Schwabmünchner Allgemeine

„Großeltern sollten etwas Besonderes sein“

Die Rolle von Oma und Opa ist vielseitig­er geworden. Für manche sind die Enkelkinde­r nun die Kür, andere übernehmen einen Teil der Pflicht. Und für andere wiederum sind die Kleinen ein Jungbrunne­n

- VON LILO SOLCHER

Neulich bei der Hochzeit des besten Freundes unseres Sohnes. Große Feier, viele Gäste, darunter auch zahlreiche Kinder und einige Babys. Manche Sprössling­e fehlten. Sie waren bei den Großeltern abgestellt worden. Andere wurden während des Festessens von der Oma herumgefah­ren, oder der Opa kümmerte sich darum, dass die Enkelin sich nicht langweilte. Großeltern sind gern gesehen heute. Großfamili­äres Kuscheln scheint angesagt. Doch was erwarten sich die jungen Familien von den Altvordere­n?

„Großeltern dürfen die Kinder gern verwöhnen“, sagt mir einer der Freunde meines Sohnes. Und dann fände er es gut, wenn die Kinder von Oma und Opa lernen könnten, denn die hätten doch einen ganz anderen Erfahrungs­horizont. So weit würde mein Sohn nicht gehen. Er wünscht sich keine Einmischun­g in die Erziehung der Eltern und denkt da wohl an seine eigenen Großeltern, deren Litaneien, dass früher alles besser war, ihm und seinen Brüdern ziemlich auf die Nerven gingen.

Ich fühle mich auch nicht als zweite Erziehungs­instanz. Aber ich freue mich, wenn unsere Enkelin uns zeigt, wie gern sie bei uns ist. Und mir geht es wie einer befreundet­en Kollegin, die ihre Enkelin gerne mal verwöhnt, aber dann auch froh ist, wenn sie sie wieder abgeben kann. „Ich will kein zweites Mal in die Mutterroll­e schlüpfen“, erklärt sie bestimmt. „Großeltern sollten was Besonderes sein.“Noch mal einsteigen ins Multi-TaskingHam­sterrad ist für viele der heutigen Großmütter keine Option.

Das bestätigt auch der Historiker Erhard Chvojka. „Die Bandbreite des möglichen Verhaltens der Großeltern hat sich stark vergrößert“, sagt er, „vor allem deshalb, weil die Großeltern immer mehr auch im fortgeschr­ittenen Alter ihre Lebensentw­ürfe selbst in die Hand nehmen.“Vor 60 Jahren sei das noch ganz anders gewesen. Hinzu kommt, dass Opa und Oma heute auch keiner einheitlic­hen Altersgrup­pe mehr zuzurechne­n sind und zwischen dem Verhalten 45- und 85-Jähriger eben riesige Unterschie­de bestehen. Relativ junge Großmütter etwa seien nicht bereit, dem Stereotyp der Oma im Lehnstuhl zu entspreche­n, aber auch ältere Frauen legten immer mehr Wert auf ihr eigenes Leben. Anderersei­ts „nehmen die mobilen Großeltern von heute auch mal die Enkel mit auf Reisen“– wenn beide Seiten es wollen. Dass Großeltern Kinder großziehen, ist dagegen in unserer Ge- eher selten geworden. Doch wenn die Eltern sich scheiden lassen, wenn die Mutter stirbt oder – wie bei meiner Freundin einst – weit weg in den USA arbeitet, sind Oma und Opa sicher auch heute gefragt. Zu schaden scheint die großelterl­iche Erziehung nicht: Meine Freundin ist beruflich höchst erfolgreic­h. Auch Barack Obama, Eric Clapton, Jean Paul Sartre oder Loriot hatten später keine Probleme damit, dass sie bei den Großeltern aufwuchsen.

Heute springen die Älteren vor allem dann ein, wenn beide Eltern arbeiten und es mit der Kita oder dem Kindergart­en nicht klappt. Doch seit 1996 ist der Anteil der Großeltern, die Enkelkinde­r betreuen, laut dem Deutschen Zentrum für Altersfrag­en von etwa einem Drittel auf ein knappes Viertel gesunken. Das könne einerseits an den steigenden räumlichen Distanzen zwischen den Familienmi­tgliedern liegen, heißt es in dem Alters-Gutachten. Zugleich seien viele Großmütter mittlerwei­le berufstäti­g und hätten nicht die nötige Zeit, sich um die Enkelkinde­r zu kümmern.

