Nachtschicht für junge Flüchtlinge
Der Augsburger Student Moritz Bühler verbringt regelmäßig seine Nächte in einer Wohngruppe. Was er dort alles erlebt
Über 43 000 minderjährige Flüchtlinge leben ohne ihre Eltern in Deutschland. In Augsburg kümmert sich um diese Kinder unter anderem die St. Gregor Kinder-, Jugendund Familienhilfe. Sie bietet Wohngruppen an, in denen die Jugendlichen 24 Stunden am Tag betreut werden. Tagsüber geschieht das vor allem von Pädagogen, nachts sind auch Studenten wie Moritz Bühler im Einsatz. Es ist kein einfacher Job.
Ziel ist, die jungen Flüchtlinge auf ein eigenständiges Leben in Deutschland vorzubereiten. Moritz Bühler will seinen Teil dazu beitragen. Im Schnitt kommt er drei Mal die Woche in der Unterkunft vorbei. Dienstbeginn ist um 19.30 Uhr. Dort bringt ihn die am Tag zuständige pädagogische Fachkraft zunächst auf den neuesten Stand.
Was ist so in der Schule vorgefallen? Wie ist die Stimmung der sechs bis acht Jungs heute? Und dann ist Bühler auch schon alleine mit den Bewohnern. „Ich geh dann erst mal zu den Zimmern, sag allen Hallo und frag sie, wie ihr Tag so war.“
Kurz darauf kommt der ein oder andere dann in der Regel schon bei Bühler im Büro vorbei, sucht Hilfe bei den Hausaufgaben oder das gemeinsame Gespräch. „Oft fragen sie mich, ob ich mit ihnen essen möchte. Sie kochen in der Gemeinschaft immer viel zusammen“, erzählt er. Dabei achtet Bühler immer darauf, dass er den Bewohnern ihre Privatsphäre lässt. „Die Jungs tragen viel mit sich herum, man muss lesen können, ob hier Kommunikation notwendig ist, oder man zur Auflockerung einfach zusammen PlayStation zockt.“
Regelmäßig zeigen ihm die Bewohner Bilder aus der Heimat, Syrien, Afghanistan oder Afrika. Beschreiben, wie der Hund aussah, wo der Onkel wohnte oder in welcher Straße sie aufgewachsen sind. Aber sie wollen auch viel über Deutschland und seine Geschichte erfahren. „Ich habe einmal Bilder von Augsburg nach dem Zweiten Weltkrieg gezeigt, wie zerstört hier alles war. Da waren sie schon erstaunt“, sagt der Student.
Probleme oder Streitereien halten sich in Grenzen, erzählt der 28-Jährige, die Diskussionen seien nicht anders, als in jeder anderen WG auch: Wer hat Putzdienst? Wer hat meinen Joghurt weggegessen? – „Da merkt man einfach, dass Jugendliche sich da nichts nehmen, egal welche Nationalität sie haben.“
Um 23 Uhr heißt es dann Nachtruhe. Bühler, der Erziehungswissenschaften studiert, geht noch einmal von Tür zu Tür, sieht nach, ob sich auch wirklich alle in ihren Zimmern aufhalten und die Freundin nach Hause gegangen ist. Dann kann auch er für knapp sieben Stunden schlafen. Meist aber eher unruhig. Denn man fühle sich eben ständig auf Abruf. „Das ist schon anstrengend. Vor allem wenn man am nächsten Tag in die Uni muss. Ein bisschen Schlafmangel muss man aushalten können.“
Um 6 Uhr steht Bühler dann auch wieder auf, um die Jugendlichen zu wecken. An die ein oder andere Zimmertüre muss auch öfter geklopft werden. Gegen sieben Uhr verlassen die Jungs das Haus und gehen in die Schule oder zum Ausbildungsbetrieb. Bevor die Schicht für Bühler endet, schreibt er noch einen kurzen Bericht über die Vorfälle der Nacht und wie er die Bewohner wahrgenommen hat. Dann fährt der Student Richtung Uni und die Tagschicht übernimmt wieder die Aufsicht.
Was man als Nachtdienst in einer solchen Wohngruppe mitbringen sollte? „Kommunikativ muss man sein und zeigen, dass man sich für die Probleme anderer interessiert“, sagt Bühler. „Und auch ein gewisses Selbstbewusstsein schadet nicht. Man muss auch mal Autorität ausstrahlen.“
Bühler ist froh, bei der St.-Gregor-Jugendhilfe zu arbeiten. Er wollte etwas machen, was im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise hilft. Und weil es ihm Spaß macht, sich mit anderen Kulturen auseinanderzusetzen, hat er sich für die Stelle beworben.
„Wenn man die Jungs kennenlernt, sind sie nicht einfach nur Flüchtlinge für einen, sondern bekommen einen Namen.“Das, so Bühler, sei eine großartige Erfahrung »Meinung fürs Leben.