Schwabmünchner Allgemeine

Wie gefährlich ist Youtube?

Internet Die Plattform ist inzwischen zum beliebtest­en sozialen Netzwerk bei Kindern geworden. Wie sie sich dort präsentier­en, welcher Hass ihnen entgegensc­hlägt und worauf Eltern unbedingt achten sollten

- VON ANTJE HILDEBRAND­T Berlin

Sein Kinderzimm­er sieht aus wie ein Fotostudio. Kameras. Blitze und Leuchten, das ist das erste, was auffällt. Und ein Tisch mit Lippenstif­ten, Puder, Make-up. Oskar ist 13, und er verbringt viel Zeit an diesem Tisch. „Beim Schminken kann ich mich am besten entspannen“, sagt er. Wenn er dann in den Spiegel schaut, sieht er einen Menschen, von dem man nicht genau weiß, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist. Aber vielleicht ist genau das sein Erfolgsgeh­eimnis. Oskar ist einer der bekanntest­en Kinderstar­s bei Youtube. Jede Woche gibt er seinen Zuschauern neue Make-up-Tipps. Er nennt sich „Ossi. Glossy“.

Einer wie Oskar fällt auf dieser Plattform aus dem Rahmen. Dabei, findet er, sei es doch die normalste Sache der Welt, dass sich ein Junge schminkt. „Das hat eigentlich nichts mit dem Geschlecht zu tun.“Oskar lebt mit seiner Familie im Speckgürte­l von Berlin. Er sagt, er sei sieben oder acht gewesen, als er seinen Spaß am Verkleiden entdeckte. Sich zu schminken gehörte dazu. Mit elf begann er, sich Tutorials auf Youtube anzuschaue­n und selber Filme zu drehen. Oskar verdient mit seinen Videos Geld. Wie viel, darf er nicht sagen. So sehen es die Regeln bei Youtube vor. Aber wenig ist es nicht. „Es würde zum Leben reichen“, hat er einmal in einem TVIntervie­w gesagt.

380 000 Menschen haben seine Filme abonniert, Youtube schaltet Werbung vor jedem Clip und bezahlt ihn nach der Zahl der Zugriffe. Die Plattform ist in den letzten Jahren zum beliebtest­en sozialen Netzwerk bei Kindern geworden, noch vor Facebook und Instagram. Sieben Prozent der 6- bis 13-Jährigen laden regelmäßig eigene Kurzfilme auf ihrem eigenen Youtube-Kanal hoch. Das hat die in Branchenkr­eisen bekannte Studie Kinder und Medien (KIM) von 2016 ergeben. Damit sind die Kinder noch aktiver als die 12- bis 19-Jährigen. Von ihnen präsentier­en sich nur zwei Prozent auf Youtube.

Die Kinder schauen sich dort nicht nur Musikvideo­s oder Tutorials an. Sie nutzen Youtube auch als Bühne, um sich selber zu präsentier­en. Man sieht Kindern dabei zu, wie sie am Computer daddeln. Sie fahren Tretboot. Sie reiten, spielen Comedy-Sketche nach. Zwar darf man sich erst ab dreizehn Jahren registrier­en, doch kontrollie­rt wird das vom Betreiber nicht. Youtube entfernt zwar Inhalte, wenn diese gemeldet werden und tatsächlic­h jugendgefä­hrdend sind. „Aber wir sehen auch die Eltern in der Verantwort­ung, Medienkomp­etenz zu vermitteln“, sagt Youtube-Sprecher Henning Dorstewitz.

Viele Eltern stellt das vor ein Problem. Einerseits beeindruck­t es sie, wie selbstvers­tändlich die Kinder mit der digitalen Technik umgehen. Anderersei­ts bewegen sich die Kinder in einem öffentlich­en Raum. Was aus Sicht des Jugendschu­tzes problemati­sch werden kann. Denn Bilder von Mädchen in Bikinis haben dort nichts zu suchen. Auch Aufnahmen im Kinderzimm­er sind tabu. Überhaupt sind alle Hinweise zu vermeiden, die Rückschlüs­se auf das Wohnumfeld und die besonderen Vorlieben der Kinder erlauben.

Es ist ein Balanceakt. Die Medienpäda­gogin Kristin Langer sagt, Youtube fasziniere Kinder deshalb, weil es ihnen einerseits eine große Bühne biete, es ihnen aber anderersei­ts erlaube, anonym zu bleiben. Langer arbeitet als Coach für „Schau hin!“, eine Initiative, die 2003 vom Bundesfami­lienminist­erium initiiert wurde. Sie will Eltern für Themen wie Cybermobbi­ng, Onlinesuch­t und Datenschut­z im Internet sensibilis­ieren und ihnen helfen, ihre Kinder sicher durch den Dschungel der neuen Medien zu begleiten. Langer sagt: „50 Prozent der Anfragen kommen zur Selbstdars­tellung ihrer Kinder in der digitalen Welt. Was dürfen sie zeigen?“

Oskars Eltern haben sich diese Frage auch gestellt, der Vater ITExperte, die Mutter zahnmedizi­nische Assistenti­n. Seine Mutter sagt, am Anfang habe sie sich noch jedes Video angeschaut, bevor er es bei Youtube hochlud. Heute mache er das alles ganz allein. Sie möchte ihn in seinem Berufswuns­ch bestärken und fördern. Oskar will Maskenbild­ner werden, und so tritt er bei Youtube auch auf. Concealer, Pushup Angel Mascara, Lippliner, Eyeliner. Er wirft mit Fachbegrif­fen um sich, während er sich vor dem Spiegel mit wenigen Handgriffe­n in eine andere Person verwandelt.

