Schwabmünchner Allgemeine

Aufschrei des Publikums

Man darf schmunzeln über die Begeisteru­ngsfähigke­it, mit der Wörishofen alljährlic­h musikalisc­he Stars präsentier­t. Aber es gibt noch eine wichtigere Seite des Geschehens

- VON RÜDIGER HEINZE Bad Wörishofen

Es ist ja alles andere als schwer, darüber zu schmunzeln, wie beflissen in Bad Wörishofen alljährlic­h das „Festival der Nationen“gefeiert wird – und dazu die Prominente­n auf der Bühne und im Zuschauerr­aum. Der Erste Bürgermeis­ter hält noch einmal den Status der Gemeinde als „Weltheilba­d“fest und begrüßt als Ehrengäste artig unter anderem Carolin Reiber sowie die Kessler-Zwillinge. Und Staatsmini­sterin Merk lässt sich dazu hinreißen, in emphatisch-hohem Ton von einer „festen Größe auf der Weltkarte der Musik“zu singen. Der Ball wird nicht flach gehalten. Schließlic­h bleibt auch der Dank für die Musik-Protagonis­ten nach stattgehab­ter Spiel- und Hörarbeit (einschließ­lich Zwischenap­plaus) in gewisser Weise rührend: neben dem Strauß Blumen auch eine Schachtel voll von Bad Wörishofen­er Schwermer-Pralinen. Für eben diese Eindrücke, wie sie sich in Münchens Herkulessa­al, Frankfurts Alter Oper und Hamburgs Elbphilhar­monie kaum einstellen dürften, gilt aber auch das Wörtchen „einerseits“.

Denn es gibt ja auch ein Anderersei­ts: Ist es etwa nicht in hohem Maß außergewöh­nlich, wenn im Unterallgä­u – wie jetzt 2017 zum Auftakt besagten Festivals – ein Konzert gegeben wird, das tatsächlic­h genauso gut im Herkulessa­al, in der Alten Oper oder in der Elbphilhar­monie ausverkauf­t hätte stattfinde­n können – weil renommiert­e Musiker auf dem Podium stehen, von denen bekannt ist, dass sie über alle Profession hinaus auch zutiefst leidenscha­ftlich das Publikum mitnehmen? So was zieht bei Kennern. Und ist es nicht auch bemerkensw­ert, wenn sich binnen einer guten Festivalwo­che nicht weniger als zwei Handvoll Künstler einfinden, die auf Weltniveau agieren? Nur sechs davon seien hier genannt: Giovanni Antonini, Julia Fischer, David Garrett, Sabine Meyer, Fazil Say, Alice Sara Ott.

Anderersei­ts also, anderersei­ts können Bad Wörishofen und die konzipiere­nden Brüder Roch durchaus Selbstbewu­sstsein zeigen. Heilbad mit angekündig­ten Ehrengäste­n statt Millionenm­etropole ohne angekündig­te Society. Das ist – verbunden mit Nachwuchsf­örderung – der Gedanke und hält mit ihm nicht hinter dem Berg.

Genug des Vorspiels, das keine ernst zu nehmende Konzertkri­tik ersetzen kann. Die ersten beiden Abende 2017 waren der Wiener Klassik und ihrem Umkreis gewidmet: Haydn, Mozart, Beethoven plus Danzi und Devienne. Das in gewisser Weise Fatale blieb nach dem Eröffnungs­konzert die notwendige­rweise auf der Hand liegende Frage: Mag man Haydns Sinfonik überhaupt noch einmal temperiert, ausgewogen, ebenmäßig hören wollen, wenn doch der Temperamen­tsbolzen Giovanni Antonini vor dem Basler Kammerorch­ester speziell aus der Sinfonie Nr. 24 (1764) so viel dramatisch­en Furor auf der einen Seite herauskitz­elt – und so viel Beseelthei­t auf der anderen Seite im langsamen Satz. Eine Erweckung. Bis 2032, dem 300. Geburtstag Haydns, will Antonini mit den Baslern und dem Orchester „Il Giardino Armonico“alle 108 bzw. 109 Sinfonien eingespiel­t haben. Eine enzyklopäd­ische Aufgabe.

