Schweizer sagen Nein zur Rentenreform
Die Regierung will das System neu organisieren. In einer Volksabstimmung gab es dafür aber keine Mehrheit
Für Schweizer Verhältnisse wäre es der große Wurf gewesen: die geplante Reform des finanziell wackligen Rentensystems. Doch die Eidgenossen sagten laut dem vorläufigen Endergebnis bei einer Volksabstimmung klar Nein zu dem Konzept der Regierung. 52,7 Prozent der Wähler sprachen sich demnach gegen verschiedene Maßnahmen aus, die das Altersgeld langfristig besser absichern sollten. „Das Problem der Finanzierung bleibt damit ungelöst“, sagte Innen- und Sozialminister Alain Berset enttäuscht.
Die „Altersvorsorge 2020“sah eine moderate Erhöhung der Mehrwertsteuer und eine etwas längere Lebensarbeitszeit für Frauen vor. Vor allem die rechtsnationale Schweizerische Volkspartei kämpfte gegen die „unsoziale“Reform. Die SVP-Kampagne gipfelte in der Parole: „Junge verraten, Rentner bestrafen“.
Das Kabinett in Bern steht nun vor einem Scherbenhaufen. Der dringend benötigte Umbau des „wichtigsten Sozialwerkes der Schweiz“lässt weiter auf sich warten. Seit zwanzig Jahren ist die Altersvorsorge nicht mehr erneuert worden, alle Versuche scheiterten. Bundespräsidentin Doris Leuthard engagierte sich vehement für die Reform. Die finanzielle Stabilität der Versicherung sei gefährdet, „weil geburtenstarke Jahrgänge in den nächsten Jahren das Pensionsal- ter erreichen, die Lebenserwartung steigt und die Zinsen ausgesprochen tief sind“. Das Schweizer Rentensystem leidet also unter denselben Problemen wie die Systeme in Deutschland und anderen europäischen Staaten.
Im Kern sollte die Rentenversi- cherung einen größeren Anteil aus dem Mehrwertsteuer-Aufkommen erhalten. Die Mehrwertsteuer liegt derzeit bei 8,0 Prozent. Ab 2021 sollte sie auf 8,3 Prozent steigen. Die zusätzlichen Einnahmen hätten die Schweizer voll in die Rentenkasse geleitet. Zudem sollten Arbeitgeber und Arbeitnehmer leicht höhere Rentenversicherungs-Beiträge zahlen, um jeweils 0,15 Prozent. Das Rentenalter der Frauen wäre von 64 auf 65 Jahre angehoben worden. Schweizer Männer gehen in der Regel auch mit 65 Jahren in Pension. Die Reform sah weiter eine flexible Pensionierung zwischen 62 und 70 Jahren vor.
Unter den mehr als acht Millionen Einwohnern der Schweiz gibt es rund 1,5 Millionen Rentner. Sie müssen sich nach der Abstimmung am Sonntag noch keine allzu großen Sorgen über ihre Altersbezüge machen – zukünftige Pensionäre jedoch schon.
Nach den Worten von Martin Eling ist die Schweiz allerdings in einer komfortableren Position als Deutschland. Eling ist Professor für Versicherungsmanagement in St. Gallen. Er verweist auf die seit 1985 bestehende zweite Schweizer Rentensäule mit je 50 Prozent Pflichtbeiträgen von Arbeitgebern und -nehmern. Die Summe steigt mit dem Alter, zuletzt auf 18 Prozent des Lohnes. Mit beiden Säulen sollen
Seit 20 Jahren ist das System nicht erneuert worden
Schweizer bauen auf eine zweite Rentensäule
Rentner etwa 60 Prozent des letzten Lohnes erreichen. „Das Zwangssparen in eine zweite Säule braucht Deutschland auch“, sagt Eling. Anders als Deutsche bekommen Schweizer keinen Arbeitgeberzuschuss zur Krankenkasse und jedes Familienmitglied muss einzeln versichert werden.
Die AHV-Mindestrente liegt bei maximalen Beitragsjahren bei 1175 Franken (gut 1000 Euro) im Monat, die Höchstrente bei 2350 Franken. Aus der zweiten Säule kommt ein Rentner mit mittlerem Einkommen nach einer Studie der Bank Credit Suisse zusätzlich auf gut 1600 Franken. Die Lebenshaltungskosten in der Schweiz sind aber deutlich höher als in Deutschland.