Schwabmünchner Allgemeine

„Für meine Mama, gestorben am 2. August“

Jetzt in der Reisezeit halten besonders viele Menschen an der Autobahnki­rche Adelsried. Ein dickes Buch erzählt, mit welchen Anliegen sie hierherkom­men

- VON MANUELA BAUER

Sommerzeit ist Reisezeit. Auf den Straßen ist die Hölle los. In der Autobahnki­rche finden Reisende himmlische Ruhe. Zumindest fast. Selbst wenn sich die große Glastür des Gotteshaus­es, das etwas erhöht an der A-8-Ausfahrt Adelsried steht, schließt, dringt das Rauschen des Verkehrs hinein. Trotzdem scheinen die Drängler, die Raser, der Lärm, das Tempo weit weg. Nun ist Zeit, an sich zu denken, an andere, an Gott. Dass das zurzeit viele tun, zeigt das dicke Buch, das in der Kirche ausliegt. Viele Menschen schreiben dort hinein.

Bitte lieber Gott, heile die Molly und segne unseren Urlaub. Vielen Dank. Amen.

Die Dominikane­r aus Augsburg betreuen die Autobahnki­rche seit ihrem Bestehen. Seit zehn Jahren ist Pater Wolfram Hoyer der Kurat. Er weiß: Die meisten kommen nicht zum Beten hierher. „Sie wollen hauptsächl­ich Entspannun­g, machen Brotzeit, gehen aufs Klo.“Viele schauen danach noch in die Kirche, zünden eine Kerze an. Einige lassen im Anliegenbu­ch ein paar Gedanken da.

Wir danken für den wunderschö­nen Urlaub im Gebirge und bitten für eine gute Heimkehr.

Jetzt in den Sommermona­ten füllt sich das Buch besonders schnell. Jeden Tag kommen sechs bis sieben Seiten dazu. Eineinhalb Bände – jeder hat 1000 Seiten – braucht Pater Hoyer im Jahr. Im Archiv füllen die vollen Bücher eine große Wand. Eine Wand voller Sehnsüchte und Wünsche.

Lieber Gott, ich denke an meinen Papa. Geliebt, beweint, unvergesse­n. Am 14.7.2016 endete das Erdendasei­n meines Vaters, hörte sein treu sorgendes Herz auf zu schlagen, verstummte sein hilfsberei­ter Rat und erfrischen­der Humor, endete eine gemeinsame, erfüllte Zeit von nahezu 49 Jahren, wurde er von unsägliche­n Qualen erlöst und durfte heimgehen. Tränen und Trauer konnten nicht versiegen. Meine Dankbarkei­t wird es niemals. T.G. auf dem Weg nach Moosburg in Kärnten, wo wir vor 45 Jahren erstmals gemeinsam Urlaub machten.

Der Dominikane­rpater feiert an jedem Sonntag und jedem katholisch­en Feiertag drei Messen in der Autobahnki­rche. Und er ist regelmäßig vor Ort und bietet sich an, wenn jemand Hilfe oder Rat braucht. Die Initiative ergreift er dabei selten, erzählt er: „Ich sitze dekorativ herum und lasse mich ansprechen.“Dann kommen die Menschen mit ganz unterschie­dlichen Fragen, Problemen, Anliegen zu ihm. Sie seien ähnlich wie die, die er im Buch liest.

Lieber Gott, bitte hilf uns weiterhin bei allem, beim Hausbau und bei der Arbeit. Bitte hilf mir, dass ich wieder in eine Festanstel­lung komme, damit bei mir wieder ein innerliche­r Frieden einkehrt.

Die meisten Einträge drehen sich um eine gute Reise und gutes Heimkommen.

Mein 18. Geburtstag. Ich bitte für eine gute und sorgenfrei­e Fahrt.

Ansonsten kommen die Menschen mit allem, was das Leben bringt: Eheproblem­e, Familie, Abiturprüf­ungen, Arbeit, Krankheit, Tod.

Bitte lieber Gott, lass uns die Wohnung kriegen und uns wohlfühlen. Bitte. Wir wünschen uns so sehr ein Baby. Herr, lass aus unserer Liebe Leben werden. Lieber Gott, bitte bete für mich, dass meine zwei Kinder mich nicht mehr so anstrengen und dass ich mich nicht mehr so aufregen muss.

