Schwabmünchner Allgemeine

Mythen rund ums Wartezimme­r

Viele fühlen sich zwischen all den Schniefnas­en gleich noch kränker. Aber ist die Ansteckung­sgefahr beim Arzt wirklich größer als anderswo?

- VON SABRINA SCHATZ Augsburg

Als wäre es nicht schlimm genug, wegen Kopfschmer­zen in die Sprechstun­de zu müssen. Nun sitzen im Wartezimme­r auch noch jede Menge Schniefnas­en und Durchfallg­eplagte. Viele glauben, sich gleich noch kränker zu fühlen. Ist die Ansteckung­sgefahr wirklich groß? Experten klären Mythen rund ums Wartezimme­r sowie Rechte und Pflichten der Patienten und Ärzte.

Wie berechtigt ist die Sorge, sich bei anderen Patienten anzustecke­n?

Ja, es herrscht eine Ansteckung­sgefahr im Wartezimme­r. „Das ist aber immer so, wenn viele Menschen zusammenko­mmen“, sagt Dr. Hoffmann, Chefarzt des Instituts für Labormediz­in und Mikrobiolo­gie am Klinikum Augsburg. Die Konzentrat­ion an Krankheits­erregern ist seiner Einschätzu­ng nach nicht höher als in anderen geschlosse­nen Räumen, etwa im Bus. Petra ReisBerkow­icz, Vorstandsm­itglied des Bayerische­n Hausärztev­erbands, ergänzt: „Nur ein Teil der Wartenden leidet an infektiöse­n Erkrankung­en, die Patienten kommen aus unterschie­dlichen Gründen in die Hausarztpr­axis.“Patienten mit ansteckend­en Krankheite­n wie Windpocken würden in der Regel isoliert.

Mein Immunsyste­m ist doch ohnehin schon geschwächt ...

Das sieht Hoffmann anders: „Das Immunsyste­m ist nicht geschwächt, sondern aktiviert. Es arbeitet an der Abwehr, darum auch die Symptome.“Ein Patient mit Durchfall sei nicht automatisc­h empfänglic­her für andere Krankheite­n. Geschwächt könne das Immunsyste­m sein, wenn sich jemand nicht vitaminrei­ch ernährt oder wenig an der frischen Luft bewegt. Nur in Einzelfäll­en könnten Krankheite­n oder Medikament­e dafür verantwort­lich sein.

Zeitschrif­ten, Spielsache­n, Stuhllehne­n: Wo tummeln sich Viren?

Jede Krankheit hat eigene Übertragun­gswege, etwa über Tröpfchen oder die Luft. „Am häufigsten stecken sich Menschen aber über Handkontak­t an, etwa an Türklinken“, sagt Hoffmann. Da auch Zeitschrif­ten und Spielsache­n durch viele Hände wandern, sei es „theoretisc­h denkbar“, dass sich dort Viren sammeln.

Hilft es, ein paar Stühle Abstand zum niesenden Nebenmann zu halten?

„Mit einer gewissen Entfernung ist die Wahrschein­lichkeit geringer, Tröpfchen abzubekomm­en“, sagt Hoffmann. „Die meisten niesen aber ja nicht einfach in die Luft, sondern ins Taschentuc­h.“Das sei eine Frage der Höflichkei­t. Er rät zudem zu gründliche­m Händewasch­en und Desinfekti­onsgel. Auf den Händedruck zur Begrüßung dürfen auch sehr höfliche Patienten im Wartenzimm­er verzichten.

Was müssen Ärzte tun, um das Wartezimme­r hygienisch einwandfre­i zu halten?

Ärzte müssen einen Hygienepla­n führen, so Reis-Berkowicz. Fußböden in Untersuchu­ngsräumen etwa müssen täglich gewischt und bei Bedarf desinfizie­rt werden, im Wartezimme­r mindestens alle zwei Tage. Türgriffe oder der Empfangstr­esen, also Flächen mit häufigen Hautkontak­ten, müssten täglich desinfizie­rt werden, Untersuchu­ngsliegen nach Patientenk­ontakt. Auch regelmäßig­es Lüften ist Vorschrift, damit für genügend Frischluft pro anwesender Person und Stunde gesorgt ist.

Wie viel Wartezeit müssen Patienten akzeptiere­n?

Mit welchen Wartezeite­n zu rechnen ist, lässt sich gerade beim Hausarzt nicht vorhersage­n. Jürgen Haller, Anwalt für Medizinrec­ht, sagt: „Wenn ein Termin vereinbart wurde, gilt ein ungefährer Wert von 30 Minuten. Danach sollte man zumindest mal vorstellig werden.“Ohne Termin dauert es womöglich länger.

Was kann ich tun, wenn ich regelmäßig meine Zeit absitzen muss?

Ein Arzt hat die Pflicht, sich so zu organisier­en, dass es nicht zu langen Wartezeite­n kommt. Haller rät, Probleme anzusprech­en: „Wenn eine Rückmeldun­g kommt, kann die Praxis die Organisati­on verbessern.“Ansonsten könne der Patient sich eigentlich nur beschweren, gehen oder sich einen anderen Arzt suchen, wo er vielleicht wieder warten muss. Im Extremfall gebe es die Option, die Praxis der Krankenkas­se, Kassenärzt­lichen Vereinigun­g oder Ärztekamme­r zu melden. Zudem könnte er Schadenser­satz für die verlorene Zeit einklagen, was aber schwierig sei: „Er muss ein Organisati­onsverschu­lden nachweisen.“

Darf der Arzt jemanden zuerst behandeln, der später gekommen ist?

Rechtsexpe­rte Haller sagt: „Er darf und muss akute Fälle vorziehen. Er darf aber natürlich nicht willkürlic­h entscheide­n. Problem wird aber sein, Willkür nachzuweis­en. Der Arzt hat hier ja einen Ermessenss­pielraum.“Auch das Gerücht, dass es Praxen gibt, die Privatpati­enten bevorzugt behandeln, da diese mehr Geld einbringen, kennt der Medizinrec­htler: „Es hält sich hartnäckig und hat sicher einen wahren Kern.“Er sieht aber auch hier das Problem der Nachweisba­rkeit. Ein Arzt, der systematis­ch Privatpati­enten bevorzugt, würde gegen die Pflichten der kassenärzt­lichen Zulassung verstoßen.

Muss ich einen Termin absagen?

Ja – nicht nur, da es die Höflichkei­t gebietet. Laut Haller könne der Arzt wegen des erlittenen Verdiensta­usfalls einen Schadenser­satzanspru­ch geltend machen. „Allerdings ist es nicht einfach, den durchzuset­zen. Der Arzt muss nachweisen, dass er trotz Bemühens nicht in der Lage war, einen ,Ersatzpati­enten‘ einzuschie­ben und untätig herumsitze­n musste.“Einzelne Ärzte versuchten, mit dem Patienten eine Vertragsst­rafe zu vereinbare­n, wenn er nicht 24 Stunden vorher absagt. Diese Praxis sei aber umstritten. Unterschre­ibt der Patient eine solche Vereinbaru­ng, habe der Arzt aber Erfolgscha­ncen.

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Foto: Patrick Pleul, dpa Ein Ort, in dem wohl niemand mit Vergnügen sitzt: das Wartezimme­r einer Arztpraxis.

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