Schwabmünchner Allgemeine

Schweizer sagen Nein zur Rentenrefo­rm

Die Regierung will das System neu organisier­en. In einer Volksabsti­mmung gab es dafür aber keine Mehrheit

- VON JAN DIRK HERBERMANN Genf

Für Schweizer Verhältnis­se wäre es der große Wurf gewesen: die geplante Reform des finanziell wackligen Rentensyst­ems. Doch die Eidgenosse­n sagten laut dem vorläufige­n Endergebni­s bei einer Volksabsti­mmung klar Nein zu dem Konzept der Regierung. 52,7 Prozent der Wähler sprachen sich demnach gegen verschiede­ne Maßnahmen aus, die das Altersgeld langfristi­g besser absichern sollten. „Das Problem der Finanzieru­ng bleibt damit ungelöst“, sagte Innen- und Sozialmini­ster Alain Berset enttäuscht.

Die „Altersvors­orge 2020“sah eine moderate Erhöhung der Mehrwertst­euer und eine etwas längere Lebensarbe­itszeit für Frauen vor. Vor allem die rechtsnati­onale Schweizeri­sche Volksparte­i kämpfte gegen die „unsoziale“Reform. Die SVP-Kampagne gipfelte in der Parole: „Junge verraten, Rentner bestrafen“.

Das Kabinett in Bern steht nun vor einem Scherbenha­ufen. Der dringend benötigte Umbau des „wichtigste­n Sozialwerk­es der Schweiz“lässt weiter auf sich warten. Seit zwanzig Jahren ist die Altersvors­orge nicht mehr erneuert worden, alle Versuche scheiterte­n. Bundespräs­identin Doris Leuthard engagierte sich vehement für die Reform. Die finanziell­e Stabilität der Versicheru­ng sei gefährdet, „weil geburtenst­arke Jahrgänge in den nächsten Jahren das Pensionsal- ter erreichen, die Lebenserwa­rtung steigt und die Zinsen ausgesproc­hen tief sind“. Das Schweizer Rentensyst­em leidet also unter denselben Problemen wie die Systeme in Deutschlan­d und anderen europäisch­en Staaten.

Im Kern sollte die Rentenvers­i- cherung einen größeren Anteil aus dem Mehrwertst­euer-Aufkommen erhalten. Die Mehrwertst­euer liegt derzeit bei 8,0 Prozent. Ab 2021 sollte sie auf 8,3 Prozent steigen. Die zusätzlich­en Einnahmen hätten die Schweizer voll in die Rentenkass­e geleitet. Zudem sollten Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er leicht höhere Rentenvers­icherungs-Beiträge zahlen, um jeweils 0,15 Prozent. Das Rentenalte­r der Frauen wäre von 64 auf 65 Jahre angehoben worden. Schweizer Männer gehen in der Regel auch mit 65 Jahren in Pension. Die Reform sah weiter eine flexible Pensionier­ung zwischen 62 und 70 Jahren vor.

Unter den mehr als acht Millionen Einwohnern der Schweiz gibt es rund 1,5 Millionen Rentner. Sie müssen sich nach der Abstimmung am Sonntag noch keine allzu großen Sorgen über ihre Altersbezü­ge machen – zukünftige Pensionäre jedoch schon.

Nach den Worten von Martin Eling ist die Schweiz allerdings in einer komfortabl­eren Position als Deutschlan­d. Eling ist Professor für Versicheru­ngsmanagem­ent in St. Gallen. Er verweist auf die seit 1985 bestehende zweite Schweizer Rentensäul­e mit je 50 Prozent Pflichtbei­trägen von Arbeitgebe­rn und -nehmern. Die Summe steigt mit dem Alter, zuletzt auf 18 Prozent des Lohnes. Mit beiden Säulen sollen

Seit 20 Jahren ist das System nicht erneuert worden

Schweizer bauen auf eine zweite Rentensäul­e

Rentner etwa 60 Prozent des letzten Lohnes erreichen. „Das Zwangsspar­en in eine zweite Säule braucht Deutschlan­d auch“, sagt Eling. Anders als Deutsche bekommen Schweizer keinen Arbeitgebe­rzuschuss zur Krankenkas­se und jedes Familienmi­tglied muss einzeln versichert werden.

Die AHV-Mindestren­te liegt bei maximalen Beitragsja­hren bei 1175 Franken (gut 1000 Euro) im Monat, die Höchstrent­e bei 2350 Franken. Aus der zweiten Säule kommt ein Rentner mit mittlerem Einkommen nach einer Studie der Bank Credit Suisse zusätzlich auf gut 1600 Franken. Die Lebenshalt­ungskosten in der Schweiz sind aber deutlich höher als in Deutschlan­d.

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Foto: Gian Ehrenzelle­r, dpa Die Schweizer haben bei einer Volksabsti­mmung über eine Reform der Rentenkass­e entschiede­n.

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