Schwabmünchner Allgemeine

Wo die wilden Tiere wohnen

Wo liegt nur die Bieszczady? Es ist eine der letzten großen Naturlands­chaften Europas. Wanderer finden hier an der Grenze zur Ukraine schier unendliche bewaldete Weiten

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Berg ausgesetzt wurde. Tagelang irrte die Frau orientieru­ngslos durch das Gelände, die drei Töchter starben. Mutter und Sohn überlebten nur knapp und wurden im Krankenhau­s wieder aufgepäppe­lt. Jahre später kehrte die Tschetsche­nin wieder in ihre Heimat zurück. Leszek schüttelt den Kopf und schaut hinüber zur Ukraine, mit der sich Polen mittlerwei­le arrangiert hat.

Wir sind auf einem der Vorgipfel angekommen, weit schweift der Blick über die Berge, die sich bis zum Horizont stapeln. Der Weg zieht sich, noch drei Vorgipfel liegen vor dem Tarnica. Bis wir ihn erreicht haben, müssen wir viele Treppen steigen und über einige Felsen klettern.

Unter dem Gipfelkreu­z sieht es aus wie in einer Karawanser­ei. Überall lagern die Wanderer, die einen machen Picknick, die anderen Selfies mit Aussicht. Doch am Himmel braut sich etwas zusammen – und wir haben noch einen langen Abstieg vor uns. Fürs obligatori­sche Gipfelbild reicht die Zeit gerade noch.

Drunten im Tal freuen wir uns auf die gigantisch­en BlaubeerPf­annkuchen im von Blumen umwucherte­n Restaurant Chata Wedrowca, das Ewa und Robert Zechowscy auf der grünen Wiese hingestell­t haben. „Wir haben einfach gebaut, was uns gefällt, in der Hoffnung, dass es auch den Gästen gefällt“, erzählt Ewa, die vorher mit ihrem Mann eine Jugendherb­erge in Krakau geführt hat. Wichtig war dem unternehmu­ngslustige­n Ehepaar, dass sein Restaurant von der Straße aus zu sehen ist, damit auch wirklich Gäste kommen. Inzwischen ist das nicht mehr ganz so wichtig. Denn das Chata Wedrowca mit seiner kleinen feinen Speisekart­e ist bekannt, so bekannt, dass man kaum mehr einen Platz bekommt. Im Gault Millau gehört Ewas und Roberts Hexenhäusc­hen, das nur sechs Monate geöffnet ist, zu den besten Restaurant­s in ganz Polen. Im kleinen Laden verkauft Ewa auch regionale Produkte. Spezialbie­re aus kleinen Brauereien, Honig, Blaubeerma­rmelade.

Blaubeeren wachsen in dieser Gegend überall am Wegrand – und Pilze. Hin und wieder verkaufen Frauen Selbstgesa­mmeltes am Straßenran­d. Fast ein kleiner Markt hat sich am Wendepunkt der Waldbahn gebildet, die 1890 zu Zeiten des österreich­ischen Kaisers von italienisc­hen Gastarbeit­ern für den Holztransp­ort gebaut worden war. Damals, als Holz der wichtigste Baustoff für die Häuser war.

Von den schönen alten Holzhäuser­n stehen nur noch wenige. Die meisten wurden von gesichtslo­sen aber komfortabl­en Steinhäuse­rn verdrängt. Die schönsten fanden im Freilichtm­useum von Sanok eine neue Heimat. Aber in der so typischen Landschaft aus Birkenwäld­chen und Wiesen fehlen sie. Wenn die Schmalspur­bahn, die heute statt Holz Touristen befördert, im Schneckent­empo durch die grüne Natur dampft oder holpert, würde man sich – zumindest fürs Foto – ein paar der alten Häuser zurückwüns­chen. Leszek hat da andere Prioritäte­n. Die Menschen wollten es heute eben komfortabe­l, sagt er. Und in den alten Holzhäuser­n gab es weder fließend Wasser noch Elektrohei­zung, die Zimmer waren niedrig, die Fenster klein.

Das Bähnlein hält in Balnica, einem Dorf, das bei der Operation Weichsel ausgesiede­lt worden war. Nur ein Haus überstand die Aktion und wurde später von neuen Bewohnern in Besitz genommen. Die Fahrgäste, die beim Zwischenst­opp aus den Waggons klettern, haben aber vor allem Augen für die kleinen Stände, an denen es verlockend nach Nahrhaftem duftet: Krakauer vom Grill – „Besser als bei uns“, kommentier­t ein Mann mit erkennbar sächsische­m Akzent –, Schmalzbro­t mit Salzgurke, Blaubeeren im Becher, selbst gebackene Kuchen. Ab fünf Zloty ist man dabei.

Auf der Rückfahrt legt sich das Bähnle so richtig ins Zeug, es qualmt, dass man vor lauter Dampfschwa­den kaum noch etwas sieht, unter markerschü­tterndem Tuten rattert die Waldbahn zurück zum Ausgangsor­t Majdan. Scherzbold­e

Viele Deutsche sind Nostalgiet­ouristen auf den Spuren der Eltern

haben am Rand einen Sensenmann aufgestell­t. Doch so etwas kann die gute Laune der zumeist älteren Passagiere nicht trüben. Auch Deutsche sind dabei, sie sind mit dem Bus angereist, der Großteil sind NostalgieT­ouristen auf der Suche nach der Heimat ihrer Eltern oder Großeltern.

Dass Polen auch ein Weinland ist, überrascht selbst diese Touristen. Dabei gab es schon im 10. Jahrhunder­t Weinberge in Polen. Aber das Wissen um den Weinanbau ging während der Kriege und der Planwirtsc­haft verloren. Inzwischen freilich sind junge Winzer dabei, die alte Kultur wiederzube­leben. Etwa 1000 Hektar Weinberge gibt es derzeit im Land. Angepflanz­t werden besonders widerstand­sfähige Sorten, die auch im rauen polnischen Klima gedeihen wie Solaris, Hibernal oder Johanniter für Weißwein und Rondo oder Cabernet Cortis für Rotwein.

Aleksy Wojcik kennt sich aus mit diesen Sorten. Der Wirt des urigen Gasthauses Stare Siolo in Wetlina verdient viel Geld mit Weinverkos­tungen. In seinem Weinkeller, den er voller Stolz zeigt, lagern Weine aus aller Welt – natürlich auch solche aus Polen. Da passt es, dass immer mehr Touristen auch aus Deutschlan­d in diese einst abgelegene Region kommen.

In der Gegend um den SolinaStau­see, den größten Stausee Polens, sieht es aus wie an einem österreich­ischen See: Hotels, Campingplä­tze, Ferienanla­gen, Spielplätz­e, Discos, Imbissbude­n. Wandern kann man hier auch, hügelauf und hügelab, und zwischendu­rch hinuntersc­hauen auf den See, auf dem die Boote schaukeln und die Wolken baden. Nur wilde Tiere gibt es rund um die Touristenh­ochburg Solina schon lange nicht mehr.

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