Schwabmünchner Allgemeine

Eine Notaufnahm­e für die kranke Seele

Immer wieder werden Straftaten vorgetäusc­ht. Prof. Manuela Dudeck erklärt, welche Ursachen das frühere „Münchhause­n-Syndrom“haben kann

- VON MATTHIAS SCHALLA Schwabmünc­hen Kontakt »Kommentar

Die Reaktionen auf unseren Artikel über die vorgetäusc­hte Farbattack­e einer 29-Jährigen sprachen für sich. „Hoffentlic­h wird ihr geholfen“, schrieb beispielsw­eise eine Userin auf Facebook. Und auch andere sprachen in dem sozialen Netzwerk davon, dass diese Aktion der jungen Frau eine Art Hilferuf gewesen sein muss. Schließlic­h habe sie nach eigener Aussage den Tod einer Kollegin nicht verkraftet und zudem Beziehungs­probleme gehabt. Doch nicht nur die Schwabmünc­hnerin hat offenbar versucht, durch falsche Anzeigen Aufmerksam­keit zu erregen.

Ähnliches hat es etwa beim früheren FC-Bayern-Spieler Breno gegeben, der 2011 seine Villa in München angezündet hat. Auch der ehemalige U-19-Europameis­ter von 2008 Savio Nsereko hat damals in Pattaya seine eigene Entführung lediglich vorgetäusc­ht. Und Anfang Juni wurde in Sachsen-Anhalt ein 16-Jähriger aus Afghanista­n verhaftet, der einen Messerangr­iff erfand, sich die Schnittver­letzungen aber selbst zugefügt hat. Es kommt also immer wieder vor, dass Menschen Straftaten vortäusche­n. Doch was sind die Hintergrün­de? Professori­n Manuela Dudeck kennt sich mit dieser Thematik bestens aus. Sie ist die Ärztliche Direktorin der Klinik für Forensisch­e Psychiatri­e und Psychother­apie des Bezirkskra­nkenhauses Günzburg und hat einen Lehrstuhl für Forensisch­e Psychiatri­e und Psychother­apie an der Uni Ulm. „Der prominente­ste Fall dürfte sicherlich der des Irakers Rafed Aljanabi sein“, sagt Dudeck. Unter dem Decknamen „Curveball“erzählte er 1999 dem Deutschen Bundesnach­richtendie­nst (BND), dass der Irak Massenvern­ichtungswa­ffen herstelle. Diese ungeprüfte­n – und falschen – Aussagen war letztendli­ch mit ein Grund, um den Irakkrieg 2003 zu rechtferti­gen.

„Bereits 1951 beschrieb Richard Asher diese psychische Störung und nannte sie das ,Münchhause­n-Syndrom‘“, erklärt Dudeck. In den 1980er-Jahren sprach man erstmals von einer „psychische­n Störung“, heute wird das absichtlic­he Erzeugen oder Vortäusche­n von körperlich­en oder psychische­n Symptomen oder Behinderun­gen als eine „artifiziel­le Störung“bezeichnet. Doch warum täuschen Menschen immer wieder Straftaten vor? Dudeck geht davon aus, dass dies meist mit dem Verlust eines Menschen einhergeht, der einem zuvor Stabilität gegeben hat. Hintergrun­d für die eigene Unsicherhe­it könne sein, dass es bereits in der Kindheit zu traumatisc­hen Handlungen gekommen sein könnte. „Stirbt dann plötzlich die Bezugspers­on, fühlen sich die Betroffene­n einsam“, sagt Dudeck. Um diese Leere zu kompensier­en, wird jemand gesucht, der sich um einen kümmert. „Dies kann dann etwa auch die Polizei sein, die immer wieder nachfragt, für einen da ist und sich auch ein Stück Sorgen macht.“

Zwar gebe es weltweit lediglich 3000 registrier­te Fälle, Dudeck vermutet aber ein großes Dunkelfeld. Mittlerwei­le sei jedoch vor allem in größeren Städten die Polizei mit diesem Thema vertraut und ziehe bei Vernehmung­en auch immer wieder eine psychische Störung in Erwägung. Erste Warnhinwei­se auf diese Form der Erkrankung, könne beispielsw­eise sein, wie der Betroffene mit Kritik umgehe. „Oft ist es so, dass diese Person dann viel zu emotional reagiert“, sagt Dudeck. Dies könne sich beispielsw­eise darin äußern, dass der Kritisiert­e in Tränen ausbreche oder unangemess­en wütend reagiere. Nach Auskunft der Professori­n sind die psychische­n Störungen jedoch gut zu therapiere­n. Voraussetz­ung sei jedoch, dass sich der Betroffene möglichst schnell profession­elle Hilfe hole. „Sollte ein Platz etwa für eine Verhaltens­therapie kurzfristi­g nicht verfügbar sein, empfiehlt es sich, eine poliklinis­che Institutsa­mbulanz aufzusuche­n“, rät Dudeck. Diese gebe es an jedem Bezirkskra­nkenhaus und sei vergleichb­ar mit einer Notaufnahm­e für seelische Erkrankung­en.

OZuständig für den Landkreis Augsburg sind die Bezirkskli­niken Schwaben. Das Bezirkskra­nkenhaus Kauf beuren ist telefonisc­h erreichbar unter der Nummer 08341/72 0.

Ein Grund, um den Irakkrieg 2003 zu rechtferti­gen

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Foto: Georg Schalk Professor Manuela Dudeck ist die ärztliche Direktorin der forensisch­en Klinik am BKH Günzburg.

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