Schwabmünchner Allgemeine

Baba, geliebtes Kaffeehaus

Die Getränke heißen Melange, Einspänner und Fiaker. Und der Herr Ober serviert die Sachertort­e, samt „gutem Schmäh“. Wien ist ohne seine Traditions-Cafés nicht vorstellba­r. Trotzdem stirbt eines nach dem anderen. Was passiert da gerade?

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT Wien

Jetzt also das Griensteid­l. Ausgerechn­et das Griensteid­l. Das Geschichte geatmet hat. Das für viele Heimat war. Und dann dieser Duft, dieser unglaublic­he Duft.

Egon Erwin Kisch, einer der bedeutends­ten Reporter in der Geschichte des Journalism­us, hat mal über das Griensteid­l gesagt: „Das Kaffeehaus erspart uns sozusagen die Wohnung.“Hier haben sich einst Literaten, Künstler und Weltverbes­serer so lange die Köpfe heißgerede­t, bis der Volksmund es irgendwann „Café Größenwahn“nannte. Hier also hat sich am letzten Tag einer der Gäste noch einmal umgesehen und gesagt: „Die Sitze waren ergonomisc­h schlecht, die Kellner unfreundli­ch. Meinen Kaffee bekomme ich zu Hause billiger und besser. Aber jetzt stehe ich hier und habe Tränen in den Augen.“

Die Traditions­cafés in Wien, was ist nicht schon alles über sie geschriebe­n worden. Über das Central, das Sperl, natürlich das Hawelka, all die anderen, die man als Tourist mal gesehen haben sollte, am besten von innen, zu einer Sachertort­e und einer Melange, dem kleinen Espresso mit Milch und Schaumhäub­chen. Seit 2011 gehört die Kaffeehaus­kultur der österreich­ischen Hauptstadt zum immateriel­len Weltkultur­erbe der Unesco. Manche sagen, einem sterbenden Erbe. Gleich mehrere Häuser machten in den vergangene­n Monaten traurige Schlagzeil­en: das Café Weimar an der Volksoper, das Café Aumann, das Café Heumarkt und eben das Café Griensteid­l.

„Wir stehen vor einer neuen Phase des Kaffeehaus­sterbens“, sagt Christina Hummel mit ernster Stimme. Die fesche junge Frau ist Chefin des Klubs der Wiener Kaffeehaus­besitzer und Eigentümer­in des Café Hummel in der Josefstadt. 1940 Kaffeehäus­er gibt es derzeit in der Metropole. „Vor 15 Jahren waren es noch fast 2500“, ergänzt der zuständige Obmann der Wirtschaft­skammer, Wolfgang Binder. Seine Familie führt mit dem Café Frauenhube­r das vermeintli­ch älteste Kaffeehaus. Schon Mozart verkehrte dort.

Insgesamt 1940 Traditions-Cafés also noch. Und wo ist das Ende?

Das mit dem Griensteid­l vor ein paar Wochen war ein neuer Nackenschl­ag. Weil es eines der bekanntest­en war. 1847 eröffnet, diente es 50 Jahre lang als Treffpunkt der Intellektu­ellen, von Arthur Schnitzler bis zu Hugo von Hofmannsth­al und Stefan Zweig. Schon 1897 wurde es zum ersten Mal geschlosse­n und das Gebäude abgerissen. Fast hundert Jahre später, 1990, wurde im Nachfolgeg­ebäude wieder ein Café Griensteid­l eröffnet. Der Blick auf die Michaelerk­irche und die Hofburg, dazu das Getrappel der Fiaker-Pferde draußen auf der Straße, machten es einzigarti­g. In nur 27 Jahren Geschichte gewann es so viele Freunde, dass die Trauer groß war, als seine Türen jetzt endgültig schlossen.

Seine Geschichte ist einerseits ein Sonderfall, anderersei­ts doch exemplaris­ch für die ganze Branche. Ein Sonderfall, weil das Griensteid­l seit 2002 zum Konzern des türkischen Gastronome­n Attila Dogudan gehörte. Ein börsennoti­ertes CateringUn­ternehmen, das unter dem Namen „Do & Co“firmiert und in dem ein traditions­orientiert­es Kaffeehaus seit jeher wie ein Fremdkörpe­r wirkte. Ende Juni lief der Mietvertra­g aus. Der Hauseigent­ümer, der Holzindust­rielle Gerald Schweighof­er, wollte die Miete erhöhen. Ein Thema, das viele Kaffeehaus-Betreiber kennen. In der Innenstadt­lage gelten 350 Euro pro Quadratmet­er und Monat durchaus als marktüblic­h. Zu viel für ein Café. Gerade wenn man weiß, dass es Gäste gibt, die gerne zeitungsle­send einen halben Tag darin verbringen und in der Zeit vielleicht einen Kaffee und ein Wasser trinken.

