Wer die Hochschulreife hat, fühlt sich nicht immer reif für die Hochschule
suchen sie Entschleunigung. Damit protestieren sie – bewusst oder unbewusst – gegen eine Leistungsgesellschaft, in der bereits 13-Jährige eine 40-Stunden-Woche bewältigen und kaum Zeit fürs Fußballtraining finden. Denn wie soll das weitergehen: Abitur mit 17, Bachelor mit 20, Master mit 23? Dann arbeiten, vielleicht bis 70, wer weiß das schon?
Auch Alisa Kollmannsperger, 19, hat pausiert. Als sie vor einem Jahr ihre letzte Prüfung am Gymnasium Königsbrunn abgegeben hat, war die Freude groß: Die Wochen am Schreibtisch, die Nase in Büchern und Ordnern gesteckt, waren vorbei. Rückblickend sagt sie jedoch: „Ich fühlte mich ins kalte Wasser geschmissen. Das war schon ziemlich krass.“Die Einschreibungsfrist fürs Wintersemester ließ sie verstreichen. Sie wollte nicht eilig ein Studienfach belegen, um im ersten Semester zu bemerken, dass es das Falsche ist. Alisa jobbte stattdessen, machte ein Praktikum und informierte sich bei Hochschultagen. Nun, ein Jahr später, hat sie die Fächer Kommunikationsdesign und BWL in die engere Auswahl genommen. Ob sie sich vor anderen rechtfertigen musste für ein Jahr Leerlauf? „Nein, das ist ja inzwischen normal.“
Diesen Trend bestätigt auch Susanne Bock. Sie ist Abiturientenberaterin bei der Augsburger Arbeits- agentur und hilft bis zu 20 Schülern pro Woche, zu einer Entscheidung zu finden. In den drei Wochen vor dem Einschreibungsstopp am 15. Juli ist ihr Kalender voll. Wer im Herbst im Hörsaal hocken will, dem sitzt nun die Zeit im Nacken. Die 45-Jährige sagt: „Es gibt viele, die noch immer wenig Plan haben. Die Fülle an Optionen ist so groß. Nur, was sie nicht wollen, wissen sie genau.“Vor zehn Jahren hätten sich noch deutlich weniger Abiturienten ein Jahr Bedenkzeit genommen. So viel Freiheit – eine Bürde?
Katja Walther, 18, beginnt im eine Ausbildung zur Polizistin. „Ich wollte etwas Festes in der Tasche haben. Und endlich etwas Praktisches machen. Studieren kann ich danach ja immer noch“, sagt sie. Zu wissen, wie es weitergeht, habe ihr den Druck genommen, in den Prüfungen glänzen zu müssen.
Ende Juni findet nun ihr Abiball statt. Die Schüler des Aichacher Deutschherren-Gymnasiums werden dann Kleid und Anzug anziehen, den Lehrern ein letztes Mal offiziell die Hände schütteln, tanzen, vielleicht über alte Geschichten von Wandertagen oder verschlampten Schulaufgaben lachen. Sich vielleicht ein paar Tränen verkneifen. Nicht jeder redet gern darüber, was nach diesem Abend kommt.
Die Schule gleicht einer Blase. Mit Ferien, die das Jahr strukturieren, und dem Wissen, dass nach dem Sommer jeder noch so miese Notenschnitt wieder auf null gesetzt wird. Mit Cliquen, die in der Mittagspause geschlossen zur Dönerbude schlendern und sich hustend die allererste Zigarette teilen. Einer Blase, in der sich wichtige Fragen noch mit einem Kreuzchen auf KaSeptember ro-Papier beantworten lassen: Willst du mit mir gehen? Ja, nein, vielleicht.
Diese Blase zerploppt mit dem Abitur. Und von dem, was außerhalb wartet, wissen die Schüler noch immer nicht genug. Bock sagt: „Gymnasiasten beschäftigen sich relativ wenig mit der Berufswahl. Sie haben zum Beispiel kaum praktische Erfahrungen.“Dafür habe sie sogar Verständnis: Im Lehrplan sei wenig Platz dafür – auch wenn das G8 mit Praxisseminaren eine Besserung gebracht habe. Außerdem wollten die Schüler ihre überschaubare Freizeit