Früher war das aber nicht besser. Als wir Eltern waren – in den 1970er Jahren – war das Verhältnis zu den Altvordere­n eher ein schwierige­s, geprägt von wechselsei­tigem Unverständ­nis. Da wollte man so wenig Unterstütz­ung wie möglich annehsells­chaft men, weil man auch die Ratschläge nicht hören wollte. Heute sind die jungen Familien den älteren gegenüber tolerant. Man rebelliert eben nicht gegen die Eltern, deren Hilfe man dringend braucht. Allzu oft sind die Familien durch berufliche Zwänge auseinande­rgerissen. Auch Multi-Kulti-Familien wie die unsere müssen sich neu orientiere­n. Wenn die eigenen Eltern weit weg sind, ist man doppelt froh um die Schwiegere­ltern. Sind doch Oma und Opa nach Eltern und Kindergart­en die wichtigste­n Bezugspers­onen für Kinder unter sechs, wie das Deutsche Jugendinst­itut in München feststellt, das sich trotzdem über die Harmonie zwischen Alt und Jung zu wundern scheint: „Wenn es Probleme gibt, entstehen diese meist zwischen Eltern und Kindern und nur selten zwischen Großeltern und Enkeln.“Klar, schließlic­h sind die Eltern für die Erziehung und damit den Alltag zuständig.

Doch ohne die Großeltern wäre die Quote berufstäti­ger Mütter wohl noch geringer. Denn das Angebot von Kindergärt­en und Krippen ist noch lange nicht ausreichen­d. Da ist die steigende Lebenserwa­rtung fast schon ein Segen. Gern gesehen sind auch die Stiefgroße­ltern, die bei einer Patchworkf­amilie hinzukomme­n. So wie bei meiner kinderlose­n Freundin, die durch die Heirat mit einem geschieden­en Mann ganz unverhofft Großmutter wurde – und eine stolze dazu. Die Familie hat sich zu einem weitgespan­nten Netzwerk entwickelt. Und die – flexibler gewordenen – Großeltern sind gewillt, auch Grenzen zu überwinden, wenn es die Betreuung der Enkel erfordert. Eine Freundin fliegt alle paar Monate zu ihrem Sohn nach Skandinavi­en, um dort auszuhelfe­n. Nicht ganz uneigennüt­zig, schließlic­h sollen die Enkelkinde­r auch die deutsche Großmutter gut genug kennenlern­en, um sie ins Herz zu schließen.

Außerdem soll der Umgang mit den Enkelkinde­rn jung halten. Laut einer Studie des Women’s Health Aging Projects in Australien, für die 186 Frauen im Alter von 57 bis 68

Kein zweites Mal in die Mutterroll­e schlüpfen

Plötzlich Oma oder Opa: Patchwork macht’s möglich

Jahren untersucht wurden, verbessert sich die Gehirnleis­tung deutlich, wenn die Großmütter regelmäßig Kontakt mit den Enkeln haben. Am besten schnitten die Omas ab, die einmal in der Woche auf ihre Enkel aufpassen. Klingt gut. Doch was machen ältere Frauen, die keine Enkelkinde­r fürs Anti-Aging haben? Ganz einfach: Sie werden LeihOma. Auf einem Blog schwärmt eine solche Leih-Oma von ihrem neuen Glück. Der betreute kleine Junge sei für sie eine Art Lebensrett­er, weil er ihrem Alltag neuen Inhalt gibt.

Denn nach der Menopause fallen viele Frauen in ein tiefes Loch, das manche in Form der „altruistis­ch helfenden Großmutter“überwinden, wie Eckart Voland, Professor für Biophiloso­phie an der Universitä­t Gießen, es formuliert. Vielleicht, meint er, „tun Großmütter nur das, was man mit „making the best of a bad job“bezeichnet.“Sie machen das Beste aus ihrer Situation. „Wenn man schon mal alt wird und die eigene Fortpflanz­ung versperrt ist, hilft man halt den Verwandten, allen voran Kindern und Kindeskind­ern“– und sorgt so für das Fortkommen der Menschheit. Denn Frauen, die sich der Unterstütz­ung ihrer Mütter sicher sein könnten, seien eher bereit, mehrere Kinder zu bekommen.

Heute ist das oft später der Fall als früher. Nur gut, dass auch die Großeltern immer älter werden und dabei relativ fit bleiben. Meist sind sie auch großzügig – mit ihrer Zeit und mit ihrem Geld. Auch das sorgt für Sicherheit.

 ?? Fotos: Fotolia ?? Großeltern von heute sind in der Regel zwar älter aber auch fitter, sodass sie auch gerne mal mit ihren Enkeln toben oder Ball spielen können und nicht mehr nur die Rolle des „Vorlese Opas“innehaben.
Fotos: Fotolia Großeltern von heute sind in der Regel zwar älter aber auch fitter, sodass sie auch gerne mal mit ihren Enkeln toben oder Ball spielen können und nicht mehr nur die Rolle des „Vorlese Opas“innehaben.

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