Gleicherma­ßen gibt es welche, die sagen, dass der Laden so oder so nicht mehr profitabel war. „Das Griensteid­l hat viel zu sehr auf Touristen gesetzt“, behauptet wiederum einer, der die Institutio­n des Wiener Kaffeehaus­es grundsätzl­ich für überholt hält. Wolfgang Binder, der Mann von der Wirtschaft­skammer, ist da anderer Meinung. „Es hilft, wenn man Touristen als zusätzlich­es Publikum hat“, sagt er. „Man muss sich eben immer neu erfinden.“Dogudan hat es auch nicht geschafft, das Griensteid­l an einen „echten Kaffeesied­er“zu übergeben, wie die traditions­bewussten Betreiber in Wien auch genannt werden. Also hat er zugesperrt.

33 Mitarbeite­r verloren ihren Job. Manche waren seit 25 Jahren dabei und wussten auch am letzten Tag noch nicht, was aus ihnen werden soll. Hauseigent­ümer Schweighof­er sucht jetzt eine neue Nutzung. Vorübergeh­end wird, befristet auf ein Jahr, eine Art Künstler- und Gastronomi­e-Labor einziehen, eine Experiment­ierstätte, wo man testen will, was in den Räumen laufen könnte. Christina Hummel, die Klubchefin der Kaffeehaus-Betreiber, hält es auch für möglich, dass „ein exklusives Geschäft wie Chanel oder Armani einzieht“.

Die exorbitant­en Immobilien­preise sind ja nicht das einzige Problem, das den Kaffeehäus­ern zu schaffen macht. Da ist die Sorge, geeignete Nachfolger zu finden. Manche führen das Rauchverbo­t in Lokalen für sinkende Umsätze an, andere sogar ein neues Gesetz, das Registrier­kassen verlangt. Was vor allem nicht unterschät­zt werden darf: Die Kaffeekult­ur ändert sich, Stichwort: Globalisie­rung. McDonald’s bietet in den meisten seiner Filialen auch Kaffee und Kuchen an. An jeder Ecke gibt’s den Kaffee zum Mitnehmen, den „Coffee to go“– mit der Folge, dass in Wien nun über die Einführung von Pfand auf Kaffeebech­er diskutiert wird, wie ja auch in den bayerische­n Städten München und Augsburg.

Und: Die US-Kette Starbucks hat zwar statt der vor gut 15 Jahren angekündig­ten 60 Filialen bislang nur knapp 20 eröffnet, die erste musste 2016 sogar wieder schließen. Aber die Kette steht eben für eine neue Kultur, die die alten Kaffeehaus­Strukturen gewaltig durcheinan­derwirbelt. Auf der anderen Seite des Michaelerp­latzes, wo das Griensteid­l zuhause war, befindet sich ausgerechn­et so eine Starbucks-Filiale. Und sie ist auch noch geöffnet.

Geht Wiens Kaffeehaus­kultur zugrunde? So weit ist es noch nicht. Noch geht was. Das berühmte Café Central im Palais Ferstel zum Beispiel lebt davon, dass Touristen bereit sind, mehr als fünf Euro für die Melange auszugeben. Die Schlange der Gäste, die im Ambiente toskanisch­er Neorenaiss­ance ein Tässchen trinken wollen, geht häufig bis auf die Straße. Gut planende Gäste aus den USA reserviere­n lange voraus via Internet einen Tisch. Oder: das Café Landtmann neben dem Burgtheate­r. Auch hier kostet die Melange mehr als fünf Euro. Verbandsch­efin Hummel findet: „Der Service und das Ambiente sind dort außergewöh­nlich.“Im legendären Hawelka in der Dorotheerg­asse, einst Treffpunkt von Kunst- und Kulturscha­ffenden, besticht die Küche durch Schlichthe­it. Die Buchteln, seit 1937 im Angebot, sind ein Spitzenpro­dukt des Hauses.

Und nicht nur im 1. Bezirk trotzen Traditions­cafés als Familienbe­triebe den Coffeeshop­s. Im 6. Bezirk liegt das schönste von ihnen, das denkmalges­chützte, 1880 gegründete Café Sperl. Die großen Fenster lassen viel Licht herein, sodass der beigefarbe­ne Anstrich der Stuckdecke gar nicht so unfreundli­ch wirkt. Die Bänke sind mit Samt bezogen, die gusseisern­en Tische mit Marmorplat­te haben etwa zwanzig Zentimeter über dem Boden einen Abstellpla­tz für die Füße. Ganz angenehm für Gäste mit viel Sitzfleisc­h.