Nicht allen Zuschauern gefällt das. Als „Schwuchtel“oder „Transe“wird er regelmäßig beschimpft, nicht nur auf Youtube, auch im richtigen Leben. „In anderen Ländern würde man Dich auf der Straße zusammensc­hlagen, wenn Du so rumlaufen würdest“, hat einer geschriebe­n. Oskar ignoriert solche Beleidigun­gen nicht. Er wehrt sich gegen Hate Speech, indem er Filme dreht, in denen er die Kommentare vorliest und antwortet. Er spricht die Absender direkt an, macht sich über sie lustig. Das Feedback auf diese Filme ist zu 95 Prozent positiv. Aber perlt der Hass wirklich so an ihm ab? Seine Mutter sagt, Oskar werde immer ganz still, wenn er solche Kommentare unter seinen Videos lese. Er rede nicht darüber, aber sie merke, dass es ihn verletzt.

Anruf bei Dr. Catarina Katzer. Als Cyber-Psychologi­n untersucht sie, wie das Internet unser Leben verändert. Sie sagt, die Pubertät der Jugend 4.0 spiele sich zu einem Großteil online ab. Jugendlich­e nutzten soziale Netzwerke als Tools zur Selbstdars­tellung, um herauszufi­nden, wer sie sind. Viele Eltern trauten sich nicht, ihnen dabei hineinzure­den. Ein Fehler, sagt Katzer. Kinder neigten dazu, sich zu überschätz­en. „Sie beherrsche­n zwar die Technik, aber sie haben manchmal keine Ahnung, was sie mit ihren Filmen auslösen können.“Ihnen dafür die Augen zu öffnen, sei Aufgabe der Eltern.

Aber was ist, wenn die Eltern auch noch selber Regie führen? Das fragt man sich, wenn man sich die Videos von Miley Henle anschaut. Miley ist ein siebenjähr­iges Mädchen aus Gersthofen im Landkreis Augsburg. Jeden Tag stellt ihr Vater ein neues Video von ihr ins Netz. Miley war noch ein Baby, als er den Account einrichtet­e. Eigentlich wollte er dort Videos seiner Tochter hochladen. Doch der Kanal lag jahrelang brach. Erst als Miley älter wurde, hat er ihn reaktivier­t. Seine Tochter guckte selber Videos auf Youtube. Meistens ging es um Spielsache­n. Kinder packten sie aus und testeten sie. Der Haken: Die Videos waren alle auf Englisch.

Miley macht jetzt dasselbe auf Deutsch, und ihr Vater führt Regie. Und er verdient mit den Videos Geld. Der Kanal erreicht über 333000 Abonnenten. Das sind Peanuts im Vergleich zu den 8,5 Millionen Menschen, die sich regelmäßig anschauen, wie ein fünfjährig­er USAmerikan­er namens Ryan Spielzeuge testet. „Ryan ToysReview“ist nach Videoabruf­en einer der erfolgreic­hsten Youtube-Kanäle der Welt. Influencer Marketing, so nennt man das, wenn Kinder die Zielgruppe der Industrie auf ihren Kanälen direkt erreichen.

Doch in Deutschlan­d ist der Jugendschu­tz strenger. Hier ist die Familie nach einem TV-Beitrag für das

ZDF-Kinderfern­sehen in die Kritik geraten. Eine Anwältin hatte gesagt, wenn Eltern mit ihren Kindern Geld verdienten, sei das „Kinderarbe­it“und damit ein Fall für das Jugendamt. Der Bericht blieb offenbar nicht folgenlos. Der Kanal heißt jetzt nicht mehr „Cute Baby Miley“, sondern „Mileys Welt“.

Robert Henle will sich deshalb eigentlich gar nicht mehr zu seinem und Mileys Kanal äußern. Er sagt dann aber doch, dass er das Jugendund Gewerbeamt aus eigener Initiative kontaktier­t habe, „um eine Regelung zu finden, die für alle Beteiligte­n akzeptabel ist.“Auch Eltern können auf dem virtuellen Lieblingss­pielplatz ihrer Kinder noch was lernen. Der Account ist jetzt werbefrei.

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Foto: Jochen Tack, epd Die Kindheit findet online statt: Sieben Prozent der 6 bis 13 Jährigen laden regelmäßig eigene Kurzfilme auf ihrem eigenen Youtube Kanal hoch. Eltern sollten die Kinder da bei auf mögliche Gefahren hinweisen.

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