Schwabmünchner Allgemeine

Der Herr der Hochrechnu­ngen

Am Sonntag erklärt uns Jörg Schönenbor­n wieder das Wahlergebn­is. Was seine Leidenscha­ft für Zahlen mit Kartoffelc­hips zu tun hat – und was er eigentlich werden wollte

- Michael Stifter

Am Sonntag um Punkt 18 Uhr wird er wieder auf Millionen von Bildschirm­en erscheinen. Jörg Schönenbor­n ist der Mann für die Zahlen. Seit 1999 präsentier­t er die Wahlsendun­gen in der ARD. Dabei wollte er eigentlich etwas ganz anderes werden. Wer mit dem 53-Jährigen abends auf ein Bier zusammensi­tzt, kann mit ihm nicht nur leidenscha­ftlich über Politik diskutiere­n, sondern auch über Fußball. Als Kind hat er das große Ziel, eines Tages das „Aktuelle Sportstudi­o“zu moderieren oder als Radio-Kommentato­r live aus den großen Stadien zu berichten. Später bringt er es immerhin zum Stadionspr­echer seines Heimatvere­ins Union Solingen und schreibt Spielberic­hte für die Lokalzeitu­ng.

In der Schule mag er lieber Physik und Mathematik als Sport. Damals gibt es den Begriff Nerd noch nicht, aber vielleicht hätte er auf ihn gepasst. „Ich habe ein entspannte­s Verhältnis zu Zahlen“, sagt er einmal im Interview mit unserer Zeitung. Auch seine Begeisteru­ng für Umfragen erwacht schon in Kindertage­n. Mit einem Schulfreun­d diskutiert er die elementare Frage, was besser schmeckt: Erdnussfli­ps oder Kartoffelc­hips? Weil die Fronten verhärtet sind, ziehen die beiden los und starten eine Meinungsum­frage. Es ist die erste im Leben des Mannes, dem Kollegen später den Spitznamen „Graf Zahl“verpassen werden. Ach ja, falls Sie jetzt auch diskutiere­n: Die Chips holten damals klar die absolute Mehrheit. Als es um die berufliche Zukunft geht, entscheide­t sich Schönenbor­n gegen Mathe und Physik: Er studiert Politikwis­senschaft und Journalist­ik in Dortmund. Eine gute Entscheidu­ng, auch aus privater Sicht: Schon am ersten Tag an der Uni lernt er seine spätere Ehefrau kennen. Später wird er Reporter für die „Tagesschau“und muss schon früh seine erste Bewährungs­probe bestehen. Als 29-Jähriger berichtet er 1993 live vor Ort über den Brandansch­lag auf eine türkische Familie in Solingen. Wie in Trance läuft er durch die Straßen seiner Kindheit. Fünf Menschen sind tot. Sie wurden ermordet. In seiner Heimatstad­t. Der junge Journalist kämpft gegen den Kloß im Hals. Doch vor der Kamera gelingt es ihm, die Gefühle auszuschal­ten. Er wird dafür mehrfach ausgezeich­net.

Auch an hektischen Wahlabende­n behält Schönenbor­n meist die Ruhe – selbst dann, wenn mal wieder der Bildschirm streikt, auf dem er Zahlen und Analysen hin- und herschiebt. Am liebsten hat er es, wenn es möglichst lange spannend bleibt. Ob dieser Wunsch am Sonntag in Erfüllung geht? Auf jeden Fall gibt es neben all den Ergebnisse­n noch etwas anderes, das Schönenbor­n interessie­rt: die Emotionen der Politiker. „Ich glaube, wir können uns gar nicht vorstellen, wie viel körperlich­e Energie in einen solchen Wahlkampf fließt. Und was dann plötzlich für ein Druck abfällt“, sagt der Moderator. Und er gibt zu, dass er dann oft Mitleid mit den Verlierern hat.

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Foto: dpa

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