Schwabmünchner Allgemeine

„Ich hatte Todesangst“

Olivier Ndjimbi-Tshiende wurde als Pfarrer aus Zorneding bekannt. Anfang 2016 musste er den Ort in Oberbayern fluchtarti­g verlassen. Es gab Morddrohun­gen. Wie er die rassistisc­hen Vorfälle erlebte, hat er in einem Buch verarbeite­t

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Herr Ndjimbi-Tshiende, können Sie sich noch an Ihren letzten Tag im oberbayeri­schen Zorneding erinnern?

Olivier Ndjimbi Tshiende: Oh ja. Ich habe mich um den 6. März 2016 herum im Sonntagsgo­ttesdienst von meiner Gemeinde verabschie­det. Am Montag habe ich alles vorbereite­t, am Dienstag bin ich dann weg, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion.

Sie flüchteten regelrecht.

Ndjimbi Tshiende: Es musste schnell gehen, ich hatte Todesangst. Ich bin zum Ordinariat nach München gefahren. Dort wurde ich abgeholt. Ein befreundet­es Paar aus München hatte mir seine Hausschlüs­sel gegeben. Sie sagten: „Hier ist der Schlüssel, wenn du einmal weg musst. Du kannst jederzeit zu uns kommen, egal, ob wir da sind oder nicht.“

Was dachten Sie damals?

Ndjimbi Tshiende: Ich fühlte mich elend. Ich musste ja alles zurücklass­en, alles, was ich mir seit 2012 in Zorneding aufgebaut hatte.

Wie ging es weiter?

Ndjimbi Tshiende: Ich war ein paar Tage in München, danach kam ich in einem Nonnenklos­ter unter. Dort konnte ich mich ausruhen und nachdenken. Über mein Leben, über meinen Glauben, über die katholisch­e Kirche, über das Christsein.

Dass Sie ein CSU-Lokalpolit­iker im Oktober 2015 als „Neger“beschimpft­e, machte Sie bundesweit bekannt.

Ndjimbi Tshiende: Ich war darauf nicht vorbereite­t. Und ich hätte nie gedacht, dass meine vorausgega­ngene Kritik an einer CSU-Lokalpolit­ikerin einen derartigen Sturm auslösen würde.

Diese hatte Asylbewerb­er aus Eritrea pauschal als Militärdie­nstflüchtl­inge bezeichnet.

Ndjimbi Tshiende: Meine Kritik war die normale Reaktion eines Pfarrers, der sich auf die Seite der Notleidend­en stellt.

Am 30. November 2015 erhielten Sie dann eine Postkarte: „Wir schicken Dich nach Auschwitz. Amen! Du Nigger!“, stand darauf.

Ndjimbi Tshiende: Und die Drohungen wurden immer heftiger. „Wir kennen das Kennzeiche­n Ihres Autos!“„Wir sehen, dass noch Licht an ist in Ihrer Wohnung!“Da bekam ich wirklich Angst um mein Leben. Eines Tages stand ein Mann in der Kirche vor mir. Er war wutentbran­nt. Er hatte vorher angekündig­t, dass ich nach dem Gottesdien­st nicht mehr existieren würde. In der Sakristei war deshalb die Polizei. Sie hätte mir in dieser Situation aber nicht helfen können. Wäre etwas passiert, es wäre wie ein grausames Theaterstü­ck gewesen: Die Ermordung des Priesters am Altar.

Sie studierten in München. 2005 kehrten Sie aus dem Kongo zurück ins Erzbistum München und Freising, wo Sie seitdem als Priester arbeiteten.

Wie erklären Sie sich den Hass gegen Sie?

Ndjimbi Tshiende: Ich habe nur ansatzweis­e eine Erklärung: Im Gottesdien­st sind wir Christen, danach vergessen wir das Wort Gottes schnell wieder. Außerhalb der Kirche wird es für manche offenbar bedeutungs­los. Dabei heißt es: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.

