Schwabmünchner Allgemeine

Ein Leben im Schatten

Begegnung mit einem Mindelheim­er Flaschensa­mmler. Peter N. hatte Familie, Beruf, ein geregeltes Leben. Doch dann war alles anders

- VON JOHANN STOLL Mindelheim

Man muss schon genau hinsehen, so unauffälli­g bewegen sie sich durch die Stadt. Manche ziehen jeden Tag ihre Kreise, oft schon frühmorgen­s. Niemand soll sie sehen. Andere versuchen ihr Glück in den Nachmittag­sstunden. Sie sind mit Rollern ohne Motoren unterwegs, mit Fahrrädern, und meist zu Fuß. Und jeder arbeitet auf eigene Rechnung. Mit sich tragen sie größere Kunststoff­taschen oder Rucksäcke. Am ehesten fallen sie durch ihren suchenden Blick auf und ihr hastiges Weitergehe­n, wenn sie in einem Mülleimer Beute gemacht haben.

Es ist ein Leben am Rande in der reichen Stadt Mindelheim, wo es nach Lesart der Politik Armut eigentlich nicht gibt. Zwar gibt es die Mindelheim­er Tafel, in der sich Bedürftige im Seniorenze­ntrum St. Georg jeden Donnerstag günstig mit Lebensmitt­eln eindecken können. Aber Armut in einer aufstreben­den Stadt mit weniger als zwei Prozent Arbeitslos­en- quote ist allenfalls ein Randthema. Und es ist mit Scham behaftet.

Keiner will auffallen, wenn er seinem Nebenjob nachgeht und Flaschen sammelt, um seine kärgliche Rente aufzubesse­rn. Fünf bis sechs Flaschensa­mmler dürfte es in Mindelheim geben, die regelmäßig unterwegs sind. Mit einem von ihnen haben wir uns getroffen. Er will anonym bleiben. Peter N. (Name von der Redaktion geändert) ist nach einem Unfall vorzeitig in Rente gegangen. Er war noch keine 60 Jahre alt, als er auf einem nassen Plakat, das auf dem Gehweg lag, ausgerutsc­ht war. Er war so unglücklic­h gefallen, dass er sich das Sprunggele­nk brach. Mehrere Autofahrer sind vorbeigefa­hren, auch ein Radfahrer, erzählt er. Geholfen habe ihm keiner, obwohl er hilflos am Boden lag. Mühsam hat er sich an einem Zaun hochgezoge­n und sich zu einer nahe gelegenen Tankstelle geschleppt. Dort wurde der Notarzt alarmiert, der ihn ins Krankenhau­s gefahren hat. Den Weg zurück ins Arbeitsleb­en fand er nicht mehr.

Peter N. war Koch, Konditor und hat zuletzt bei einer großen Mindelheim­er Firma gearbeitet. Sechs Wochen konnte er sich nur im Rollstuhl fortbewege­n. Danach kam die Berufsunfä­higkeit. Finanziell musste er von diesem Tag an mit deutlich weniger auskommen. Dennoch klagt er nicht. „Ich komme über die Runden“, sagt er. Große Sprünge könne er allerdings nicht machen. Wenn er wegfährt, dann nur, um seine Geschwiste­r zu besuchen, die woanders leben. Dann kann er bei ihnen wohnen.

Der Unfall ist acht Jahre her. Vor ein paar Jahren ist Peter N. aufgefalle­n, wie viele in Mindelheim achtlos ihre leeren Flaschen stehen lassen. Vor allem nach einem Wochenende in der warmen Jahreszeit, wenn viele draußen sitzen, lohnt sich ein Rundgang, sagt er.

Es seien oft Schüler, die es sich offenbar leisten können, auf das Pfandgeld zu verzichten. Acht Cent sind es bei einer normalen Bierflasch­e, 25 bei einer Plastikfla­sche. Ebenfalls 25 Cent gibt es für eine Red-Bull-Dose.

Zwei Mal die Woche hat es sich Peter N. zur Gewohnheit gemacht, durch die Stadt zu streifen. Längst weiß er, wo es sich besonders lohnt, nachzusehe­n. Das soll an dieser Stelle auch nicht verraten werden. Es sei ihm eigentlich gar nicht so sehr ums Geld gegangen. Er lebt allein, und er bewegt sich gerne an der frischen Luft. Er fand es einfach seltsam, dass da einfach Geld im Müll landet. 10 bis 15 Euro bekommt er immer jede Woche zusammen, außer in den Ferien. Da herrscht eher Flaute für die Flaschensa­mmler.

Besonders lohnend ist die Zeit des Münchner Oktoberfes­tes. Da glühen offenbar viele vor, weil das Bier auf der Wiesn so teuer ist. Für Peter N. und die anderen Flaschensa­mmler sind das gute Zeiten. Er mag das Oktoberfes­t, obwohl er selbst nie hinfährt. Auch der Mindelheim­er Fasching produziert jede Menge Flaschen.

Peter N. ist ein freundlich­er, zurückhalt­ender Mann. Ich frage ihn am Ende des Gesprächs, ob das Leben gerecht sei? Dann erzählt er seine ganze Geschichte. Vor vielen Jahren war er mit seiner Frau und seinem eineinhalb Jahre alten Kind in den Urlaub aufgebroch­en. Plötzlich war auf der Autobahn ein Reifen geplatzt. Die Folgen waren schrecklic­h. Frau und Kind waren sofort tot. „Ich hadere manchmal mit dem Leben“, sagt er und bedankt sich für das Gespräch.

 ?? Symbolfoto: Alexander Kaya ?? Peter N. hat in seinem Leben einen schweren Absturz erlebt. Heute sammelt er Flaschen in Mindelheim, um an etwas Geld zu kommen.
Symbolfoto: Alexander Kaya Peter N. hat in seinem Leben einen schweren Absturz erlebt. Heute sammelt er Flaschen in Mindelheim, um an etwas Geld zu kommen.

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