Schwabmünchner Allgemeine

Wie sich Künstler in ihren Modellen spiegeln

Der eine war extroverti­ert und malte selbstbewu­sste Frauen. Der andere war introverti­ert und malte intime, stille Szenen aus dem Bade- und Ankleidezi­mmer. Ein großartige­r Frankfurte­r Dialog der befreundet­en Maler

- VON RÜDIGER HEINZE Frankfurt am Main Matisse – Bonnard: Es lebe die Malerei!

Sie besaßen ein vollkommen unterschie­dliches Naturell – aber waren über Jahrzehnte miteinande­r eng befreundet. Sie besuchten im ausgehende­n 19. Jahrhunder­t dieselben Pariser Akademien, kauften sich Anfang des 20. Jahrhunder­ts gegenseiti­g ein als wesentlich erachtetes Gemälde ab, hatten einen gemeinsame­n Pariser Galeristen, stiegen rasch zu angesehene­n französisc­hen Künstlern der Moderne auf und führten eine umfangreic­he Korrespond­enz von respektvol­l-warmherzig­em Ton: Pierre Bonnard (1867–1947) und Henri Matisse (1869–1954). „Vous“statt „tu“.

Das Gemeinsame freilich ist oft weit weniger spannend als das Konträre und Trennende. Und das Trennende war eben das vollkommen unterschie­dliche Naturell von Bonnard und Matisse, diesen beiden starken Koloristen. Ihre persönlich­en Gestimmthe­iten übertrugen sich auf ihre Malerei und beeinfluss­ten deren Expression, Bekenntnis und Miene. Folglich sind sie abzulesen.

Wer jetzt durch die großartige neue Gegenübers­tellung der zwei Künstler im Frankfurte­r StädelMuse­um spaziert, dem begegnen auf Schritt und Tritt die weit auseinande­rstrebende­n Pole von an sich gemeinsame­r Mal- und Darstellun­gsleidensc­haft. Sie begegnen einem im dokumentar­ischen Foto, sie begegnen einem im Selbstbild­nis, im weiblichen Akt, in der Skulptur. Das ist fasziniere­nd.

Kommen wir auf den Punkt: Pierre Bonnard, das war der introverti­erte Mensch: zurückhalt­end, still, melancholi­sch, hager. Matisse, das war der extroverti­erte Mensch: weltzugewa­ndt, zupackend, beleibt, Präsenz zeigend, mit Neigung zur Opulenz. Und nun fesselt, diese Charaktere im Kunstwerk gespiegelt zu sehen.

Station 1. Die Frankfurte­r Schau setzt ein mit Fotografie­n Henri Cartier-Bressons, aufgenomme­n 1944 auf den jeweiligen Landsitzen der beiden Künstler. Matisse füllt wie selbstvers­tändlich den Raum; er ist bei sich und den schönen Dekoration­en seiner Arbeitszim­mer. Er liebt das Tier, er liebt die Pflanze. Bonnard hingegen entzieht sich dem frontalen Blick der Kamera; er bleibt im Hintergrun­d, wendet sich ab, bleibt gefangen in sich selbst. In zwei Handvoll abgelichte­ter Augenblick­e geben zwei Menschen eine bildliche Visitenkar­te ab.

Station 2. Henri Matisse im Selbstbild­nis (1906), Pierre Bonnard im Selbstport­rät (1930). Matisse schaut den Betrachter herausford­ernd mit emporgehob­enen Augenbraue­n an: eine kalkuliert­e Selbstinsz­enierung. Bonnard hingegen gibt sinnierend in gedanklich­er Ferne; was oder wen er mit gesenktem Kopf betrachtet, bleibt im Ungewissen. Einmal mehr ist er abwesend anwesend. Unschärfe macht ihn nicht recht fasslich, seine Halbfigur wirkt wie eine Erscheinun­g (Bilder unten).

Station 3. Zwei kleine Statuetten, zwei Bronze-Akte aus dem Jahr 1906. Matisse modelliert seine Figur stolz, aufrecht, mit barock-auslasich denden Kurven, weitem Ausfallsch­ritt und hinter dem Kopf verschränk­ten Armen – als ob er sein Naturell auch von seinem Modell verlangen würde. Bonnard hingegen modelliert seine Figur mit gesenktem Kopf, angelegten Armen, winzigem Ausfallsch­ritt, feingliedr­ig – als ob er seinen Charakter in seiner Lebensgefä­hrtin Marthe, das Modell, wiedererke­nnen würde. Extroverti­ert – introverti­ert.

Station 4. Und dann reihen sich in einer anderen Abteilung dieser farbprunke­nden Ausstellun­g, die natürlich auch nicht die ebenfalls wesentlich­en Genres Landschaft und Stillleben übergeht, Akt an Akt. In nahezu jedem dieser Akte begegnet dem Betrachter das spezielle Menschenbi­ld von Matisse und Bonnard: Hier offen, bereit, gleichsam greifbar. Dort intim, versenkt, still, traumverlo­ren, flüchtig – wie wenn vom Zeugen der indiskret-genießende Moment gesucht worden wäre.

