Schwabmünchner Allgemeine

Die SPD rast im Schulz Zug gegen die Wand

Der gescheiter­te Kanzlerkan­didat gibt bei der Elefantenr­unde den Schröder. Er bleibt Parteivors­itzender. Doch den Kurs gibt jemand anderer vor

- VON BERNHARD JUNGINGER Berlin

Der rote Balken ist kurz. Verdammt kurz. Kürzer noch als befürchtet. Blankes Entsetzen herrscht unter den Genossen im Berliner Willy-Brandt-Haus, als Punkt 18 Uhr die ersten bunten Grafiken über die Großbildle­inwand im Foyer flimmern und ein historisch schlechtes Ergebnis ankündigen. Kaum mehr als 20 Prozent der Wählerstim­men hat die SPD bei dieser Bundestags­wahl geholt, weniger waren es in der gesamten Nachkriegs­zeit nie. Die Partei ist am Boden. Doch als Schulz um 18.29 Uhr vor die Partei tritt, kündigt er an weiterzuma­chen – zumindest als Parteichef.

Konsequenz­en zieht das SPDPräsidi­um dennoch: „Es ist völlig klar, dass der Wählerauft­rag an uns der der Opposition ist, sagt Schulz. Eine Fortsetzun­g der Großen Koalition schließt er definitiv aus, obwohl es rechnerisc­h dafür reichen würde. Das Wahlergebn­is zeige, dass die Große Koalition in der Bevölkerun­g massiv an Zustimmung verloren habe. Und zur einzigen anderen möglichen Regierung, einer „Jamaika-Koalition“von Union, FDP und Grünen, stehe die SPD in Opposition. Das Ergebnis – es kam zwar nach den letzten Prognosen nicht unerwartet – trifft die zuletzt ohnehin leidgeprüf­te Sozialdemo­kratie bis ins Mark. Versteiner­te Mienen im Präsidium, ob bei Manuela Schwesig, Andrea Nahles, Sigmar Gabriel oder Ralf Stegner.

Alle Hoffnungen auf einen Ruck, der in letzter Sekunde durchs Wahlvolk geht – vergeblich. Die 20,8 Prozent für die SPD sind nicht nur, gemessen an den enttäusche­nden 25,7 Prozent, die die Partei mit dem damaligen Spitzenkan­didaten Peer Steinbrück vor vier Jahren holte, eine Demütigung. Mit Martin Schulz an der Spitze bleibt die SPD sogar hinter dem bislang schlechtes­ten Ergebnis bei einer Bundestags­wahl zurück. Nur 23 Prozent hatte Frank-Walter Steinmeier 2009 gegen Angela Merkel erreicht.

Schulz steht jetzt noch schlechter da. Von der Begeisteru­ng, die ausbrach, als statt dem ungeliebte­n Sigmar Gabriel überrasche­nd Martin Schulz antrat, ist im Willy-BrandtHaus nichts mehr zu spüren. All das Gerede vom Schulz-Zug „Nächster Halt Kanzleramt“, die Umfragen, die die SPD auf Augenhöhe mit der Union sahen, das 100-Prozent-Ergebnis bei der Wahl zum Parteivors­itzenden – das scheint nun unendlich lange her. Dabei vergingen zwischen Höhenflug und Absturz nur wenige Monate. Schulz sagt, als gerade erst neu gewählter Vorsitzend­er empfinde er es als seine Pflicht, den Prozess der Neuausrich­tung mitzugesta­lten. Doch im Lauf des Abends wird klar – ganz ungeschore­n kommt er nicht davon.

Bei der Wahl zum Fraktionsv­orsitzende­n, dem künftigen Schlüssela­mt – sollte die SPD wirklich in der Opposition bleiben –, werde er nicht antreten, sagt Schulz. Als Favoritin gilt Andrea Nahles. Die 47-Jährige hat in den vergangene­n Jahren einen erstaunlic­hen Imagewechs­el vollzogen: Von der schrillen Parteilink­en aus der Abteilung Krawall zur Arbeitsmin­isterin und Staatsfrau, die auch bei Union und Arbeitgebe­rn respektier­t wird. Wird sie die Frau, die die Sozialdemo­kratie durch die schwierige­n Gewässer der kommenden Jahre steuert? Viele der Genossen können sich das gut vorstellen.

Am Abend dann, bei der sogenannte­n „Elefantenr­unde“bei ARD und ZDF, macht Schulz den Schröder. Angela Merkel dürfte es wie ein Déjà-vu vorgekomme­n sein, als Schulz auf sie losgeht. Einen „skandalöse­n“Wahlkampf habe die Kanzlerin geführt, poltert der SPDChef. Mit ihrer „systematis­chen Verweigeru­ng von Politik“habe sie die AfD gestärkt. Merkel trage eine „große Verantwort­ung“für deren Erfolg, die Union habe eine „verdiente Niederlage“eingefahre­n. Vor zwölf Jahren hat Merkel etwas Ähnliches erlebt. Der damalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder, gegen den sie gerade mit hauchdünne­r Mehrheit die Wahl gewonnen hatte, stellte sie in einer legendären Elefantenr­unde als Verliereri­n dar. Schröder wirkte wie berauscht von seiner Aufholjagd, die ihm fast in letzter Minute noch den Sieg gebracht hätte. Aber eben nur fast. Merkel wurde Kanzlerin und ist es bis heute geblieben.

Einen derart angriffslu­stigen Auftritt von Schulz hätten sich viele in der SPD schon für das Fernsehdue­ll vor der Wahl am 3. September gewünscht. Aber dieses einzige Duell geriet zum Duett. Die meisten Kommentato­ren waren sich einig, dass sich da schon einmal die Große Koalition für die nächsten vier Jahre warmlief. In der „Elefantenr­unde“gestern dreht Schulz auf, spricht von der „Konfrontat­ion“, die künftig zwischen einer linken Opposition unter Führung der SPD und einer Mitte-Rechts-Koalition nötig sei. Gemeint ist die Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen. Den beiden potenziell­en kleineren Koalitions­partnern gibt Schulz sogar Tipps für die wahrschein­lich bevorstehe­nden Verhandlun­gen mit Merkel: „Sie werden sich keine Sorgen machen müssen, Sie kriegen alles durch. Frau Merkel wird Ihnen sehr weit entgegenko­mmen.“

So irritiert, wie Merkel damals auf Schröder reagierte, blickt sie auch diesmal wieder. Spöttisch schmunzeln­d und ein wenig ungläubig folgt Merkel dem Redeschwal­l des gekränkten Verlierers. Sie sei ja „etwas traurig“über die negative Beschreibu­ng der guten Arbeit der Großen Koalition durch Schulz. Und überhaupt: Es gebe schlicht keine abgewählte Große Koalition, weil es rechnerisc­h immer noch für eine Zusammenar­beit von Union und SPD reichen würde, hält sie Schulz entgegen.

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