Ein Blick auf die Schattenseite der Globalisierung
Der Großbrand einer Kleider-Fabrik in Karachi treibt den Künstler Miro Craemer um
Mit deutschen Brandschutzvorschriften hätte dieser Großbrand nie so viele Menschenleben gefordert. Nur gelten diese Regeln nicht in Pakistan, auch wenn dort die Kleider hergestellt werden, die in Deutschland zu Tiefstpreisen verkauft werden. Als am 11. September in der Fabrik „Ali Enterprises“das Großfeuer ausbrach, wurde das dreistöckige Gebäude für mehr als 280 Arbeiter zu einem Massengrab. Es gab nur einen Notausgang, Fabrikaufseher hinderten die Belegschaft und gaben die Parole aus: „Die Jeansstoffe zuerst.“Die Flüchtenden mussten teilweise die Gitter vor den Fenstern aus den Verankerungen reißen, um aus dem lichterloh brennenden Gebäude zu springen. Die Brandkatastrophe war hierzulande auch deshalb in aller Munde, weil dort unter anderem der deutsche Textil-Discounter KiK Waren bezog. Dieses Desaster warf ein Schlaglicht auf die Schattenseite der globalisierten Marktwirtschaft.
Genau dort setzt nun fünf Jahre später der Münchner Designer und Künstler Miro Craemer an. „Als ich vom Goethe-Institut in Pakistan und dem dortigen Vasl Künstlerkollektiv für eine Arbeit eingeladen wurde, hatte ich sofort diese Bilder im Kopf“, sagt Craemer. Aus der Erinnerung an die brennende Fabrik entstand die Idee für das außergewöhnliche, Kulturen und Kontinente verbindende Projekt. Es ge- lang Craemer und Künstlern in Karatschi, mit den Hinterbliebenen der Katastrophe ins Gespräch zu kommen. Wobei sich das schwieriger gestaltete, als er anfangs dachte. Die Fabrik lag in dem Stadtteil Baldia Town, einer No-go-Area für Touristen und Reisende in Karatschi.
Aus den Gesprächen entstand die Idee für das Projekt „Cord of Desires“. Damit möchte Craemer zeigen, wie alles miteinander zusammenhängt, wie das Menschliche, nämlich die Wünsche, in das Unmenschliche, nämlich die Ausbeutung und die unerträglichen Arbeitsbedingungen, in Karatschi mündet. „Wünsche haben wir alle“, sagt Craemer, „Wünsche haben auch die Fabrikarbeiter und die Hinterbliebenen der Fabrikarbeiter.“
Schon in Karatschi im vergangenen Jahr schlug das Projekt einen Bogen nach Augsburg. Auf Stofffahnen, deren einer Teil im Textilmuseum Augsburg gewoben und deren Baumwoll-Bestandteil in Karatschi hergestellt wurde, auf diesen Fahnen haben Hinterbliebene, Studenten und Künstler in Pakistan mit unterschiedlichsten Mitteln ihre Gedanken und Wünsche festgehalten. Und wie bei einer Gebetsfahne hintereinander aufgehängt, ist die „Cord of Desire“mehrmals in Karatschi – auch spontan im öffentlichen Raum – präsentiert worden.
Nun kommt das Projekt nach Augsburg ins Textil- und Industriemuseum (Tim). Craemer stellte es gemeinsam mit der pakistanischen Künstlerin Hira Khan vor. Und man sieht im Tim schon, dass vor dem offiziellen Ausstellungseröffnungstermin am 21. September noch Arbeit ansteht. Dicke Fäden und noch dickere Kordeln sind aufgebaut, auch Stofffarben, Stifte, Scheren, eine Nähmaschine. Stoffe liegen griffbereit, der Jeans-Rahmen des Tims für die Fahnen und die Baumwollfüllung aus Karatschi.
Alle haben die Möglichkeit, sich an dem Kunstprojekt zu beteiligen, in dem sie eine eigene Fahne herstellen. Zu den „Desires“aus Pakistan kommen nun welche aus Augsburg hinzu. Das Material dazu steht bereit. Die Linie, die dadurch aufgespannt wird, soll während der Workshops auch über das Internet überbrückt werden. Per Videoübertragung soll es möglich sein, in Kontakt mit Familien zu treten, die von der Brandkatastrophe betroffen waren. Die Workshop-Teilnehmer können mithilfe von Übersetzern mit ihnen ins Gespräch kommen. O Termine Die Workshops zu dem Aus stellungsprojekt „Cord of Desires“fin den vom 16. bis 18. September täglich zwischen 10 und 14.30 Uhr im Textil und Industriemuseum Augsburg statt.