Sicherlich kam Bonnard die persönlich­e Gestimmthe­it seiner Freundin, Muse, Lebensgefä­hrtin und späteren Frau Marthe entgegen. Von Zeitgenoss­en wurde auch sie, die einst Veilchen verkauft haben soll in den Straßen von Paris, als scheu, ja letztlich an Verfolgung­swahn leidend beschriebe­n. Aber gleichzeit­ig konnte sich der wesensverw­andte Bonnard perfekt in sie einfühlen und sie aus Skizzen und aus dem Gedächtnis heraufbesc­hwören – während Matisse mit wechselnde­n profession­ellen (exotischen) Modellen direkt von Angesicht zu Angesicht arbeitete.

Aber auch der dürfte trunken von Bonnards flirrenden, vibrierend­en, pulsierend­en Farblichtw­olken sein und trunken von Matisses üppigen Couleurs und Formen, der in dieser Frankfurte­r Schau mit 120 Werken, darunter viele bedeutende internatio­nale Leihgaben, nicht nur auf das Naturell und das Menschenbi­ld von Bonnard und Matisse schaut.

OÖffnungsz­eiten bis

14. Januar im Frankfurte­r Städel: Di. bis So. von 10 bis 18 Uhr, Do. und Fr. bis 21 Uhr. Katalog: 39,90 Euro.

Wo ist sie? Das muss man doch fragen angesichts dieses Bildes, das die neue Zwei-Euro-Münze vorstellt, die Anfang 2018 in Auflage von 30 Millionen Stück herauskomm­t. Zu sehen ist dann anlässlich seines 100. Geburtstag der vor zwei Jahren gestorbene Alt-Kanzler Helmut Schmidt, in typischer Pose. Alles passt, bloß eines fehlt: die Zigarette. Sie war nicht nur für ihn obligatori­sch, sondern für diese Pose mit dieser Handhaltun­g und dieser Fingerstel­lung geradezu konstituti­v. Und so sieht man sie fast, doch sie ist nicht da.

Mancher mag daran denken, wie Comic-Cowboy Lucky Luke einst der Glimmsteng­el abhandenka­m – hätte man nicht auch Schmidt mit Strohhalm substituie­ren sollen? Ein anderer mag daran denken, dass es in „seiner“Zeitung die Kolumne des Chefredakt­eurs Giovanni DiLorenzo gab mit einem Titel, der nun lückenhaft wirkt: „Auf eine … mit Helmut Schmidt“. Münz-Designer Bodo Broschat rechtferti­gte sich gegenüber dem Blatt, schon in den Achtzigern sei ein Entwurf der Zwei-Mark-Münze gescheiter­t, der Ludwig Erhard mit der für ihn obligatori­schen Zigarre zeigte. Klar, wie das dann in unseren gesundheit­sfanatisch­en und rauchfeind­lichen Zeiten mit der Zigarette bei Schmidt ausgehen musste. Schmidt selbst wird in der

aus dem Jahr 2012 zitiert: „Diese Anti-Raucher-Kampagne ist eine vorübergeh­ende Modeersche­inung, die wird in zwanzig Jahren wieder zu Ende gehen. Das ist so wie mit der Prohibitio­n, die ist auch gescheiter­t.“Besonders populär wäre die Aussage vom sonst so Beliebten aktuell wohl nicht. Aber interessan­t: Nachdem in den vergangene­n Jahren die Zigarette etwa in Filmen quasi verschwund­en oder den betont Unmoralisc­hen vorbehalte­n war, tauchte sie neulich in der düsteren Zukunftsvi­sion „Jugend ohne Gott“wieder auf – in den Händen des einzigen Erwachsene­n, der den menschlich­en Optimierun­gswettbewe­rb als Wahn erkannte.

Zeit Die Zeit

 ?? Fotos: © Succession H. Matisse/VG Bild Kunst Bonn 2017 ?? In Konfrontat­ion mit dem Betrachter – und in Abkehr zum Betrachter: „Odaliske mit einem Tambourin“von Henri Matisse aus den Jahren 1925/26 (links) und Pierre Bon nards „Akt vor dem Spiegel“(1931).
Fotos: © Succession H. Matisse/VG Bild Kunst Bonn 2017 In Konfrontat­ion mit dem Betrachter – und in Abkehr zum Betrachter: „Odaliske mit einem Tambourin“von Henri Matisse aus den Jahren 1925/26 (links) und Pierre Bon nards „Akt vor dem Spiegel“(1931).
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 ?? Foto: © Succession H. Matisse/VG Bild Kunst Bonn 2017 ?? Henri Matisse in seinem Selbstport­rät 1906 (links) sowie Pierre Bonnard in einem Selbstbild­nis von 1930.
Foto: © Succession H. Matisse/VG Bild Kunst Bonn 2017 Henri Matisse in seinem Selbstport­rät 1906 (links) sowie Pierre Bonnard in einem Selbstbild­nis von 1930.
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