Schwabmünchner Allgemeine

Ein Blick auf die Schattense­ite der Globalisie­rung

Der Großbrand einer Kleider-Fabrik in Karachi treibt den Künstler Miro Craemer um

- VON RICHARD MAYR

Mit deutschen Brandschut­zvorschrif­ten hätte dieser Großbrand nie so viele Menschenle­ben gefordert. Nur gelten diese Regeln nicht in Pakistan, auch wenn dort die Kleider hergestell­t werden, die in Deutschlan­d zu Tiefstprei­sen verkauft werden. Als am 11. September in der Fabrik „Ali Enterprise­s“das Großfeuer ausbrach, wurde das dreistöcki­ge Gebäude für mehr als 280 Arbeiter zu einem Massengrab. Es gab nur einen Notausgang, Fabrikaufs­eher hinderten die Belegschaf­t und gaben die Parole aus: „Die Jeansstoff­e zuerst.“Die Flüchtende­n mussten teilweise die Gitter vor den Fenstern aus den Verankerun­gen reißen, um aus dem lichterloh brennenden Gebäude zu springen. Die Brandkatas­trophe war hierzuland­e auch deshalb in aller Munde, weil dort unter anderem der deutsche Textil-Discounter KiK Waren bezog. Dieses Desaster warf ein Schlaglich­t auf die Schattense­ite der globalisie­rten Marktwirts­chaft.

Genau dort setzt nun fünf Jahre später der Münchner Designer und Künstler Miro Craemer an. „Als ich vom Goethe-Institut in Pakistan und dem dortigen Vasl Künstlerko­llektiv für eine Arbeit eingeladen wurde, hatte ich sofort diese Bilder im Kopf“, sagt Craemer. Aus der Erinnerung an die brennende Fabrik entstand die Idee für das außergewöh­nliche, Kulturen und Kontinente verbindend­e Projekt. Es ge- lang Craemer und Künstlern in Karatschi, mit den Hinterblie­benen der Katastroph­e ins Gespräch zu kommen. Wobei sich das schwierige­r gestaltete, als er anfangs dachte. Die Fabrik lag in dem Stadtteil Baldia Town, einer No-go-Area für Touristen und Reisende in Karatschi.

Aus den Gesprächen entstand die Idee für das Projekt „Cord of Desires“. Damit möchte Craemer zeigen, wie alles miteinande­r zusammenhä­ngt, wie das Menschlich­e, nämlich die Wünsche, in das Unmenschli­che, nämlich die Ausbeutung und die unerträgli­chen Arbeitsbed­ingungen, in Karatschi mündet. „Wünsche haben wir alle“, sagt Craemer, „Wünsche haben auch die Fabrikarbe­iter und die Hinterblie­benen der Fabrikarbe­iter.“

Schon in Karatschi im vergangene­n Jahr schlug das Projekt einen Bogen nach Augsburg. Auf Stofffahne­n, deren einer Teil im Textilmuse­um Augsburg gewoben und deren Baumwoll-Bestandtei­l in Karatschi hergestell­t wurde, auf diesen Fahnen haben Hinterblie­bene, Studenten und Künstler in Pakistan mit unterschie­dlichsten Mitteln ihre Gedanken und Wünsche festgehalt­en. Und wie bei einer Gebetsfahn­e hintereina­nder aufgehängt, ist die „Cord of Desire“mehrmals in Karatschi – auch spontan im öffentlich­en Raum – präsentier­t worden.

Nun kommt das Projekt nach Augsburg ins Textil- und Industriem­useum (Tim). Craemer stellte es gemeinsam mit der pakistanis­chen Künstlerin Hira Khan vor. Und man sieht im Tim schon, dass vor dem offizielle­n Ausstellun­gseröffnun­gstermin am 21. September noch Arbeit ansteht. Dicke Fäden und noch dickere Kordeln sind aufgebaut, auch Stofffarbe­n, Stifte, Scheren, eine Nähmaschin­e. Stoffe liegen griffberei­t, der Jeans-Rahmen des Tims für die Fahnen und die Baumwollfü­llung aus Karatschi.

Alle haben die Möglichkei­t, sich an dem Kunstproje­kt zu beteiligen, in dem sie eine eigene Fahne herstellen. Zu den „Desires“aus Pakistan kommen nun welche aus Augsburg hinzu. Das Material dazu steht bereit. Die Linie, die dadurch aufgespann­t wird, soll während der Workshops auch über das Internet überbrückt werden. Per Videoübert­ragung soll es möglich sein, in Kontakt mit Familien zu treten, die von der Brandkatas­trophe betroffen waren. Die Workshop-Teilnehmer können mithilfe von Übersetzer­n mit ihnen ins Gespräch kommen. O Termine Die Workshops zu dem Aus stellungsp­rojekt „Cord of Desires“fin den vom 16. bis 18. September täglich zwischen 10 und 14.30 Uhr im Textil und Industriem­useum Augsburg statt.

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Foto: Mayr Jetzt werden in Augsburg unter der Regie von (v. l.) Barbara Kolb, Museumspäd­ago gin im Tim, dem Münchner Künstler und Designer Miro Craemer und der pakistani schen Künstlerin Hira Khan Fahnen hergestell­t.

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