht mehr benutzt, sondern abgestellt. Es dürfte damals nicht ratsam gewesen sein, in einem Wagen mit deutschen Kennzeichen durch London zu fahren. Hans Arnold und seine Frau Hildegard hielten sich von Mai 1936 bis September 1938 in London auf. Belegt ist, dass Hans Arnold zuImmobilienbesitz, nächst von London aus alleine nach New York weiterreiste, um die Emigration in die USA vorzubereiten. Und belegt ist auch, dass Hildegard vor ihrer Hochzeit in London nochmals nach Deutschland reiste, um die Voraussetzungen für ihre dauerhafte Einreise in die USA zu regeln. Sie wurde von der Gestapo überwacht. Es gibt eine umfangreiche Akte.
Was passierte weiter mit dem Auto?
Koch: Das Cabriolet wurde an einen britischen Autohändler verkauft. Dann wurde der Mercedes am 22. Oktober 1937 in Warwick auf die Castelblom Motor Ldt in Sheffield zugelassen. Er erhielt ein englisches Kennzeichen. 1961 kam er in den Besitz von Antony Bates. Er hat das Auto fast 50 Jahre lang besessen.
Wie lange hat die Restaurierung des zerlegten Oldtimers gedauert und wie aufwendig war sie?
Koch: Ich habe das Auto im November 2014 erworben. Es wurde in Etappen restauriert und ist gerade fertig geworden. Man braucht für diese Arbeit Geduld, handwerkliche Fähigkeiten und Spezialwissen. Wichtig war, dass wir die Reihenbau-Nummer hatten. Nur über diese Nummern lässt sich aus den Ersatzteilbüchern das einzig richtige Ersatzteil finden. Das Finden des richtigen Teils ist eine Wissenschaft für sich, langwierig und teuer. Wir haben einen sechsstelligen Betrag investiert. Die Kaplans besitzen eine Familien-Oldtimer Sammlung und Brad Kaplan, der Bruder von Bettina Kaplan, Großneffe von Hans Arnold, ist ebenfalls Oldtimer-Fan, und so haben wir uns gegenseitig angespornt, um bei der Restaurierung eine sogenannte Concours Quality zu erzielen.
Der Arnold-Mercedes wird ab Dienstag in einer neuen Sonderschau des Staatlichen Textil- und Industriemuseums in Ausburg zu sehen sein, Warum?
Koch: Dort läuft die Sonderschau „Kahn & Arnold – Aufstieg, Verfolgung und Emigration zweier Augsburger Unternehmerfamilien im 20. Jahrhundert“. Wir wollen das fertig restaurierte Auto dort zum ersten Mal öffentlich zeigen.
Was passiert mit dem Oldtimer nach der Ausstellung?
Koch: Vorgesehen ist, dass der Arnold-Mercedes wieder in den Schoß der Familie zurückkehrt. Die Nachfahren von Hans Arnold möchten den Oldtimer gerne in ihre Sammlung übernehmen.
Interview: Eva Maria Knab
Gottfried Koch,
66, war Mitgründer einer größeren Softwarefirma, die im Jahr 2000 an die Börse ging. 20 Jahre hatte er eine Professur für Informatik an der Universität Leipzig.