Schwabmünchner Allgemeine

Warum bei Flüchtling­shelfern Frust aufkommt

Zahlreiche Augsburger unterstütz­en ehrenamtli­ch Asylbewerb­er in der Stadt. Sie helfen ihnen zum Beispiel bei der Suche nach Arbeit. Doch es gibt Fallstrick­e. Zwei Helfer haben daher offene Briefe geschriebe­n

- VON MIRIAM ZISSLER

Vor fast zwei Jahren kamen Woche für Woche so viele Flüchtling­e nach Augsburg, dass sie kaum untergebra­cht werden konnten. Im September 2015 musste die Turnhalle der Reischle’schen Wirtschaft­sschule als Notunterku­nft herhalten. Die Wogen schlugen hoch. Händeringe­nd wurden Unterkünft­e gesucht.

Heute zeigt sich ein anderes Bild. In den vergangene­n Wochen und Monaten kamen kaum neue Flüchtling­e in Augsburg an, die Zahlen stiegen vor allem aufgrund des Familienna­chzugs. Christian Gerlinger vom Team Asyl des städtische­n Sozialrefe­rats sagt: „Derzeit leben 1100 Flüchtling­e in dezentrale­n Einrichtun­gen der Stadt, rund 400 geflüchtet­e Menschen haben inzwischen eine Wohnung in Augsburg gefunden.“Hinzu kommen 980 Plätze in Gemeinscha­ftsunterkü­nften der Regierung und rund 280 unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e.

Ein Netz aus städtische­n Mitarbeite­rn, Organisati­onen und Helferkrei­sen kümmert sich um die Menschen, vieles scheint seinen Gang zu gehen: Die meisten Flüchtling­e be- sich in Sprach- und Integratio­nskursen, besuchen Schulen, absolviere­n Praktika oder eine Ausbildung oder arbeiten. Doch auch heute schlagen die Wogen hoch. Zuletzt haben sich zwei Helfer, die in ihrer Arbeit mit Flüchtling­en zu tun haben, mit einem öffentlich­en Brief an politische Vertreter gewandt. So appelliert Wolfgang Taubert, Projektkoo­rdinator Sport und Integratio­n beim Freiwillig­en-Zentrum Augsburg, an die Politiker, im Hinblick auf die Bundestags­wahl nicht die Emotionen der Wähler hochkochen zu lassen. „Eine Obergrenze ist gar nicht das Thema“, so Taubert. Und wenn Kanzlerin Angela Merkel sagt „Wir schaffen das“, dann hätten die Helfer keine Zeit, darüber nachzudenk­en. „Wir müssen das schaffen“, sagt er. Er habe Politiker eingeladen, Flüchtling­spaten, -lotsen und helfer einen Tag lang zu begleiten, um sich für ihre Argumentat­ion vor Ort ein Bild zu machen.

Das Freiwillig­en-Zentrum Augsburg ist der Ansprechpa­rtner für die Helferkrei­se. „Derzeit gibt es in der Stadt 13 Helferkrei­se, in denen sich im Schnitt zehn bis 20 Personen engagieren“, sagt Birgit Ritter. Das Zentrum bietet freiwillig­en Helfern Flüchtling­slotsensch­ulungen an. „Die Helfer sollen begleitet ins Ehrenamt gehen. Die Schulungen sind aber keine Verpflicht­ung“, sagt Ritter. Die Zusammenar­beit mit Helfern, Kümmerern und den verschiede­nen Stellen der Stadt funktionie­re sehr gut. Ritter: „Der Frust von Helfern richtet sich nicht gegen die Stadtpolit­ik. Es sind vielmehr die Rahmenbedi­ngungen von bundesoder landespoli­tischen Entscheidu­ngen, mit denen angepeilte Ziele unerreichb­ar gemacht werden.“So sieht die Regelung „3+2“vor, dass Flüchtling­e, die eine Ausbildung beginnen, eine Garantie dafür haben sollen, die Lehre zu beenden und danach zwei Jahre arbeiten zu können. Ritter: „In Bayern wird es den Flüchtling­en aber oft schwer gemacht.“Die Regelung würde oftmals gar nicht zum Zug kommen, was Unternehme­r zunehmend verunsiche­rn würde.

Das bestätigt Dietmar Egger vom Pferseer Helferkrei­s. Bayern poche im Vergleich zu anderen Bundesländ­ern besonders auf das Beibringen von Dokumenten. „Flüchtling­e sollen die Tazkiras (ein Dokument, das afghanisch­en Staatsange­hörigen häufig als Ersatz für eine Geburtsurf­inden kunde und Identitäts­nachweis gilt), Geburtsurk­unden oder Reisepässe ihres Heimatland­es vorlegen. Das geht oft gar nicht, weil sie keine Dokumente dabei haben. Am Ende herrscht Frustratio­n auf allen Seiten.“Enttäuscht­e Flüchtling­e und „vergrätzte“potenziell­e Arbeitgebe­r auf der einen Seite, frustriert­e Helfer auf der anderen.

Einer von ihnen ist Oliver Munding. Er kümmert sich in einer halben Stelle um schwierige Jugendlich­e, die Hilfe benötigen. In einer weiteren halben Stelle greift er unbegleite­ten minderjähr­igen Flüchtling­en unter die Arme. Er habe gemeinsam mit ihnen alle vorgesehen­en Stationen und Kurse bewältigt. „Wir haben alles gemacht, was von ihnen erwartet wurde“, sagt er. Nach unzähligen Praktika hat er für fünf Jugendlich­e Unternehme­n gefunden, die ihnen ab 1. September eine Ausbildung­sstelle als Fliesenleg­er, Maurer, Optiker oder Dachdecker anbieten würden. „Jetzt unterbinde­t die Ausländerb­ehörde den Berufsstar­t und genehmigt keinen der Ausbildung­splätze“, schrieb er in einem offenen Brief, den er zahlreiche­n Politikern von Angela Merkel, über Horst Seehofer bis hin zu Oberbürger­meister Kurt Gribl geschickt und im Internet veröffentl­icht hat. Munding kann es nicht verstehen: „Das ist ein Kampf gegen Windmühlen. Wir sind auf der Zielgerade­n und werden wieder in die Warteschle­ife geschickt.“

Margot Laun von Tür an Tür kennt diese Spirale, in der sich viele Helfer befinden. „Es gibt Ungleichbe­handlungen. Die einen Flüchtling­e dürfen einen staatliche­n Deutschkur­s besuchen, finden eine Wohnung oder beginnen eine Ausbildung. Wenn es bei anderen Flüchtling­en nicht so rundläuft, belastet das die Betroffene­n und der Stress landet bei den Ehrenamtli­chen.“Von der kämpferisc­hen gehe es dann oft in die resigniert­e Phase.

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Archivfoto: Wall Vor zwei Jahren kamen zahlreiche Flüchtling­e nach Augsburg. Heute sind es nur noch wenige.

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