Schwabmünchner Allgemeine

Nur Wiesn Dirndl und Bier Gwand

Warum Trachtensc­hneidermei­sterin Annamirl Raab um die Zukunft ihres Handwerks bangt, obwohl so viele junge Leute auf Lederhose und Dirndl stehen

- Annamirl Raab: Raab: Raab: Raab: Annamirl Raab

Frau Raab, Sie als Trachtensc­hneiderin und aktives Mitglied im Bayerische­n Trachtenve­rband muss es doch freuen, dass immer mehr Menschen in Dirndl und Lederhose das Oktoberfes­t besuchen?

Viele Menschen glauben, sie dürfen gar nicht anders gekleidet auf die Wiesn – vor allem Touristen aus dem Ausland hängen diesem Irrglauben an.

Aber das müsste Sie doch freuen ...

Also mit Tracht haben die Dirndl und Lederhosen, die in der Masse auf dem Oktoberfes­t getragen werden, nichts zu tun. Trachten sehen Sie nur beim Einzug. Dort haben die Frauen und Männer die Originaltr­achten an. Es sind in der Regel handgeschn­eiderte Dirndl mit Schultertu­ch, langärmeli­ger Bluse, passenden Strümpfen, Schuhen, Hüten. Auch die Männer tragen hochwertig­e Lederhosen, oft selbst gestrickte Strümpfe und weiße Hemden, dazu passende Schuhe.

Aber profitiert die Tracht denn gar nicht, wenn Dirndl und Lederhose auch bei jungen Leuten in sind?

Wenig. Was ich beobachte, ist, dass die Tracht insgesamt mehr im Blick ist und gerade bei uns in Oberbayern auch außerhalb der WiesnZeite­n zu bestimmten Festlichke­iten wieder gern getragen wird. Das ist schon positiv. Aber wie gesagt, wir als Trachtensc­hneider sprechen nicht umsonst vom Wiesn-Dirndl oder Bier-Gwand – mit Tracht hat das nichts zu tun.

Woher kommt der Trend zum Dirndl?

Raab: Das ist eine Massenbewe­gung, die seit etwa 15, 20 Jahren zu beobachten ist. Es gibt seit Jahren Geschäfte, die nur von August bis Oktober Dirndl und Lederhosen anbieten. Und auch die Discounter sind ja seit langem in das Geschäft mit billigen Dirndln eingestieg­en. Das sind dann in der Regel Produkte aus Asien – wenn sie etwas besser gefertigt sind, kommen sie aus Osteuropa.

Wie erkenne ich denn gute Qualität?

Raab: Das merken Sie schon, wenn Sie den Stoff anfassen, ob Sie einen schönen, kräftigen Stoff in der Hand haben oder rutschiges Polyester. Auch die Schnitte unterschei­den sich und natürlich die Verarbeitu­ng. Außerdem lassen sich die Billig-Dirndl oft weder waschen noch

verändern.

Es ist natürlich für viele Menschen eine Preisfrage. Was muss ich denn für ein Dirndl aus Ihrer Schneidere­i am Schliersee ausgeben?

Raab: An einem einfachen Dirndl sitze ich im Schnitt etwa zwölf bis 15 Stunden. Es kostet circa 500 bis 600 Euro. Eine gute Lederhose bekomme ich ab etwa 300 Euro. Der Preis hängt von der Art des Leders ab. Gerade bei der Lederhose gilt es aber zu bedenken, dass in den billigen Exemplaren oft viele Schadstoff­e stecken. Das muss man sich immer wieder ins Bewusstsei­n holen: Die meisten Lederhosen werden in armen Ländern unter oft unwürdigen Umständen hergestell­t, nur damit wir billige Produkte bekommen. Die Menschen, die diese billige Massenware herstellen müssen, sind zu bedauern. Und wir bekommen von den Schadstoff­en in der minde- ren Qualität Allergien. Das kann’s doch nicht sein!

Gibt es denn keine Kunden mehr, die auf Qualität achten?

Die gibt es schon. Aber als Trachtensc­hneider müssen Sie einen schwierige­n Spagat bewältigen: Fertigen Sie nur billige Dirndl, kommt keine gute, kaufkräfti­ge Kundschaft. Spezialisi­eren Sie sich auf hochwertig­e Tracht, fehlt Ihnen der Umsatz zum Überleben. Nicht ohne Grund gibt es immer weniger Trachtensc­hneider in Bayern.

Gibt es denn genügend Nachwuchs?

Raab: Bewerberin­nen hätten wir aktuell genug. Aber uns fehlen mittlerwei­le auch die Ausbildung­sbetriebe, da sich viele Betriebe nicht mehr rechnen. Das ist eine sehr besorgnise­rregende Entwicklun­g. Denn damit geht nicht nur Wissen verloren, sondern ganze Berufe, wie eben der des Schneiders, sterben. Schon jetzt gibt es immer weniger Säckler, Schuhmache­r, Hutmacher. Wir steuern darauf zu, eine arme Nation zu werden. Denn mit den Berufen stirbt auch die Tradition.

Wie lässt sich diese Entwicklun­g aufhalten?

Raab: Ich würde erwarten, dass zumindest die Politiker auf gute Qualität in ihrer Kleidung achten. Sie sind ja schließlic­h Vorbilder. Aber das Problem geht natürlich jeden an: Jeder Kunde muss sich klar darüber sein, dass er, wenn er nur billige Kleidung aus dem Ausland kauft, die handwerkli­chen Strukturen hierzuland­e kaputtmach­t. Und Sie fallen auch nicht positiv auf, wenn Sie Massenware tragen. ● Die Trachten schneiderm­eisterin, 64, ist gebür tige Münchnerin. Sie ist verheirate­t, Mutter zweier Töchter und lebt in Schliersee, wo sie ihre Werkstatt hat. Im Bayerische­n Trachtenve­rband hat sie den Vorsitz für den Bereich Trachtenpf­lege und forschung.

 ?? Foto: privat ?? Annamirl Raab, die in Schliersee ihre Trachtensc­hneiderwer­kstatt hat, macht sich Sorgen um ihr Handwerk, weil im  mer mehr Betriebe aufgeben.
Foto: privat Annamirl Raab, die in Schliersee ihre Trachtensc­hneiderwer­kstatt hat, macht sich Sorgen um ihr Handwerk, weil im mer mehr Betriebe aufgeben.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany