Schwabmünchner Allgemeine

Wenn Politiker zocken

Wie in Pforzheim die Verantwort­lichen zu hohe Risiken eingegange­n sind, um die Stadt zu sanieren

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Im Prozess um Millionenv­erluste durch Zinswetten der Stadt Pforzheim hat die Staatsanwa­ltschaft den Angeklagte­n bewusste Manipulati­on und massive Täuschung vorgeworfe­n. Durch das Fehlverhal­ten sei der Kommune großer Schaden entstanden, hieß es am Dienstag zu Verhandlun­gsbeginn in Mannheim. In dem Untreue-Prozess vor dem Landgerich­t müssen sich die frühere FDP-Oberbürger­meisterin Christel Augenstein sowie die damalige Stadtkämme­rin und zwei Bankmitarb­eiter verantwort­en. Die Verteidigu­ng, zu der der stellvertr­etende FDP-Vorsitzend­e Wolfgang Kubicki gehört, wies die Anschuldig­ungen zurück.

Einst brachten riskante Finanzgesc­häfte Pforzheim in massive Schwierigk­eiten. 2010 zog dann der Gemeindera­t die Notbremse – am Ende stand ein Verlust von rund 58 Millionen Euro. Inzwischen ist ein großer Teil des Geldes nach Vergleiche­n mit den beiden beteiligte­n Banken wieder in der Kasse.

Die Vorwürfe gegen die Angeklagte­n beziehen sich nach Angaben des Gerichts auf Millionenk­osten, die beim Abschluss sogenannte­r Swaps zulasten der Stadtkasse entstanden waren (siehe nebenstehe­n- Text). Neben Pforzheim hatten auch andere Kommunen wie Landsberg am Lech (Derivate-Affäre) bei Banken Wetten auf die unterschie­dliche Entwicklun­g von kurzfristi­gen und langfristi­gen Zinsen abgeschlos­sen und Verluste erlitten.

Das Landgerich­t Mannheim stellt sich auf ein längeres Verfahren im Fall „Pforzheim“ein. Die im Mittelpunk­t des Prozesses stehende Christel Augenstein verlor 2009 die Oberbürger­meisterwah­l gegen Gert Hager (SPD). Letzterer war jahrelang mit den Aufräumarb­eiten beschäftig­t. Hager kritisiert­e seine Vorgängeri­n auf dem Höhepunkt der Krise scharf. Sie habe ihre Kompetenze­n „eindeutig und in krasser Weise überschrit­ten“. Den Banken warf er falsche Beratung vor. Erst im September 2008 habe der Pforzheime­r Gemeindera­t von den Ausmaßen der Verluste erfahren.

Die Gemeindepr­üfungsanst­alt Baden-Württember­g schrieb in einem Bericht, derart hochspekul­ative Geschäfte seien unzulässig. Vizepräsid­ent Markus Günther verweist auf die Gemeindeor­dnung, nach der Geldanlage­n der Kommunen „sicher und ertragreic­h“sein müssen.

Für Pforzheim war die Angelegenh­eit erst 2016 nach einem Verden gleich mit der Deutschen Bank über 7,7 Millionen Euro endgültig abgeschlos­sen. Augenstein hatte ihr Amt 2001 mit dem Ziel angetreten, die Finanzsitu­ation der verschulde­ten Stadt zu verbessern und dazu unter anderem die Zinslast zu verringern.

Dazu soll nach Gerichtsan­gaben zunächst ein kommunalre­chtlich zulässiger Swap zu Zinssicher­ung für zwei Kredite abgeschlos­sen worden und dem Gemeindera­t angezeigt worden sein. Zwischen 2004 und 2006 soll die Kämmerin dann aber mehrere unzulässig­e Swap-Verträge abgeschlos­sen haben, die nicht der Zinssicher­ung gedient hätten, sondern mit denen Einnahmen erzielt werden sollten. 2006 habe sie die Oberbürger­meisterin über den Stand der Geschäfte informiert. Danach sollen die beiden Frauen gemeinsam weitere hochspekul­ative Geschäfte gemacht haben, um die Situation zu bereinigen. Das ging schief, die Stadt geriet immer tiefer in die Verlustzon­e. Der Bundesgeri­chtshof hat 2011 entschiede­n, dass eine Bank bei Zinswetten auf den schwerwieg­enden Interessen­konflikt hinweisen muss. Denn für die Bank ist ein solches Geschäft nur profitabel, wenn die Wette zum Nachteil des Kunden ausgeht.

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Foto: Uwe Anspach, dpa FDP Politikeri­n Christel Augenstein hat viel riskiert.

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