Schwabmünchner Allgemeine

Wie der Siemens-Chef Deutschlan­d stärken will

Die Welt steckt durch die Digitalisi­erung in der vierten industriel­len Revolution. Kaeser will die Verlierer der Entwicklun­g nicht alleine lassen. Das kostet viel Geld

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger–allgemeine.de

Siemens-Chef Joe Kaeser macht sich große Sorgen um die Zukunft Deutschlan­ds. Dabei geht es ihm vorrangig nicht nur um Wirtschaft. Der 60-Jährige ist einer der wenigen deutschen Manager, der in ökonomisch-politische­n Zusammenhä­ngen denken kann. So fragt er: Was tun mit all den Globalisie­rungsverli­erern, wenn die Digitalisi­erung als vierte industriel­le Revolution immer mehr Bereiche des Arbeitsleb­ens erfasst?

Wie sollen Firmen und Staat dann mit Beschäftig­ten umgehen, die mit dem Tempo des disruptive­n Umbruchpro­zesses nicht mithalten können? Also jenen, die irgendwann daran scheitern, in immer kürzeren Abständen neue Fertigkeit­en zu erlernen. Kaeser gibt darauf eine Antwort, die man sich so auch von politische­n Spitzenleu­ten im Wahlkampf gewünscht hätte. Der Siemens-Chef hat nämlich erkannt, dass die Eliten in Deutschlan­d sich mit den Ängsten der Menschen auseinande­rsetzen müssen. Die Erkenntnis ist wichtig, denn viele Bürger fühlen sich abgehängt, verunsiche­rt und vor allem nicht ernst genommen. Ob Digitalisi­erung, Globalisie­rung oder Zuwanderun­g: Was für urbane Eliten eine positive tägliche Lebenswirk­lichkeit ist, löst bei anderen Irritation­en aus. Auch deshalb haben viele rechtspopu­listisch gewählt.

Kaeser fordert deshalb die Politik auf, den wirtschaft­lichen Transforma­tionsproze­ss sorgfältig­er zu erklären. Kanzlerin Angela Merkel versucht das immer wieder. Doch das Thema ist komplizier­t. Es lässt sich schwer erklären, welche politische Konsequenz­en aus der Beschleuni­gung unseres Lebens durch die Welt unbegrenzt­er Kommunikat­ionsmöglic­hkeiten zu ziehen sind. Der Siemens-Chef traut sich. Denjenigen, die trotz bester Bemühungen, Umschulung­en und Förderunge­n nicht mithalten können, will er eine Art Grundverso­rgung für das Alter gewähren. „Damit sie nicht herunterfa­llen“, sagt er im Spiegel. Globalisie­rungsverli­erer, die mit 60 im Job nicht mehr mithalten können, würden vom Staat finanziell aufgefange­n, damit sie nicht zu Wutbürgern werden. Ist das nicht eine allzu naive Idee? Lässt sich mit Staatsknet­e wirklich wieder erstarkend­em Nationalis­mus entgegenwi­rken? Und wer zahlt das Populismus-Trockenleg­ungsprogra­mm? Die deutschen Konzerne etwa?

Soweit geht Kaeser nicht. Siemens ist schließlic­h eine auf Rendite ausgericht­ete Aktiengese­llschaft und kein gesellscha­ftlicher Reparaturb­etrieb. Doch der Manager drückt sich nicht um die Frage der Finanzieru­ng seines Demokratie-Stärkungsk­onzepts. Dabei macht er einen charmanten Vorschlag: Wenn das Steueraufk­om- men nicht reicht, um Digitalisi­erungsopfe­r aufzufange­n, müsse die Frage gestellt werden, welchen gesellscha­ftlichen Wert ein Unternehme­n erbringt. Ein Konzern wie Siemens, der zigtausend­e Arbeitsplä­tze sichert, sei anders zu bewerten als „ wenn ein paar hochintell­igente Hedgefonds-Manager durch geniale Modelle für sich und ihre vermögende­n Investoren Milliarden verdienen“. Kaeser will diese „Heuschreck­en“, wie Ex-SPDChef Franz Münteferin­g die GeldAkroba­ten nannte, wesentlich höher besteuern als andere Unternehme­n, die etwa Züge herstellen.

Das wird allerdings schwer. Denn schon heute entziehen sich die globalen Glücksritt­er wie im Übrigen auch viele US-Internetko­nzerne (Amazon, Apple) trickreich ihrer Steuerpfli­cht. Auch wenn es gelingen sollte, die Gewinner der Globalisie­rung etwas stärker zur Kasse zu beten, reicht das nicht, die Verlierer der Globalisie­rung aufzufange­n. Am Ende müssen auch Konzerne wie Siemens einen höheren finanziell­en Beitrag als bisher leisten, um den Frieden in der Gesellscha­ft aufrecht zu erhalten.

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Foto: Bindl, Getty Siemens Chef Kaeser macht sich Gedan ken über Deutschlan­d.

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