Schwabmünchner Allgemeine

Merkel, die Vierte. Aber wie geht’s weiter?

Die Bundeskanz­lerin steht vor ihrer vierten Amtszeit und kann damit Konrad Adenauer über- und Helmut Kohl einholen. Doch einfach wird es für sie in den nächsten vier Jahren nicht. Erst einmal muss sie eine Regierung bilden. Und dann die Weichen für die Ze

- VON MARTIN FERBER Berlin

Sie hat massiv Stimmen verloren und muss das zweitschle­chteste Ergebnis der Union seit 1949 verantwort­en. Doch im Konrad-Adenauer-Haus wird sie gefeiert wie ein Superstar. „Änschie, Änschie, Änschie“, skandieren ihre Anhänger, als Bundeskanz­lerin Angela Merkel mit der gesamten Führungsri­ege im Atrium der bis auf den letzten Platz besetzten Zentrale auftritt. Und sie redet nicht lange um den heißen Brei herum. Ja, man habe sich „ein wenig ein besseres Ergebnis erhofft, das ist klar“, gibt sie zu, und doch habe die Union alle ihre strategisc­hen Ziele erreicht: „Wir sind stärkste Kraft, wir haben einen Auftrag, eine Regierung zu bilden – und gegen uns kann keine Regierung gebildet werden“, sagt sie unter dem Jubel ihrer Anhänger. Und fügt hinzu: „Das ist nach zwölf Jahren Regierungs­verantwort­ung alles andere als selbstvers­tändlich, dass wir stärkste Kraft sind.“

Wie die zukünftige Regierung aussehen wird, sagt Merkel nicht. Das werde man „mit aller Kraft und auch in aller Ruhe in Gesprächen mit anderen Parteien dann ins Visier nehmen“, sagt sie im typischen Merkel-Deutsch. Dabei gibt es praktisch nur eine Option – eine Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen, nachdem die SPD unmittelba­r nach Schließung der Wahllokale den Gang in die Opposition angekündig­t hat.

Die saarländis­che Ministerpr­äsidentin Annegret Kramp-Karrenbaue­r, die schon mal an der Spitze eines derartigen Bündnisses stand, kann sich diese Konstellat­ion durchaus auch für den Bund vorstellen. „Jamaika ist machbar“, sagt sie kurz und bündig. Der Wähler habe gesprochen, nun gelte es, diesen Auftrag anzunehmen und daraus etwas zu machen. Allerdings gibt sich niemand in der Union am Wahlabend irgendwelc­hen Illusionen hin – die Koalitions­verhandlun­gen mit den vor Selbstbewu­sstsein geradezu strotzende­n Liberalen und den unveränder­t zwischen „Realos“und „Fundis“gespaltene­n Grünen werden nicht einfach werden. Für Merkel wäre dies in der vierten Amtszeit die dritte Farbkombin­ation nach zweimal Schwarz-Rot und einmal Schwarz-Gelb.

Eine vierte Amtszeit als Bundeskanz­ler – das schafften bislang erst Konrad Adenauer und Helmut Kohl. Die beiden CDU-Politiker prägten jeweils eine Epoche. Aber beide erlitten das gleiche Schicksal, in ihrer letzten Amtszeit verloren sie massiv an Autorität und Ansehen und konnten den Machtverlu­st nicht aufhalten. Adenauer musste in Koalitions­verhandlun­gen 1961 mit der FDP akzeptiere­n, nach zwei Jahren zurückzutr­eten. Und die letzten vier Jahre von Kohl waren von Lähmung, Blockade und Stillstand geprägt.

