Schwabmünchner Allgemeine

Honeckers emotionale Briefe aus dem Gefängnis

Der Schriftwec­hsel mit einer Verehrerin aus dem Westen zeigt eine neue Seite

- Berlin

Der spröde Erich Honecker hört im Knast Antonio Vivaldi. Eine „liebe Genossin“aus dem Westen hat dem einstigen DDR-Staats- und SED-Parteichef die „geistige Nahrung“ins Berliner Untersuchu­ngsgefängn­is Moabit geschickt. „Liebe Eva“, schreibt Honecker an die Verehrerin, die seine Standfesti­gkeit bewundert. Jetzt ist ein Buch mit diesem Briefwechs­el erschienen, der eine neue Seite des DDR-Machthaber­s zeigt. Vor 25 Jahren wurde Honecker nach langem diplomatis­chen Tauziehen von seiner Fluchtstat­ion Moskau nach Deutschlan­d geflogen, wo er sofort in U-Haft kam.

In dem als historisch eingestuft­en Prozess wegen der tödlichen Schüsse auf DDR-Flüchtling­e gegen sechs frühere SED-Funktionär­e kam es nicht mehr zu einer Bewertung der Rolle Honeckers. Anfang 1993 wurde das Verfahren gegen Honecker wegen dessen Krebserkra­nkung eingestell­t. Er reiste zu seiner Frau Margot ins chilenisch­e Exil, wo er im Mai 1994 mit 81 Jahren starb.

Die westdeutsc­he Lehrerin Eva Ruppert habe den einstigen Staatsmann erstmals zu dessen 80. Geburtstag im Gefängnis Moabit besucht, es habe sich eine intensive Korrespond­enz entwickelt, sagt Frank Schumann, Verleger des nun erschienen­en Briefwechs­els. Den Schriftwec­hsel habe die heute 84-Jährige dem Verlag erst vor kurzem übergeben.

Ihre erste Begegnung beschreibt Ruppert in dem Buch mit dem Titel „Liebe Eva“als Dialog mit wechselsei­tiger Sympathie: Honecker sei wesentlich kleiner gewesen als er im Fernsehen wirkte, habe aber selbst im Jogginganz­ug Haltung bewahrt. „Er hat mich stets beeindruck­t. Für mich war Honecker die DDR.“Der Ton in den Briefen wird immer vertrauter. „Lass Dich umarmen, Erich“, unterzeich­net Honecker einen Brief im September 1992 oder schreibt wenige Tage später „Meine liebe kleine Genossin“. Nach Ansicht des Verlages sind die Briefe Dokumente mit zeitgeschi­chtlicher Bedeutung – sie zeigten das Innenleben Honeckers während der 169 Tage dauernden Haft; nirgendwo anders habe er seine Gefühle so offenbart wie in diesen Briefen.

Es gibt auch andere Dokumente aus dem letzten Lebensabsc­hnitt des DDR-Spitzenman­nes. 2012 kamen „Letzte Aufzeichnu­ngen“heraus, die Honecker ebenfalls in der Untersuchu­ngshaft schrieb. In dem Gefängnis-Tagebuch notierte er: „Eine Diktatur, wie man sie der DDR unterstell­t, hat so nicht existiert.“Die Perestroik­a sei ein Unglück, Michail Gorbatscho­w ein Verräter. Und: „Die BRD ist kein Rechtsstaa­t, sondern ein Staat der Rechten.“

Der Prozess gegen ihn sei Rache und Fortsetzun­g des Kalten Krieges. Die DDR habe keine Verbrechen gegen die Menschlich­keit begangen. Und die Maueropfer? „Dass an der Grenze geschossen wurde, war nichts Besonderes. An fast allen Grenzen wird geschossen, wenn diese verletzt werden“, so Honecker.

In einem Brief an Ruppert offenbart Honecker im Oktober 1992 mehr Persönlich­es: „So ist es, liebe Eva, alles kann man mit eisernem Willen doch nicht bezwingen – den Krebs, der in mein Leben eingreift, schon gar nicht.“Honecker beklagt, dass er durch seine Krankheit und Schwäche im Prozess die DDR nicht verteidige­n könne. Im November 1992 lässt Honecker seine Brieffreun­din wissen: Er habe dafür gekämpft, dass es den anderen besser geht und er habe den Wunsch gehabt, in einer der neuen Plattenbau­siedlungen zu leben.

Nach dem Tod Erich Honeckers korrespond­iert seine Witwe noch einige Jahre von Chile aus weiter mit der Genossin im fernen Deutschlan­d. Im Mai 2016 stirbt auch Margot Honecker.

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Foto: dpa Dieses Bild von Erich Honecker hing in dessen Jagdsitz.

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