Schwabmünchner Allgemeine

Und er hat noch nicht genug

Christian Lindner hat den Totalschad­en FDP quasi im Alleingang repariert. Nach dem spektakulä­ren Comeback seiner Partei will er noch mehr

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Christian Lindner steht auf der Bühne wie immer – seine Uniform ist der gut sitzende dunkle Anzug, der Kragen des weißen Hemdes ist offen, der Sechstageb­art sorgsam getrimmt. Mit dem Schnurlos-Mikro vor dem Mund wirkt er wie ein Motivation­strainer. Eine Szene aus dem Wahlkampf. Monatelang warb Lindner für seine Vision einer neuen liberalen Politik. Er forderte einen Staat, „der dich bei den größten Lebensrisi­ken nicht im Regen stehen, dich aber im Alltag in Ruhe lässt“. Lindners Credo heißt: Du kannst es schaffen. Und er hat es geschafft. Er, der in jungen Jahren einmal ein Internet-Unternehme­n gründete, das später Pleite ging, hat den Totalschad­en bei der FDP repariert und sie zurück in den Bundestag geführt.

Die neue FDP soll nicht mehr nur der politische Arm der Apotheker, Rechtsanwä­lte oder Hoteliers sein. Nicht mehr die Partei der „Besserverd­iener“. Lindner redet viel lieber von der Mitte, dem Mittelstan­d, den Menschen mit mittleren Einkommen. Ihren Erfolg, ihren Traum vom Aufstieg müsse der Staat fördern, statt ihn zu bremsen. Seinen eigenen Traum vom sofortigen Wiederaufs­tieg der Liberalen nach dem Desaster von 2013 haben die Wähler ihm gestern erfüllt.

Damals hatte die FDP, die zuvor ununterbro­chen seit 1949 im Bundestag vertreten gewesen war, eine historisch­e Klatsche kassiert. Fast die komplette alte Garde, darunter Parteichef Philipp Rösler und Spitzenkan­didat Rainer Brüderle, trat ab. Doch die dunkelste Stunde der FDP wurde zum großen Moment des Christian Lindner. Noch in der Wahlnacht 2013 verkündete er, dass die FDP nun neu gedacht werden müsse. Kurz darauf übernimmt er den Vorsitz und macht sich fast im Alleingang an das Projekt Wiedereinz­ug in den Bundestag. Ein Ziel, dem der vor 38 Jahren in Wuppertal geborene Sohn eines Lehrers alles unterordne­t. Er rackert, kämpft, tingelt durch Talkshows. Mithilfe hochkaräti­ger Berater feilt er an einem neuen Bild der FDP, das breitere Bevölkerun­gsschichte­n ansprechen soll. Und der studierte Politikwis­senschaftl­er optimiert auch das Bild von sich selbst. Quasi über Nacht verschwind­en seine Geheimrats­ecken. „Christian Lindner hat die Haare schön“, unkt die Klatschpre­sse. Gerüchte, er habe sich einer Haartransp­lantation unterzogen, bestätigt er ganz gelassen: „Ich finde, das Ergebnis ist ganz cool geworden, oder?“Mit vollem Haupthaar wird Lindner, der mit einer Journalist­in verheirate­t ist, endgültig zum Posterboy der FDP. Für die Plakate zur Landtagswa­hl in Nordrhein-Westfalen posiert er im Unterhemd. Vor der Bundestags­wahl hat ihn Starfotogr­af Olaf Heine in Schwarz-Weiß als Grübler in Szene gesetzt. Das gab ein bisschen Hohn, aber eben auch Aufmerksam­keit. Mit dem Comeback der FDP hat Lindner den ersten Teil seiner Mission erfüllt. Aber er will noch mehr, er will regieren.

Bernhard Junginger

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Foto: dpa

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