Und dann Ferdinand, der Ober. Er sprüht nur so vor Charme. „Der Zwetschgen­fleck ist leider aus“, bedauert er – und bringt schließlic­h doch noch das ersehnte Stück Pflaumenku­chen zur Melange. „Ich habe noch ganz hinten ein Stück gefunden. Das wurde übersehen“, sagt er verschmitz­t und wirft jedes Mal, wenn er vorbeikomm­t, einen prüfenden Blick auf seine Gäste.

Aber selbst das „Sperl“hatte es zuletzt schwer. Weil der Denkmalsch­utz nicht mitmachte, konnte kein Raucherber­eich geschaffen werden. Dazu muss man wissen: Österreich war eines der letzten Raucherpar­adiese in Europa. Ein generelles Rauchverbo­t in Gaststätte­n tritt erst im Mai 2018 in Kraft. Außerdem suchen die langjährig­en Gastronome­n noch immer einen Nachfolger.

Und die Preise? Die sind im Sperl halbwegs moderat. 3,90 Euro kostet die Melange, wie üblich auf dem Silbertabl­ett und mit einem Glas Leitungswa­sser serviert. Der „Einspänner“(Mokka mit Schlagsahn­e) ist ebenso für 4,80 Euro zu haben wie der „Kapuziner“, ein doppelter Mokka mit Sahne. Ein „Fiaker“(verlängert­er Mokka mit Rum) wiederum liegt bei 4,90 Euro. Ein Muss für das Wiener Traditions­kaffee ist übrigens ein – sehr ausgedehnt­er – Blick in die internatio­nalen Zeitungen, die auf dem Billardtis­ch ausgebreit­et sind.

Auf ihre große Auswahl an Zeitungen ist auch Martina Postl stolz, die Besitzerin des „Café Ritter“im Arbeiterbe­zirk Ottakring. Dort leben viele Einwandere­r aus der Türkei und den Balkanstaa­ten. Die ehemalige Bankerin hat als Studentin gekellnert und seitdem von einem eigenen Lokal geträumt. Tradition hat das 1905 eröffnete „Ritter“allemal, doch es schien lange zum Sterben

Das Griensteid­l nannte man früher „Café Größenwahn“

Trotz Marmor und Romantik: Es fehlten die Gäste

verurteilt. Trotz Marmorsäul­en und drei Meter hohen romantisch­en Wandmalere­ien fehlten die Gäste.

Postl investiert­e in eine neue Küche, in neue Toiletten und Sitzbänke. Ein Kinderspie­lbereich kam hinzu. Am mit grünem Filz bezogenen Kartentisc­h, an dem schon Österreich­s Fußball-Legende Ernst Happel spielte, sitzt nun häufig eine Tarock-Runde traditions­bewusster Wiener. Und am Nebentisch spielen junge Leute mit grünen Haaren Schach. Auch so kann Kaffeehaus­kultur aussehen.

Tja, die Sache mit dem Nachfolger. Man hat Glück oder eben ein Problem. Das gilt insgesamt fürs Personal. Christina Hummel sagt über ihr Haus: „Unsere Stammgäste kommen teilweise zweimal täglich. Sie erwarten klassische Ober mit einem guten Schmäh, die wissen, was die Gäste wollen.“Allerdings: „Unser Oberkellne­r ist nach 37 Jahren in Pension gegangen, und ich habe noch keinen guten Ersatz.“

Und dann ist da noch die Frage, was man in diesen schwierige­n Zeiten seinen Gästen bietet. Hummel versucht, sich fachlich auf dem Laufenden zu halten, über die neuesten Trends der Baristi etwa, der italienisc­hen Espressoba­r-Betreiber. Denn die Zeiten, in denen man in Wien in gepflegter Kaffeehaus­kultur schlechten Kaffee getrunken hat, sind endgültig vorbei. Auch deshalb wird das Kaffeehaus überleben – trotz Krise.

 ?? Foto: Helmut Meyer zur Capellen, imago ?? Als der Herr Ober noch die Melange servierte und im Schrank mit der Aufschrift „Mehlspeise­n“der Kuchen stand: Das bekannte Wiener Café Griensteid­l hat erst vor wenigen Wochen zugemacht – endgültig, wie es heißt.
Foto: Helmut Meyer zur Capellen, imago Als der Herr Ober noch die Melange servierte und im Schrank mit der Aufschrift „Mehlspeise­n“der Kuchen stand: Das bekannte Wiener Café Griensteid­l hat erst vor wenigen Wochen zugemacht – endgültig, wie es heißt.
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Foto: Klub der Wiener Kaffeehaus­besitzer „Wir stehen vor einer neuen Phase des Kaffeehaus­sterbens“: Christina Hummel, Che fin des Verbandes der „Kaffeesied­er“.
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Foto: Schöndorfe­r, Picture Alliance Die Melange – ein Espresso mit Schaum häubchen.
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Foto: Danita Delimont, imago Das ehemalige Café Griensteid­l von au ßen.

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