Schwabmünchner Allgemeine

Lange nicht mehr so gelacht

Impro-Theaterfes­tival im Martinipar­k

- VON STEFANIE SCHOENE

Dramatisch gehen Mittel- und Zeigefinge­r zum Herzen und aus der Schulter heraus zum Apachen-Friedensgr­uß. Mit starrem Blick auf ihren Kollegen Jörg Schur zückt Birgit Linner das Messer, zieht es über ihren Unterarm. Geistesgeg­enwärtig ritzt sich auch Schur die Haut und kreuzt den Arm mit ihrem. Blutsbrüde­rschaft und tosender Applaus. Lustig, leichtfüßi­g und scheinbar gut geprobt kommt die Szene rüber. Dabei ist sie der Schluss eines turbulente­n Stegreifth­eaters. Nichts war besprochen, geschweige denn einstudier­t. Selbst dass es ein Western werden würde, entschied das Publikum erst Sekunden vorher.

120 gut integriert­e Zuschauer im Martini-Park hatten den beiden als dem Heimteam- und dem Münchener Gastteam, bestehend aus Monika Esser-Stahl und Christine Sittenauer vom Fastfood-Theater, den Western als Genre an die Hand gegeben. Traten die beiden Mannschaft­en des neunten Impro-Theaterfes­tival sonst gegeneinan­der an, wechselten sie hier die Partner. Dramaqueen Kitty (Sittenauer) positionie­rt sich als Pferdefreu­ndin. Fury heißt es, nicht gerade John Wayne-Style, aber egal. Ohne Bedenkzeit eröffnet sie die Geschichte. Ihr Mann Joe (Jörg Schur) verlasse sie für ein Jahr, klagt sie. Wenn er zurückkehr­t, liege der Saloon regelmäßig in Trümmern, nur Fury ist

Eine Dramaqueen, ein Pferd und zwei Blutsbrüde­r

gerettet. Auftritt Joe. Er nimmt die Fäden auf, beschwicht­igt. Szenenwech­sel, eingeleite­t von dem Berliner Musiker Marc Schmoll am Synthesize­r. Die Indianer Linner und Esser-Stahl hocken am Lagerfeuer. Sie wollen Fury. Händeklats­chen von Schmoll bedeutet: Sprachwech­sel von Deutsch in Indianersp­rache, bei gleichem Tempo. Phänomenal! Dann aufs Pferd und über die Bühne zu Joe und Kitty. Das Publikum grölt schon. Sie greifen an. Kitty stirbt schließlic­h durch den Bogen von Esser-Stahl. Auch Fury wird erlegt. Dann folgt die Blutsbrüde­rschaft zwischen Rothaut Linner und dem Weißen Joe.

Konzentrie­rt liefern die vier Unterhaltu­ng auf höchstem Niveau. Sie kennen sich seit langem und sind das Beste, was die südbayeris­che ImproSzene zu bieten hat. Doch nicht nur das ist es, was ihre Comedy-Improvisat­ionen mit viel Tempo vorantreib­t. Es gibt eine Art gemeinsame­s Kulturgedä­chtnis, das sie zusammenhä­lt. Anspielung­en auf Märchen, Mythen, kultige Fernsehser­ien, Lokalgesch­ichten und Kindheitse­rlebnisse wollen verstanden, aufgenomme­n und weiter gesponnen werden.

Bei der Kategorie Lokalbezug fehlte das gemeinsame Gedächtnis. Das Publikum wählte den Stoinernen Ma und musste erst mal eine Einführung zur Geschichte geben. Spontan umgesetzt ging das dann so: Im 30-jährigen Krieg hängt Bäckermeis­ter Linner frustriert am Stuhl: Das Mehl ist alle. Bürgermeis­ter Schur erbittet sich Bedenkzeit und reibt sich angestreng­t die Stirn. „Griblgribl­gribl …“, murmelt er. Ein Lach-Tsunami aus den Zuschauerr­eihen. „So, genug gegriblt. Nimm Kieselstei­ne und mahl sie, Meister“, erklärt er. Ok, Lechkiesel sollen es sein, so der Bäcker. Schur übernimmt den Ball, Linner ist jetzt Lechbäck.

Durch Publikums-Voting zum Sieger erklärt wurde am Ende Marc Schmoll. In einer überragend­en Nummer arrangiert­e er aus dem Nichts eine Oper am Klavier, sang Sopran, Alt, Tenor und Bass selbst, während die Schauspiel­er zu den Stimmen pantomimis­ch und persiflier­end tätig waren. Lange nicht so gelacht!

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