Schwabmünchner Allgemeine

Brexit à la Norwegen?

Brüssel will den Briten das Modell Oslo schmackhaf­t machen

- VON DETLEF DREWES Brüssel

Der Brexit kommt nicht von der Stelle. Wenige Wochen vor der nächsten Verhandlun­gsrunde wächst in Brüssel die Skepsis, ob die britischen Unterhändl­er Ende dieses Monats mit mehr als nur leeren Händen nach Brüssel kommen. Der innerbriti­sche Machtkampf um die Zukunft von Premiermin­isterin Theresa May nehme an Heftigkeit zu, heißt es. Mit entspreche­nden Konsequenz­en für die Austrittsv­erhandlung­en. Ein rechtzeiti­ger Abschluss wird immer unwahrsche­inlicher – eine Übergangsp­hase erscheint notwendig, auch wenn die EU genau das eigentlich vermeiden wollte.

Die Kommission nutzt die Chance, um hinter verschloss­enen Türen und bei gelegentli­chen öffentlich­en Auftritten für das norwegisch­e Modell zu werben. Es sei der beste Weg für die Phase nach dem Austritt der Briten, wenn noch niemand weiß, wie es in Fragen von Binnenmark­t und Freizügigk­eit konkret weitergehe­n soll. Norwegen hat vier Anträge auf Mitgliedsc­haft in der Union gestellt (1962, 1967, 1970 und 1992), zwei Mal stoppte Frankreich mit einem Veto den Beitritt, 1972 und 1994 sprachen sich die Skandinavi­er selbst bei Volksabsti­mmungen gegen eine EU-Mitgliedsc­haft aus. Die derzeit amtierende Regierung in Oslo hat sich verpflicht­et, keine neue Diskussion um einen Platz des Landes in der Gemeinscha­ft zu führen.

Trotzdem leben die fünf Millionen Einwohner strikt nach europäisch­en Regeln. 1994 trat das Land dem Europäisch­en Wirtschaft­sraum (EWR) bei, eine Art Freihandel­szone mit der EU. Oslo nimmt seither am zollfreien Handel teil, verpflicht­ete sich dafür allerdings, den „acquis communauta­ire“zu übernehmen, die komplette Sammlung der EU-Gesetze. Das brachte dem Land den Spitznamen Fax-Demokratie ein, weil Oslo tatsächlic­h alle Vorschrift­en der Union per Fax (inzwischen per Mail) aus Brüssel erhält und diese dann zu übernehmen hat.

Der Preis für die Quasi-Mitgliedsc­haft fällt allerdings hoch aus. Zum einen können die norwegisch­en Volksvertr­eter keinen Einfluss auf die Vorschrift­en nehmen, zu deren Übernahme sie sich verpflicht­et haben. Zum anderen werden für den Zugang zum Binnenmark­t Abgaben fällig – rund 83 Prozent des Beitrages, den das Land als Vollmitgli­ed zu entrichten hätte. Oslo überweist also jedes Jahr rund 850 Millionen Euro nach Brüssel.

Sollten die Briten sich tatsächlic­h zu diesem Weg entscheide­n, müssten sie ebenfalls tief in die Tasche greifen. Experten haben errechnet, dass London etwa vier Milliarden Euro an die Gemeinscha­ft zu zahlen hätte. Der Betrag fällt deshalb so hoch aus, weil die in Großbritan­nien deutlich höhere Jahreswirt­schaftslei­stung zugrunde gelegt wird, und bei der Berechnung der bisherige Briten-Rabatt nicht mehr gilt.

Viel größer dürfte jedoch ein anderer Stolperste­in sein: Wie Norwegen müsste auch das Vereinigte Königreich die vier Grundfreih­eiten der EU (freier Handel mit Waren, Kapital, Dienstleis­tungen und für Personen) anwenden, also auch die Freizügigk­eit, die Großbritan­nien ja eigentlich so gerne loswerden wollte. Dennoch gilt der norwegisch­e Weg als die einzige Möglichkei­t, weil das andere Kooperatio­nsmodell, das die EU mit der Schweiz praktizier­t, aus über 200 Einzelvert­rägen besteht, die jahrelange Verhandlun­gen erfordern würden.

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