Lange nicht mehr so gelacht
Impro-Theaterfestival im Martinipark
Dramatisch gehen Mittel- und Zeigefinger zum Herzen und aus der Schulter heraus zum Apachen-Friedensgruß. Mit starrem Blick auf ihren Kollegen Jörg Schur zückt Birgit Linner das Messer, zieht es über ihren Unterarm. Geistesgegenwärtig ritzt sich auch Schur die Haut und kreuzt den Arm mit ihrem. Blutsbrüderschaft und tosender Applaus. Lustig, leichtfüßig und scheinbar gut geprobt kommt die Szene rüber. Dabei ist sie der Schluss eines turbulenten Stegreiftheaters. Nichts war besprochen, geschweige denn einstudiert. Selbst dass es ein Western werden würde, entschied das Publikum erst Sekunden vorher.
120 gut integrierte Zuschauer im Martini-Park hatten den beiden als dem Heimteam- und dem Münchener Gastteam, bestehend aus Monika Esser-Stahl und Christine Sittenauer vom Fastfood-Theater, den Western als Genre an die Hand gegeben. Traten die beiden Mannschaften des neunten Impro-Theaterfestival sonst gegeneinander an, wechselten sie hier die Partner. Dramaqueen Kitty (Sittenauer) positioniert sich als Pferdefreundin. Fury heißt es, nicht gerade John Wayne-Style, aber egal. Ohne Bedenkzeit eröffnet sie die Geschichte. Ihr Mann Joe (Jörg Schur) verlasse sie für ein Jahr, klagt sie. Wenn er zurückkehrt, liege der Saloon regelmäßig in Trümmern, nur Fury ist
Eine Dramaqueen, ein Pferd und zwei Blutsbrüder
gerettet. Auftritt Joe. Er nimmt die Fäden auf, beschwichtigt. Szenenwechsel, eingeleitet von dem Berliner Musiker Marc Schmoll am Synthesizer. Die Indianer Linner und Esser-Stahl hocken am Lagerfeuer. Sie wollen Fury. Händeklatschen von Schmoll bedeutet: Sprachwechsel von Deutsch in Indianersprache, bei gleichem Tempo. Phänomenal! Dann aufs Pferd und über die Bühne zu Joe und Kitty. Das Publikum grölt schon. Sie greifen an. Kitty stirbt schließlich durch den Bogen von Esser-Stahl. Auch Fury wird erlegt. Dann folgt die Blutsbrüderschaft zwischen Rothaut Linner und dem Weißen Joe.
Konzentriert liefern die vier Unterhaltung auf höchstem Niveau. Sie kennen sich seit langem und sind das Beste, was die südbayerische ImproSzene zu bieten hat. Doch nicht nur das ist es, was ihre Comedy-Improvisationen mit viel Tempo vorantreibt. Es gibt eine Art gemeinsames Kulturgedächtnis, das sie zusammenhält. Anspielungen auf Märchen, Mythen, kultige Fernsehserien, Lokalgeschichten und Kindheitserlebnisse wollen verstanden, aufgenommen und weiter gesponnen werden.
Bei der Kategorie Lokalbezug fehlte das gemeinsame Gedächtnis. Das Publikum wählte den Stoinernen Ma und musste erst mal eine Einführung zur Geschichte geben. Spontan umgesetzt ging das dann so: Im 30-jährigen Krieg hängt Bäckermeister Linner frustriert am Stuhl: Das Mehl ist alle. Bürgermeister Schur erbittet sich Bedenkzeit und reibt sich angestrengt die Stirn. „Griblgriblgribl …“, murmelt er. Ein Lach-Tsunami aus den Zuschauerreihen. „So, genug gegriblt. Nimm Kieselsteine und mahl sie, Meister“, erklärt er. Ok, Lechkiesel sollen es sein, so der Bäcker. Schur übernimmt den Ball, Linner ist jetzt Lechbäck.
Durch Publikums-Voting zum Sieger erklärt wurde am Ende Marc Schmoll. In einer überragenden Nummer arrangierte er aus dem Nichts eine Oper am Klavier, sang Sopran, Alt, Tenor und Bass selbst, während die Schauspieler zu den Stimmen pantomimisch und persiflierend tätig waren. Lange nicht so gelacht!