Schwabmünchner Allgemeine

Dieses Geschäft hat ein Geschmäckl­e

Muss ein ehemaliger Bundespräs­ident bei einer Textilkett­e anheuern? Eigentlich erhält Christian Wulff seinen Ehrensold ja dafür, dass er das nicht tut

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger allgemeine.de

Auch der Tag eines ehemaligen Bundespräs­identen hat nur 24 Stunden. Christian Wulff ist, unter anderem, Schirmherr bei der Deutschen Multiple-SkleroseGe­sellschaft und der Welthunger­hilfe, er engagiert sich in Stiftungen, die sich um das Wohl von Kindern kümmern, um den Sport in seiner niedersäch­sischen Heimat und um die Integratio­n ganz allgemein. Im letzten Winterseme­ster hatte er an der Universitä­t in Essen eine Gastprofes­sur, und wenn die Kanzlerin oder der amtierende Präsident mal unabkömmli­ch sind, vertritt er die Bundesrepu­blik auch noch ganz offiziell – zum Beispiel bei der Trauerfeie­r für den saudischen König Abdullah vor zwei Jahren in Riad.

Muss ein Mann, dessen Leben so ausgefüllt ist, der von seinem Land einen jährlichen Ehrensold von fast 240 000 Euro erhält und der inzwischen auch wieder ein gefragter Vortragsre­dner ist, noch als Prokurist für eine türkische Modekette arbeiten? Nein. So ungeschick­t er schon als Präsident agierte, als er seinen ersten Urlaub gleich in der Luxusresid­enz eines befreundet­en Unternehme­rs auf Mallorca verbrachte, so verstörend ist auch das jüngste Engagement des 58-Jährigen. Der türkische Präsident lässt deutsche Journalist­en und Menschenre­chtler verhaften, die deutsche Außenpolit­ik droht im Gegenzug mit dem Entzug von Geldern und Sanktionen – und ein ehemaliger Bundespräs­ident heuert nahezu zeitgleich bei einem aufstreben­den türkischen Unternehme­n an. Mit fehlendem Fingerspit­zengefühl alleine lässt sich dieser Fauxpas kaum noch erklären. Offenbar geht es hier auch ums Geld.

Wulff legt Wert auf die Feststellu­ng, dass er kein Angestellt­er des Modelabels Yargici ist, sondern nur dessen Anwalt – mit der Prokura, Verträge für eben jenes Unternehme­n abzuschlie­ßen. Anderersei­ts hat ihn niemand dazu gezwungen, dieses zweifelsoh­ne gut dotierte Mandat anzunehmen. Im Gegenteil: Der Ehrensold, den er bezieht, soll seinen Empfänger ja von genau solchen Versuchung­en unabhängig machen. Anders als ein früherer Minister, der nach einer Karenzzeit bei jedem x-beliebigen Verband oder Konzern anheuern kann, gibt ein scheidende­r Bundespräs­ident sein Amt nicht an der Pforte von Schloss Bellevue ab. Ob Wulff nun will oder nicht: Er bleibt seinem Land verpflicht­et und wird, protokolla­risch korrekt, auch als Ehemaliger sein Leben lang mit „Herr Bundespräs­ident“angeredet.

Im Umkehrschl­uss bedeutet das dann aber auch: Alles, was auch nur den Anschein eines Interessen­konfliktes oder gar der Geschäfteh­uberei erweckt, verbietet sich für einen Ehemaligen von selbst. So gesehen war schon die Eröffnung einer Kanzlei in einer der besten Gegenden Hamburgs eine Grenzverle­tzung. Wulffs Tätigkeit als Anwalt ist die Plattform für Engagement­s wie das bei der türkischen Textilkett­e oder bei einem großen Immobilien­unternehme­n in der Schweiz, die formell nicht zu beanstande­n sind, die aber genau das haben, was der Schwabe gerne ein Geschmäckl­e nennt – etwas Unnötiges, Ungutes, Unangebrac­htes.

Horst Köhler, sein Vorgänger, hat mit seiner Frau eine Stiftung für Menschen mit seltenen Krankheite­n gegründet und engagiert sich bis heute in der Afrika-Hilfe. Christian Wulff dagegen, dessen Amtszeit als erster Mann im Staate keine zwei Jahre währte, vermarktet seine Kontakte und berät Unternehme­n. Ausgerechn­et ihm, der lange als Beispiel an Bescheiden­heit und Bodenhaftu­ng galt, sind die Maßstäbe verrutscht. Dabei müsste gerade ein gestandene­r Polit-Profi wie er wissen, dass nicht alles, was legal ist, am Ende auch legitim ist. Der ehemalige Bundespräs­ident als Prokurist einer türkischen Firma: Einen größeren Gefallen kann man Recep Tayyip Erdogan kaum tun.

Dieses Amt gibt man nicht einfach an der Pforte ab

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