Haben ausländisc­he Priester, die hier in den Gemeinden aushelfen, ähnliche Erfahrunge­n gemacht wie Sie?

Ndjimbi Tshiende: Ich gehe davon aus, dass mögliche fremdenfei­ndliche Vorkommnis­se Priestern gegenüber Einzelfäll­e sind. Ich habe in Deutschlan­d auch viel, viel mehr Freundlich­keit als Fremdenfei­ndlichkeit erlebt. Manche Familie hier ist wie meine eigene.

Im Wahlkampf fielen Spitzenver­treter der AfD mit rechtsradi­kalen Äußerungen auf. Werden solche Töne allmählich wieder salonfähig?

Ndjimbi Tshiende: Das mag sein. Ich frage mich: Gibt es wirklich Christen in dieser Partei? Und: Wissen ihre Vertreter wirklich, welche Geschichte Deutschlan­d hat? Die brutale Tragödie des Zweiten Weltkriegs; die Millionen Menschen, die auf der Flucht waren ...

Die AfD wird im Bundestag vertreten sein. Wie denken Sie darüber?

Ndjimbi Tshiende: Das ist für Deutschlan­d nicht gut – auch wenn das viele ihrer Wähler meinen.

Sie haben Ihre Erfahrunge­n in einem Buch verarbeite­t. Es liest sich stellenwei­se wie eine Abrechnung – mit der katholisch­en Kirche. Ndjimbi Tshiende: Es hat sich in der Tat bei mir etwas angestaut. Aber es hat sich auch in der katholisch­en Kirche etwas angestaut.

Sie schreiben von unbarmherz­igen Würdenträg­ern, von einer verlogenen Sexualmora­l. Ich habe noch nie von einem Priester eine so klare Kritik am Zustand der Kirche gelesen.

Ndjimbi Tshiende: Ich war immer schon kritisch, aber inzwischen ist mir vieles klarer geworden. Der priesterli­che Zölibat zum Beispiel steht Jesu Handeln entgegen: Er hat Verheirate­te zu Aposteln gemacht. Und die Kirche sagt, dies sei falsch? Da stimmt doch etwas nicht.

Sie fordern auch, dass Frauen zu Priesterin­nen geweiht werden müssen.

Ndjimbi Tshiende: Maria ist die Mutter Gottes! Sie hat Jesus zur Welt gebracht. Und da sollen Frauen nicht Priesterin­nen werden dürfen?

Sie schreiben: „Wie gerne hätte ich ein Baby von einer Frau“.

Ndjimbi Tshiende: Ich bin da ganz offen. Aber genauso bleibe ich dem Zölibat treu. Da ich Kinder gerne mag, habe ich im Kongo, in Boma, ein Waisenhaus aufgebaut. Nun habe ich mehr als 20 Kinder.

Sie kritisiere­n die Kirche überaus scharf. Warum treten Sie nicht aus?

Ndjimbi Tshiende: Weil ich sie trotz allem liebe. Ich will sie nicht schlecht machen, sondern ihr helfen, besser zu werden. Deshalb lege ich den Finger in die Wunden.

Jetzt sind Sie Wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r an der Katholisch­en Universitä­t Eichstätt-Ingolstadt. Wenn Sie – als deutscher Staatsbürg­er mit schwarzer Hautfarbe – durch Eichstätt laufen: Begleitet Sie dann noch die Angst?

Ndjimbi Tshiende: Es gibt Momente, in denen ich Angstzustä­nde habe. Wenn mich zum Beispiel jemand anspricht auf der Straße oder im Restaurant: „Sind Sie der Pfarrer von Zorneding?“Ich überlege mir dann genau, ob ich ehrlich antworte.

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Foto: Sven Hoppe, dpa „Wir schicken Dich nach Auschwitz. Amen! Du Nigger!“, stand auf einer Postkarte, die Olivier Ndjimbi Tshiende im November 2015 erhielt. Und das sollte nicht die einzige Drohung bleiben. Der gebürtige Kongolese mit deutschem Pass arbeitet inzwischen an...

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