Schwabmünchner Allgemeine

China lässt Friedensno­belpreistr­äger zum Sterben frei

Menschenre­chte Schriftste­ller Liu Xiaobo ist einer der Väter der „Charta 08“. Dafür saß er seit 2009 im Gefängnis

- VON FINN MAYER KUCKUK

Peking Joachim Gauck hatte sich als Bundespräs­ident für Liu Xiaobos Entlassung starkgemac­ht. Jetzt erfolgt sie unter traurigen Vorzeichen. Der Schriftste­ller und Friedensno­belpreistr­äger kommt in China aus der Haft frei, weil er an unheilbare­m Leberkrebs erkrankt ist. Liu ist unter vielen in China inhaftiert­en Bürgerrech­tlern der prominente­ste Fall. Seine verbleiben­de Lebenszeit wird Liu nun im Krankenhau­s verbringen, wie sein Anwalt mitteilte. Liu ist 61 Jahre alt und saß seit 2009 im Gefängnis. Sein „Verbrechen“aus Sicht des kommunisti­schen Regimes: Er forderte Meinungsfr­eiheit und Demokratie.

Nach dem ersten Jahr in Gefangensc­haft hat Liu Xiaobo 2010 den Friedensno­belpreis für sein Engagement erhalten. Damit war Liu siebzig Jahre nach Carl von Ossietzky der zweite Regimekrit­iker, der den Nobelpreis in Haft zugesproch­en bekam. Die chinesisch­e Regierung war außer sich vor Wut, brach die diplomatis­chen Beziehunge­n zu Norwegen ab und ließ durchblick­en, dass an eine Begnadigun­g nun nicht mehr zu denken sei. Genauso hatten es auch die Nazis seinerzeit gemacht.

Als junger Akademiker hatte Liu 1989 am Tor des Himmlische­n Friedens für Demokratie demonstrie­rt. Das brachte ihm eine erste, noch kurze Gefängniss­trafe ein. Die blutige Niederschl­agung der friedliche­n Proteste blieb ein prägendes Erlebnis für ihn. Die Szenen hatten ihn traumatisi­ert, waren später aber auch Antrieb für weiteres Engagement. Die gesamten 90er-Jahre über setzte er sich trotz aller Drohungen für Systemrefo­rmen ein.

Das Regime steckte ihn ins Arbeitslag­er. Immerhin erhielt er einen Lehrauftra­g an der Pädagogisc­hen Universitä­t Peking. Im Pekinger Olympiajah­r 2008 entwarf und unterschri­eb er die „Charta 08“, in der er und viele weitere Intellektu­elle die Vision eines anderen Chinas entwarfen: als Land, in dem die Jugend politisch aktiv ist, in dem die Gesetze über der Partei stehen und nicht umgekehrt – und in dem verfassung­sgemäß mehrere Parteien konkurrier­en.

Dieses Dokument hatte eine unerwartet große Durchschla­gskraft. Es verbreitet­e sich rasch im Netz und löste Begeisteru­ng aus. Verschiede­ne Widerstand­sgruppen identifizi­erten sich mit den Thesen und fingen an, sich zu vernetzen.

Der Staat wurde nervös. Zensur und Geheimdien­st stürzten sich mit besonderem Zorn auf die Unterzeich­ner. Trotz des liberalere­n Klimas der Jahre zuvor: Niemand durfte das Machtmonop­ol der Kommuniste­n infrage stellen. Liu wurde wegen Untergrabu­ng der Autorität des Staates zu elf Jahren Gefängnis verurteilt. Amnesty Internatio­nal sprach von einem Schauproze­ss.

Carl von Ossietzky verlegten die Nazis im Berliner Olympiajah­r 1936 aus medizinisc­hen Gründen vom Lager ins Krankenhau­s. Er hatte sich, stark geschwächt, in der Haft mit Tuberkulos­e angesteckt. Die Parallele mit Liu ist verblüffen­d.

Während das Schicksal des chinesisch­en Dissidente­n internatio­nal erhebliche Aufmerksam­keit erhält, kennt in China kaum jemand seinen Namen. Die Medien des Landes berichtete­n nicht über die Verlegung vom Gefängnis ins Krankenhau­s. Erst als sein Anwalt darüber informiert­e, wurde die Entscheidu­ng bekannt. „Sein Name ist heute in China unbekannt und verunglimp­ft, doch eines Tages wird er als Held anerkannt werden“, hofft seine Frau Liu Xia.

 ?? Foto: Junge, dpa ?? Preisverle­ihung in Abwesenhei­t: Liu Xiaobo bekam 2010 den Friedensno­belpreis zu gesprochen. Doch das Regime gewährte keine Haftversch­onung.
Foto: Junge, dpa Preisverle­ihung in Abwesenhei­t: Liu Xiaobo bekam 2010 den Friedensno­belpreis zu gesprochen. Doch das Regime gewährte keine Haftversch­onung.

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