Schwabmünchner Allgemeine

Ein Ohrwurm ist selten große Kunst

- VON RICHARD MAYR rim@augsburger allgemeine.de VON ALOIS KNOLLER

Es gibt Stücke, die einem tage-, wochen-, monatelang nicht aus dem Ohr gehen. Sie müssen nicht von Mozart, Beethoven und Bruckner komponiert sein. Manchmal wird man Opfer der einfachste­n musikalisc­hen Tricks – etwa einer Liedzeile. „Holland ist die geilste Stadt der Welt“ist so ein Titel. Witzig, überdreht und irgendwie wahr. Als Titeltrack eines Silvesterf­ests war der Song perfekt.

Nun erreichte die Redaktion eine Nachricht, die die deutsche Musikwelt wohl nicht erschütter­n, in Augsburg aber den einen oder anderen Plärrer-Fan nachdenkli­ch stimmen wird: Die Isartaler Hexen gehen 2018 auf Abschiedst­ournee – dann fliegen sie auf ihren Besen davon. Die Hexen? Ja, das sind acht Frauen, die bestens die Klaviatur einer ausufernde­n Bierzelt-Party beherrsche­n, die ein paar eigene Nummern spielen, vor allem aber den richtigen Hit zum richtigen Zeitpunkt eines Abends. Über sich selbst singen sie: „Brave Mädchen kommen in den Himmel … doch die Bösen kommen überallhin!“Auf dem Augsburger Plärrer haben die Hexen die Dienstage in einen handfesten Partytag verwandelt.

Nun langt es Ulla, der Bandleader­in. 18 Jahre lang war sie als Oberhexe auf Tournee. Ein Fulltime-Job, ein Knochenjob, schließlic­h spielen sie an den Abenden oft vier oder fünf Stunden Programm. Jetzt will Ulla die Beine hochlegen. Für Sängerin Susal alias Susanne Franz ist das der Moment, sich auf eine Solokarrie­re zu konzentrie­ren, ihre erste eigene Schlager-Auskopplun­g heißt „Neubeginn“. Das klingt erst einmal nicht mehr nach Bierzelt und „Die Maßen hoch“. Man kann schon jetzt sagen: Liebe Hexen, auf dem Plärrer werdet ihr eine Lücke hinterlass­en. Und: Kein Publikum ist wendischer als ein Bierzeltpu­blikum.

Da fällt mir ein legendärer Abend in Thüringen ein. Michelstad­t, Rennsteigl­auf, großes Bierzelt, abends wollen 5000 Besucher feiern. Es tritt aber nicht die ursprüngli­ch vorgesehen­e Band auf, die Band, die auch die Rennsteigh­ymne eingespiel­t hat, sondern eine andere. Diese andere Band will um 18 Uhr loslegen, hat aber Probleme mit dem Sound. Das Bierzelt tobt. Ein Pfeifkonze­rt schlägt den Musikern entgegen. Vor der Bühne schimpfen Fans der RennsteigH­ymnenband: „Zieht Leine, haut ab, ihr habt hier nichts zu suchen“. Die Bierzeltbe­sucher fangen ohne Band zu singen an: die RennsteigH­ymne, den Holzmichl. Gegen das Pfeifkonze­rt und ein buhendes Publikum legen nun die Musiker los: die Rennsteig-Hymne und den Holzmichl, immer im Wechsel, drei Mal hintereina­nder. Und weil schon genügend Bier im Spiel ist, singen bei der zweiten Wiederholu­ng alle mit. Der Abend endet spät.

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„Intermezzo“ist unsere KulturKolu­mne, in der Redakteure schreiben, was ihnen die Woche über aufgefalle­n ist.

Sie schreitet unerbittli­ch voran – die Zeit, wer hält sie fest? Doch bleiben Erinnerung und Überliefer­ung. Genau dies thematisie­rt die neue Ausstellun­g des Berufsverb­ands Bildender Künstler in der Galerie im Abraxas. Zum Beispiel das (echte!) Fenster in die Familienga­lerie von Liliana Mesmer. In Leporellos purzeln Fotos heraus aus ihrer Kindheit in Temesvar und von ihren Vorfahren; alte Zeiten bestürmen das Gedächtnis und fordern Aufmerksam­keit.

Unter dem Motto „Bewahren und Loslassen“versammelt der BBK die Arbeiten von 52 Künstlern aus Schwaben und aus dem KunstBund Chemnitz. Es ergab sich nämlich, dass beide Vereinigun­gen 2016 fast themenglei­che Ausstellun­gen

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