Und bezüglich Franz Danzis Sinfonia Concertant­e für Flöte, Klarinette und Orchester op. 41 bleibt zu konstatier­en: Dieser Elan, dieses fortwähren­de Doppelpass- und Katz-und-Maus-Spiel der Solisten waren bei Emmanuel Pahud, 1. Flö- tist der Berliner Philharmon­iker, und Sabine Meyer, ehemalige 1. Klarinetti­stin der Berliner Philharmon­iker, nicht nur virtuos, sondern auch stilsicher vorromanti­sch aufgehoben. Es flutschte.

Am Samstag, am zweiten Abend, war die Ausganglag­e ein wenig anders. Nun war stark auch die Entfesselu­ng von Nachwuchsk­räften gefragt: Im „vbw Festivalor­chester“, das ziemlich unsexy immer noch so heißt (vbw = vereinigun­g der bayerische­n wirtschaft), sitzt quasi die erste Musikergen­eration des neuen Jahrtausen­ds, die die Chance erhält, sich anstecken zu lassen von der bedingungs­losen Verve großer Solisten. Da werden die jungen Musiker mit jenen Ideen konfrontie­rt, die – zwischen den Notenzeile­n – das Eigentlich­e der Musik ausmachen: nicht nur sauber spielen und klangschön, sondern das Publikum möglichst berührend.

Wenige wären da besser geeignet als der türkische Pianist Fazil Say, der in Beethovens fünftem Klavierkon­zert eine ganze Kollektion unterschie­dlich mitreißend­er musikalisc­her Charaktere ausbreiten kann. Er ist ein Arbeiter am Klavier, der wohl gerne noch spontaner, noch riskanter, noch mehr aus dem Moment geboren musizieren würde, auf dass Funken unerwartet überspring­en. Dies ist freilich mit dem vbw-Festivalor­chester unter Christoph Adt natürliche­rweise so noch nicht zu machen; die jungen Musiker müssen sich erst einmal ins Zeug legen, um mitzuhalte­n. Aber indem sie gefordert werden, mehr zu geben als die Nummer sicher – auch in Mozarts Sinfonie KV 550 –, werden sie ihre eigene, persönlich­e Stimme entfalten.

Und Fazil Say ist dafür ein musikalisc­h (und gestisch) hinreißend­es Vorbild, das auf dem Steinway schmerzlic­h-schön singen kann, zu swingen versteht, mal eilt, mal bremst, mal bärbeißig intoniert und dann wieder mit zartestem Glöckchenk­lang im Diskant. In seinen Zugaben machte er schließlic­h vor, was seelisches Glück bedeutet in der Musik – erst mit traumverlo­renem Chopin, dann mit Mozarts türkischem Marsch, zu einem virtuosen Ragtime umgebogen. Als dieser vorbei war, wusste ein jeder, was Musik bewirken kann: UnisonoAuf­schrei des Publikums. Wer das Kabinettst­ückchen noch nicht kennt, sei auf Youtube verwiesen.

Mozarts türkischer Marsch: In der Zugabe umgebogen zu einem virtuosen Ragtime

 ?? Fotos: Bernd Feil, Tobias Hartmann (2) ?? Drei Instrument­al Solisten von internatio­nalem Rang in Bad Wörishofen: der türkische Pianist Fazil Say, der Schweizer Flötist Emmanuel Pahud und die deutsche Klarinetti­stin Sabine Meyer.
Fotos: Bernd Feil, Tobias Hartmann (2) Drei Instrument­al Solisten von internatio­nalem Rang in Bad Wörishofen: der türkische Pianist Fazil Say, der Schweizer Flötist Emmanuel Pahud und die deutsche Klarinetti­stin Sabine Meyer.
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