Zeit im Aufbruch, Zeit am Abgrund
Wie Opernsängerin Angela Denoke die leichte Muse nicht zu leicht nimmt
Man stelle sich vor, man besucht einen Kammermusikabend mit einer gefeierten Sopranistin, hört klassische Lieder, spendet euphorisch Applaus, freut sich auf eine Zugabe und dann kommt: „Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre“, ein Lied von Friedrich Hollaender, berühmt geworden in der Interpretation von Marlene Dietrich. Die Frau, die an jenem Abend in London auftrat, war Angela Denoke, zu Hause auf den großen Opernbühnen der Welt und bekannt für komplexe, schwierige Frauenrollen wie Küsterin in „Jenufa“, Salome oder die Marschallin im „Rosenkavalier“– und dann ein Schlager aus den 30er Jahren!
Was damals mit einer kleinen Zugabe begann, hat sich zu einem abendfüllenden Programm entwickelt, das Angela Denoke auch in London, Mailand und Wien aufführt. Begonnen aber hat dieser Ausflug in die leichtere Muse im Jahr 2006 im Friedberger Schlosshof beim Festival „Friedberger Musiksommer“. Denn dessen künstlerischer Leiter Karl-Heinz Steffens war just bei jenem Londoner Kammerkonzert ebenfalls dabei, als Klarinettist. Begeistert war er damals von der besonderen Verbindung, die der durch die Dietrich geprägte Song mit der ausgebildeten Opernstimme Angela Denokes einging. Er schlug ihr vor, öfters mit Chansons und Schlagern aufzutreten und versprach ihr auch, die geeigneten Musiker dafür zusammenzutrommeln.
Von dieser Urbesetzung, die seitdem als „Angela Denoke & friends“auftritt, ist heute noch der Pianist und Komponist Tal Balshai dabei, der mit Angela Denoke die Lieder aussucht und die Arrangements für sie schreibt – auch für jenes Konzert, das am Samstagabend rund 300 Besucher in der Rothenberghalle erlebten und das Angela Denoke & friends nun zum dritten Mal nach Friedberg führte.
„Mittlerweile ist es das vierte Programm, das wir zusammengestellt haben“, erzählt die in Stade bei Hamburg lebende Sängerin. Während das erste Programm vor allem unterhaltsame Lieder aus den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts bestimmten, Schlager von Friedrich Hollaender oder Theo Mackeben, mischen sich mittlerweile auch düsterere Töne, AntiKriegslieder und Songs, die auf die schwierigen Verhältnisse der damaligen Zeit anspielen, ins Repertoire. Denn die Zeit vor knapp hundert Jahren mit ihrer Lebenslust und Aufbruchstimmung auf der einen Seite, aber auch der politischen Unsicherheit und den sozialen Missständen, ist es, die Angela Denoke interessiert. „Ich finde es spannend, von heute aus, wo die politische Lage wieder sehr unruhig geworden ist, auf diese Zeit zurückzublicken“, sagt Denoke.
Dass ein Konzert mit diesen Chansons und Schlagern keine leichte Übung für nebenbei ist, macht sie dabei auch deutlich. „Die Herausforderung ist eine andere, aber keine kleinere.“Denn große Konzentration sei nötig, den unterschiedlichen emotionalen Inhalten der Lieder gerecht zu werden. Und dann sei da noch ihr Anspruch, bei aller textlichen Durchdringung auch die musikalische Tiefe dieser Lieder, die ja von ausgebildeten Komponisten stammen, nicht zu vernachlässigen. „Ich will meine klassische Stimme nicht verleugnen, sondern diesen Liedern eine eigene Farbe geben“, erklärt sie.
Menschen beobachten, Zeit „schmecken“, Idyll und Liebe besingen, satirisch attackieren, in Abgründe schauen, sich fürchten, gute Laune verbreiten – das war dann auch ein strammes Paket, das Angela Denoke & friends an diesem Abend schnüren. So unterschiedlich die Themen changieren, so variabel müssen die Künstler sein. Und da ist Angela Denoke mit ihren beträchtlichen Mitteln zur Stelle. Mit ihren Partnern schritt sie den politischmenschlichen Reigen souverän aus. Von Kurt Weills „Berlin im Licht“Hommage, über einen so cool swingenden wie ernsten Brecht/WeillBlock, bis zum Filmschlager erlebte man eine spannungsvolle Runde.
Die Sängerin setzt ihr vokales Material auf ganz eigene Weise ein. Überlegenes Standing verleiht ihr die starke Grundsubstanz, ihr mit Strahlkraft versehener Sopran, den sie nicht verleugnet, aber dramaturgisch überlegen mit Färbungen versieht, der lyrisch zurückgefahren werden kann, wie im liebevollen Spott von Walter Mehrings „Kleiner Stadt“zu Werner Richard Heymanns charismatischer Musik. Bei Brecht/Weill nähert sie sich intelligent dosiert dem Sound der legendären Lotte Lenya an oder sie formt den „Alabama“-Song zum fesselnden Dramolett aus Sprechgesang und Vokalausbruch. Bei Friedrich Hollaender wuchtet sie mit lustig unverschämter Brillanz „Raus mit den Männern aus dem Reichstag“in den Raum.
Mit freundlichem Genuss endete der Abend mit Filmschlagern wie „Das gibt’s nur einmal“oder der schnippisch gezuckerten MarleneDietrich-Zugabe „Peter“. Was Tal Balshai am Klavier, der fantastische Klarinettist Norbert Nagel und Timothy Parks am Cello zauberten, trug Denokes Gesang federleicht durch den Raum. Der Staatsschauspieler Uwe Kraus markierte mit Texten von Tucholsky, Kästner und Brecht souverän die literarischen Schnittstellen zur Musik. Für ihr kleines Welttheater wurden Angela Denoke & friends gefeiert.