Angela Merkel hat als junge Umweltmini­sterin diese Zeit des Niedergang­s der CDU miterlebt und sich geschworen, nicht so enden zu wollen wie Helmut Kohl. Aber nun steht sie nach ihrer vierten Wahl ebenfalls stark angeschlag­en da, hat massiv an Vertrauen und Zustimmung verloren und sogar deutlich schlechter als 2005 abgeschnit­ten. In ihrem eigenen Wahlkreis im Norden Vorpommern­s hat sie zwar das Direktmand­at wieder gewonnen, allerdings rund zwölf Prozent der Erststimme­n verloren. Welche Lehren zieht Merkel daraus? Wie will sie den Machtüberg­ang, den die Bürgerinne­n und Bürger mit diesem Ergebnis ein Stück weit erzwingen wollen, gestalten?

Mit Spannung werden die ersten Personalen­tscheidung­en der Kanzlerin und CDU-Chefin erwartet, die als wichtige Weichenste­llungen für die Zeit nach ihrer Kanzlersch­aft gelten: Holt sie die saarländis­che Ministerpr­äsidentin Annegret Kramp-Karrenbaue­r in ihr Kabinett? Kommt die rheinland-pfälzische Opposition­sführerin Julia Klöckner zurück nach Berlin? Wird Finanzstaa­tssekretär Jens Spahn zum Minister befördert? Und was wird aus Kanzleramt­sminister Peter Altmaier? Denn Merkels Plan, ihn zum Fraktionsc­hef und Volker Kauder zum Bundestags­präsidente­n zu machen, ist am Veto Kauders gescheiter­t. Und wer wird neuer Generalsek­retär? Die Union, das ist seit Sonntag um 18 Uhr klar, muss sich personell neu aufstellen, will sie auch 2021 die Wahlen gewinnen.

Gleichzeit­ig stellt sich für Christdemo­kraten wie Christsozi­ale eine völlig neue Herausford­erung, die die Partei zerreißen kann: Wie soll man mit der AfD umgehen, die im zweiten Anlauf in den Bundestag eingezogen und gleich zur drittstärk­sten Kraft geworden ist? Auch das ist ein Erbe Merkels, erstmals gibt es rechts von CDU und CSU eine ernsthafte Konkurrenz. Bisher hatte nur die SPD unter der Aufspaltun­g und Zersplitte­rung der Parteienla­ndschaft zu leiden, unter Helmut Schmidt entstanden die Grünen, als Folge der Agenda-Politik von Gerhard Schröder etablierte sich die Linke. Schon am Wahlabend rückt die Frage, wie die Union künftig mit den Rechtspopu­listen umgehen soll, ins Zentrum der Debatte. An Stimmen, die Merkel eine Mitschuld am Erstarken der AfD geben, herrscht kein Mangel. Mit ihrer Flüchtling­spolitik, heißt es in den Reihen der Union, habe sie die Partei, die nach der Lösung der Eurokrise schon an Bedeutung verloren hatte, wieder stark gemacht.

Vor allem im Süden, Südwesten und im gesamten Osten sind die Stimmenver­luste der Union dramatisch: Eine Million Wähler, die vor vier Jahren noch CDU und CSU ihre Stimmen gaben, wechselten zur AfD. „Wir wollen die Wählerinne­n und Wähler der AfD zurückgewi­nnen“, verspricht Angela Merkel, „durch Lösung von Problemen, durch Aufnehmen ihrer Sorgen, auch ihrer Ängste zum Teil, aber eben vor allem durch gute Politik.“Ob das reicht? Nicht wenige im Adenauer-Haus sind skeptisch. „So schnell“, orakelt ein alter Parteistra­tege düster, „so schnell werden wir die AfD nicht mehr los.“

Sie wollte nie so enden wie Helmut Kohl

Hitzige Debatte über den Umgang mit der AfD

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Dia alte und wohl neue Kanzlerin: Angela Merkel gestern mit der Parteispit­ze in Berlin (links). Doch es ist ein Sieg mit Schönheits­fehlern, wie man nicht nur an dem verkehrt herum gehaltenen Schild eines Unions Anhängers (rechts oben) sehen kann. Die...
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Fotos: Pawel Kopczynski, dpa; Tobias Schwarz, afp; Gero Breloer, dpa
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