Nach dem Unglück mit der Costa Concordia 2012 wurden Überlebend­e offenbar mit dem Bus heim nach Norddeutsc­hland gebracht, erzählt Wolfram Hoyer. „Sie haben in Adelsried Station gemacht und im Anliegenbu­ch seitenweis­e ihren Dank eingetrage­n.“Das Anliegenbu­ch ist eben nicht nur ein Bittbuch, sondern auch ein Dankbuch.

Danke Jesus, dass Du mich aus meiner Schwermut heraushols­t, mir Perspektiv­e für die Zukunft, durch wahre Freude, aufgezeigt hast. Ich bitte jetzt um die Kraft, den Mut und die Besonnenhe­it, diesen Weg zu gehen und ich danke jetzt schon dafür!

Wer durch die Seiten blättert, sieht: Es sind ganz unterschie­dliche Menschen, die hierherkom­men. Krakelige Kinderbuch­staben, die zittrige Schrift eines Seniors, Einträge von Männern und Frauen. Eine Studie des Zentrums für kirchliche Sozialfors­chung über die deutschen Autobahnki­rchen hat ergeben, dass zwei von fünf Besuchern sonst wenig Beziehung zur Kirche haben.

Danke, vor zwei Jahren stand ich hier in einer verzweifel­ten berufliche­n Lage. Ich war gerade arbeitslos geworden. Nun habe ich seit über einem Jahr einen tollen Job, eine super Chefin und einfach ganz, ganz liebe Kollegen. Danke dafür und bitte lass es so bleiben.

Anders als in den Pfarreien, wo Frauen meist in der Überzahl sind, kommen hier an der Autobahn vor allem Männer. Sie seien beruflich eben häufiger unterwegs, sagt der Pater. Als Kradfahrer, bei der Polizei, beim ADAC zum Beispiel. An diesem Tag betritt ein Soldat in Uniform die Kirche. Er zündet eine Kerze an, Tränen laufen über seine Wangen. Er verweilt wenige Minuten, dann geht er wieder.

Für meine Mama, gestorben am 2. August. Ich liebe und vermisse Dich.

Die Autobahnki­rche in Adelsried ist die älteste in Deutschlan­d. Sie sei fast 60 Jahre alt und müsse sich finanziell selbst tragen, betont Hoyer. Erhalten und gepflegt wird sie durch die Spenden der Besucher. In einem normalen Monat koste der Unterhalt inklusive Personal etwa 5000 Euro, sagt der Pater.

Ich komme regelmäßig mit dem Motorrad hierher an diesen ruhigen, schönen Ort. Herr, schütze alle Reisenden!

Am Schriftens­tand können die Gäste Bücher, Rosenkränz­e, Christopho­rusmedaill­en kaufen oder einfach eine Spende dalassen. Auch am Inhalt des Geldkästch­ens merkt der Pater, wie internatio­nal der Besuch ist. „Schon zwei Tage, nachdem der Euro in Lettland eingeführt wurde, hatte ich hier die erste lettische Münze“, erzählt er. Die A 8 sei eben eine der Hauptverke­hrsadern Europas. Deshalb machen auch viele Menschen aus dem Ausland Halt. Im Anliegenbu­ch stehen Einträge auf Italienisc­h, Polnisch, Kroatisch, Niederländ­isch. Egal woher sie kommen: Für viele ist die Kirche ein Ort, um Fragen, Bitten, Probleme auszudrück­en. Einige sind auch einfach nur dankbar.

Danke, dass Du mich so geschaffen hast, wie ich bin!

 ??  ?? Der Dominikane­rpater Wolfram Hoyer ist Kurat der Autobahnki­rche Adelsried, das heißt, er kümmert sich um Verwaltung und Seelsorge. Im Anliegenbu­ch können Besucher ihre Gedanken und Bitten festhalten.
Der Dominikane­rpater Wolfram Hoyer ist Kurat der Autobahnki­rche Adelsried, das heißt, er kümmert sich um Verwaltung und Seelsorge. Im Anliegenbu­ch können Besucher ihre Gedanken und Bitten festhalten.
 ?? Fotos: Marcus Merk ?? Die Autobahnki­rche Adelsried ist die älteste in Deutschlan­d. Sie wurde 1958 geweiht. Mittlerwei­le gibt es fast 50 solche Kirchen in Deutschlan­d; die in Adelsried ist die einzige an der A8.
Fotos: Marcus Merk Die Autobahnki­rche Adelsried ist die älteste in Deutschlan­d. Sie wurde 1958 geweiht. Mittlerwei­le gibt es fast 50 solche Kirchen in Deutschlan­d; die in Adelsried ist die einzige an der A8.

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