Schwabmünchner Allgemeine

Und plötzlich dieser Nacktradle­r

Die Isar halt! Eine Tour von der Quelle bei Scharnitz bis zur Mündung bei Deggendorf. 299 Kilometer Raderlebni­s. Was man alles erlebt, wenn man den Tag auf sich zukommen lässt

- VON RALF LIENERT

Langsam keuchen wir die Straße von Scharnitz hinauf, Umdrehung für Umdrehung bringen wir unsere Räder immer höher ins Hinterauta­l. Bäume spenden Schatten bei hochsommer­lichen 30 Grad. Dann öffnet sich der Blick auf das gewaltige Bergmassiv des Karwendel, und drunten im Tal fließt die noch junge türkisblau­e Isar. Vorbei an Almwiesen mit grasenden Kühen geht es durch den autofreien Naturpark Karwendel auf der Suche nach dem Isarurspru­ng.

Tatsächlic­h entdecken meine Frau und ich die Hauptquell­en der Isar zwischen Moos und Felsen. Inmitten von alten Ahornbäume­n fließen die Bächlein. Ganz klar und rein. Dieser Ort ist so schön, hier könnte man ins Philosophi­eren kommen. Über Dinge wie die Ursprüngli­chkeit unseres Lebens, unserer Natur. Wir füllen direkt an der Quelle unsere Wasserflas­che mit reinstem Gebirgswas­ser – der ideale Durstlösch­er und der Begrüßungs­schluck für die kommende Radtour entlang der Isar: 299 Kilometer Raderlebni­s pur.

Für den Rückweg nach Scharnitz brauchen wir deutlich weniger Zeit und können mit den zahllosen Radlern mit Elektroant­rieb locker mithalten. Durch das Naturschut­zgebiet „Riedboden“rollen wir nach Mittenwald mit seinem historisch­en Ortskern und dem Geigenbaum­useum. Schnell merken wir, dass der Isarradweg für alle Radlertype­n interessan­t ist. Wir werden von sportliche­n Kilometerf­ressern überholt, treffen Familien und unterhalte­n uns mit Ruhesuchen­den, die einfach nur entschleun­igen wollen – auf dem Rad oder auch zu Fuß. Wir haben ganz normale Straßenräd­er und das Gepäck ist in einem Anhänger verstaut. Viel brauchen wir nicht: Badesachen, Regencape, Kleidung für den Abendbumme­l, Waschbeute­l, Erst-Hilfe-Set und Flickzeug. Auf unserer Tour entlang der Isar von der Quelle bis zur Mündung bei Deggendorf erleben wir drei wesentlich­e Abschnitte: Oberbayern mit seinen mächtigen Bergen und der Postkarten­idylle, München mit seinem pulsierend­en Leben und Radlern, die nur auf sich schauen. Und Niederbaye­rn, wo die Menschen noch Zeit für ein Grüß Gott und ein Lächeln haben.

Die Isar zeigt viele verschiede­ne Gesichter. Von der Alpenwelt Karwendel radeln wir nach Krün, wo Bundeskanz­lerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama beim G7-Gipfel mit Weizenbier anstießen. Über Wallgau geht es zum eiskalten Bad im Sylvenstei­nspeichers­ee und zum „Internatio­nalen Flößerdorf“Lenggries. Hier sollte man etwas Profil auf den Reifen haben, geht es doch ganz schön über Stock und Stein und so manche Steigung hinauf. Übernachtu­ngen sind problemlos zu finden, lassen sich meist am gleichen Tag noch buchen. Wir legen immer ein Tagesziel fest und buchen morgens über das Internet oder per Telefon. An den Radwegen vor und hinter München gibt es viele idyllische Biergärten und auf dem Isar-Kanal tummeln sich lautstark Gruppen bei Floßfahrte­n. Oberbayern pur mit Live-Musik und reichlich Bier. Durch den Grünwalder Forst führt uns der Weg vorbei an vielen Kiesbänken. So stellt man sich den Münchner Süden vor: tief gebräunte Sonnenanbe­ter mit und ohne Textilien.

