Schwabmünchner Allgemeine

Experten leben gefährlich

- VON TILMANN MEHL time@augsburger allgemeine.de

Zeitgeist und Fortschrit­t haben es mit sich gebracht, dass es viele Berufsgrup­pen heute einfach nicht mehr gibt. Kein Sechsjähri­ger, der seinen Eltern mit leuchtende­n Augen berichtet, er würde gerne Harzer werden. Dabei war es früher ein durchaus ehrenwerte­r Beruf, Harz zur Teerherste­llung zu sammeln. Oder aber der erstrebens­werte Posten des Frühstücks­direktors. So durften sich vor allem die missratene­n Nachkommen mächtiger Patriarche­n nennen – ohne auch nur dem Assistente­n des Hausmeiste­rs gegenüber weisungsbe­fugt zu sein.

In Spitzenver­einen war es üblich, verdiente Mitarbeite­r mit einer Funktion auszustatt­en, deren Notwendigk­eit für die Fortentwic­klung des Klubs nicht zwingend notwendig ist. Fanklubbet­reuer, CoTrainer der zweiten Frauenmann­schaft, Pressewart der Kegler. In Zeiten marodieren­der Unternehme­nsberater (die es wiederum früher nicht gab) nahmen sich Vereine verstärkt die Personalko­sten zur Brust. Freilich nicht die der hochbezahl­ten Kicker, sondern jene der auf sinnlose Posten versetzten Altstars.

Wollten die fortan ihr Auskommen nicht mit Autohauser­öffnungen verdienen, suchten sie sich einen Job beim Fernsehsen­der ihrer Wahl. Der Beruf des TV-Experten erfreut sich bis heute großer Beliebthei­t. Die Vorzüge sind offensicht­lich: passable Bezahlung, beste Plätze im Stadion und das Ganze ohne Gefährdung der eigenen Gesundheit. Dachte man. Mehmet Scholl durfte Mario Gomez ungestraft vorwerfen, sich auf dem Platz wund zu legen. Oliver Kahn ist neben dem Platz genauso kompromiss­los wie früher im Strafraum. Experte zu sein bedeutet, nicht direkt auf das Objekt der Kritik zu treffen. Distanz schafft Schärfe.

Christian Constantin hat dem Schweizer Fußballsac­hverständi­gen Rolf Fringer nun der Annahme beraubt, das Leben eines TV-Experten sei frei von Gefahr. Der Präsident des FC Sion ohrfeigte nach dem Spiel den ehemaligen Coach des VfB Stuttgart und versetzte dem flüchtende­n Fringer anschließe­nd noch einen Tritt auf den Hintern. Constantin fühlte sich von dem 60-Jährigen in ein schlechtes Licht gerückt, weil ihn dieser als Narzisst bezeichnet hatte.

Ein juristisch­es Nachspiel ist sicher. Egal, wie es ausgeht: Das Berufsbild hat Schaden genommen. Der TV-Experte könnte in Kürze dem Frühstücks­direktor und dem Harzer folgen. Wie aber sollen sich Profis auch nach der Karriere noch Luxuswagen und Tätowierun­g leisten können? Autohauser­öffnungen dürften wieder stark im Kommen sein.

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Foto: dpa Oliver Kahn hat ein sicheres Auskommen als TV Experte. Noch.
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