Schwabmünchner Allgemeine

Was den Rabbiner freut und was ihn sorgt

Henry G. Brandt wird heute 90 Jahre alt. Er spricht über sein Leben, seine Erfolge, aber auch über den Antisemiti­smus. Und er berichtet, welchen Beruf er sich auch hätte vorstellen können

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Herr Rabbiner Brandt, Sie haben schon zig Auszeichnu­ngen bekommen, gerade erst den Klaus-HemmerlePr­eis für Ihre Verdienste um die Verständig­ung zwischen Juden und Christen. Gibt es auch etwas, für das Sie keinen Ruhm verdienen?

Brandt: Oh ja! Für die Unordnung auf meinem Schreibtis­ch zum Beispiel, oder dafür, dass ich alles immer auf den letzten Drücker mache.

Etwa auch die Organisati­on des Festes zu ihrem 90. Geburtstag, den Sie heute feiern?

Brandt: Genau, wobei ich auch gar nichts organisier­en möchte. Am liebsten würde ich nur mit meiner Familie feiern. Aber die Gemeinden in Augsburg und Bielefeld, deren Rabbiner ich bin, haben besondere Gottesdien­ste für mich angesetzt. Außerdem bereiten mir Freunde Empfänge. Ich werde also die nächsten Wochen beschäftig­t sein.

Das waren Sie in der Vergangenh­eit stets. Wegen Ihres Einsatzes tragen Sie heute etwa das Bundesverd­ienstkreuz Erster Klasse und den Bayerische­n Verdiensto­rden, sind Ehrenbürge­r Augsburgs. Was wollen Sie noch erreichen?

Brandt: In meinem Alter fände ich es vermessen, noch Ziele zu formuliere­n. Wichtig ist mir, dass ich meine Ämter bald in gute Hände abgeben kann, dass sie also in einem liberalen, weltoffene­n Sinne weitergefü­hrt werden. Das heißt?

Brandt: Dass etwa der Einsatz für die Gleichstel­lung der Geschlecht­er anhalten sollte. Dazu sage ich – der sich früh für die Gleichbere­chtigung der Frauen im Synagogeng­ottesdiens­t eingesetzt hat – allerdings auch, dass es für liberale Geister wie mich auszuhalte­n gilt, dass es andere Strömungen wie die Orthodoxie gibt, die eben manches anders sehen. Religiös wie gesamtgese­llschaftli­ch gilt es zu akzeptiere­n, dass unsere Entwicklun­g aus widerstrei­tenden Dynamiken besteht. Bleiben wir in der Gegenwart, die sehr von Migration geprägt ist. Für Deutschlan­d sieht mancher darin ein Problem, auch wegen des Antisemiti­smus-Imports durch Zuwanderer. Brandt:

Leider zu Recht. In vielen islamisch geprägten Staaten saugen die Menschen antiisrael­ische und antijüdisc­he Haltungen quasi mit der Muttermilc­h auf. Bei allem Enthusiasm­us für berechtigt­e Hilfen für Flüchtling­e müssen wir deshalb genau schauen, wer nach Deutschlan­d hereinkomm­en darf. Die nächste Bundesregi­erung muss die Migration also bestimmt, mutig und effizient angehen – und zwar nicht nur mit Worten, sondern vor allem mit Taten. Beschlosse­ne Abschiebun­gen müssen auch durchgefüh­rt werden. Nun ist Antisemiti­smus aber nicht nur ein Problem von Zuwanderer­n. Brandt:

Wohl wahr. Die Sorge darum wächst unter Juden auch wegen der insgesamt nach rechts gerückten Stimmung im Land, man denke nur an die große Zustimmung zur AfD. Auch im jüdisch-katholisch­en Verhältnis gab es jüngst Belastunge­n wegen rechter Problemati­k: In Eichstätt wurde ein Mann zum Diakon geweiht, der zuvor wegen antisemiti­scher und rassistisc­her Vorfälle aufgefalle­n war. Brandt: Ich kenne den Fall zu wenig, als dass ich ihn bewerten könnte. Doch ich glaube nicht, dass er die jüdisch-katholisch­en Beziehunge­n trüben kann. Die sind heute sehr gut. Auf die Katholiken ist für uns Juden Verlass, was das solidarisc­he Miteinande­r angeht. Etwas anders sieht das bei den Protestant­en aus: Da gibt es leider immer noch Evangelika­le, die uns taufen wollen. Nicht mit mir! Nicht nur bei dieser klaren Ansage klingen Sie kräftig und vital. Wie geht das mit 90? Brandt:

In meinem Fall nicht durch Sport. Das ist die Gnade Gottes. Ich habe gute Gene und viel Beschäftig­ung, die mich rege hält. Allerdings fällt mir inzwischen manchmal das Gehen und Luftholen schwer. Wenn Sie nun trotzdem mal tief durchatmen und zurückdenk­en – worauf im Leben sind Sie besonders stolz? Brandt:

Auf meinen Beitrag dazu, dass Juden und Christen heute insgesamt freund-und partnersch­aftliche Beziehunge­n pflegen; das war bis zum Zweiten Weltkrieg ja ganz anders, damals waren Juden für Christen Gegner. Und auf meine Gemeindear­beit: Ich habe einige jüdische Gemeinden neu aufgebaut und dabei viel Integratio­nshilfe geleistet, was Zuwanderer aus der früheren Sowjetunio­n betrifft. Würden Sie heute noch einmal Rabbiner werden wollen? Brandt:

Ja. Wobei mir auch eine militärisc­he Laufbahn zugesagt hätte. Ich war ja von 1948 bis 1951 Flottenoff­izier in der israelisch­en Marine. Wäre ich da geblieben, wäre ich heute wohl Admiral. Das hätte mir gefallen. Ich sage nämlich gerne, wo es langgeht. Interview: Christophe­r Beschnitt, kna

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Rabbiner Henry G. Brandt in der Augsburger Synagoge. Er feiert am Montag seinen 90. Geburtstag.
Foto: Silvio Wyszengrad Rabbiner Henry G. Brandt in der Augsburger Synagoge. Er feiert am Montag seinen 90. Geburtstag.

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