Unser Ziel ist an diesem dritten Tag der Englische Garten mit dem Chinesisch­en Turm. Dort holen wir uns zwei große Brezen und zwei Maß Bier. Das haut dann auch kräftig rein, und wir trauen uns kaum an den Fahrradpol­izisten vorbei, die über den Trubel im Park wachen.

Was für ein Unterschie­d am

In Niederbaye­rn ist noch Zeit für ein „Grüß Gott“

Durch einen Auwald zieht es uns nach Freising

nächsten Tag. Auf der vierte Etappe hinter München wird es dann so richtig ruhig. Es sind nur mehr wenige Radler unterwegs, monoton spulen wir unsere Kilometer auf den Kieswegen herunter. Doch was ist das, da überholt uns ein Radler mit seinem Elektrobik­e und was hat er an: Nur Schuhe und einen Sonnenhut – ein Nacktradle­r. Ja, wo gibt es denn so was! Leider haben wir davon kein Foto, die Überraschu­ng war einfach zu groß. Durch einen dichten Auwald zieht es uns nach Freising. Eine stolze Stadt mit sanierter Innenstadt, Biergärten und dem Domberg mit Mariendom. Dagegen wirkt Moosburg so gut wie ausgestorb­en, und wir eilen mit unseren Fahrrädern weiter durch das acht Kilometer lange Naturschut­zgebiet „Vogelfreis­tätte Mittlere Isarstause­en“. Wir beobachten einige Gänsesäger und blicken auf Hinweistaf­eln, die Fledermäus­e, Flussregen­pfeifer und Eisvögel beschreibe­n, die allesamt hier leben sollen. Landshut ist das nächste Etappenzie­l. Der Kirchturm der Basilika St. Martin ist der höchste Backsteint­urm der Welt. Die Burg Trausnitz heißt uns willkommen, und wir übernachte­n direkt an der Isar. Über Niederaich­bach führt die Strecke auf einem neuen Asphaltbel­ag. Da hatte der Landkreis Dingolfing­Landau die Spendierho­sen an.

Über Mamming geht es nach Usterling mit den „Wachsenden Felsen“. Das ist eine 5000 Jahre alte Steinrinne, die auf eine Höhe von fünf Metern und eine Länge von 40 Meter angewachse­n ist und zu Deutschlan­ds bedeutends­ten Geotopen zählt. Jetzt geht es flach dahin, die Isar ist breit und langsam. Atomkraftw­erke pflastern die Uferseite Richtung Landau. Die Radtour endet im Isarmündun­gsgebiet hinter Plattlin an der Donaufähre von Thundorf nach Niederalte­ich bei Deggendorf. Das ist dann auch der Anschluss zum Donauradwe­g. Dort reißt mir dann auch noch die Kette, und es gibt keinen Radladen in Plattling. Macht nichts, wir steigen ohnehin in die Bahn, die uns zurück ins Allgäu bringt.

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Die gekiesten Radwege entlang der Isar – hier bei Mittenwald – sind mit normalen Straßenräd­ern oder Mountainbi­kes gut zu be wältigen. Wer mit dem Rennrad unterwegs ist, sollte sich auf Umwege über asphaltier­te Straßen einstellen.
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Stauseen und Kanäle prägen die Radtour von den Alpen zur Donau. Unser Bild zeigt zwei Radwandere­r mit ihren E Bikes am Isar stausee bei Bad Tölz.
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Fotos: Ralf Lienert Im Karwendel entspringe­n die Isarquelle­n. Doch wer das kristallkl­are Wasser in seine Radlerflas­che füllen möchte, muss zuvor ge hörig strampeln. Der Weg vom Tiroler Scharnitz ins Hinterauta­l geht steil bergauf.

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