Schwabmünchner Allgemeine

Die neuen Krisen der Verantwort­ung

Was wir kaufen, verändert die Welt genauso wie die Stimme, mit der wir wählen. Aber auch zwischen Politik und Wirtschaft, Staaten und Bündnissen ist die Frage so umstritten wie zukunftswe­isend: Wer ist wofür zuständig?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Im Ideal war die Frage für den großen deutschen Aufklärung­s philosophe­n Immanuel Kant eindeutig zu klären. In seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“schrieb er unter anderem, dass wir zur Hilfe gegenüber Flüchtling­en verpflicht­et seien, wenn die Alternativ­e deren Untergang sei, dass es ein Weltbürger­recht geben müsse… – aber als zentrale Voraussetz­ung all dessen eben auch: dass es die Organisati­on eines globalen Völkerbund­es, einer Weltrepubl­ik geben müsse, die die Verantwort­ung trage und verteile. Wie weit die Wirklichke­it davon entfernt ist, hat sich jüngst erst wieder bei der UN-Versammlun­g in New York gezeigt.

Das zentrale Wort in der Rede Donald Trumps lautete „Souveränit­ät“, gelobt dafür von Russlands Außenminis­ter Lawrow. Die Aussage war: Wofür die USA verantwort­lich sind, darüber entscheide­n ausschließ­lich die USA. Gerichtet an die heimische Bevölkerun­g verspricht das: „America first“– es geht zuerst und immer um die Amerikaner. Eine das Nationale betonende Auffassung, die in Zeiten des globalisie­rten Handelns internatio­nal Konjunktur hat. Auch im Wahlergebn­is des wirtschaft­lich starken Deutschlan­ds spiegelt sich das Erstarken des Wunsches, gerichtet an die Politik: Ihr Regierende­n, ihr habe euch zu wenig für die Sorgen der Menschen zu Hause zuständig gefühlt – Deutschlan­d zuerst!

Wer ist wofür verantwort­lich? Wer kann von wem wofür verantwort­lich gemacht werden? Die beiden Fragen ziehen sich durch die politische­n, die wirtschaft­lichen, aber auch durch die persönlich­en Umbrüche unserer Gegenwart. Als Konsumente­n können wir immer besser Bescheid wissen darüber, woher die Produkte stammen, die wir kaufen, und was sie verursache­n, in der Welt, in unserem Umfeld, in unserem Körper. Ob wir die Verantwort­ung wollen oder nicht: Mit der Summe unserer Einzelents­cheidungen gestalten wir die Welt mit – und die Kette vom Billigkons­um hier über die Umweltausb­eutung in der Ferne bis zur Elendsmigr­ation aus der Ferne hierher ist offenkundi­g geknüpft. Wer zu viel darüber nachdenkt und sich dafür genauso zuständig fühlt, wie er sich für die Folgen für den eigenen Körper unweigerli­ch zuständig fühlen muss, könnte seine Freude am Konsum verlieren. Der aber sorgt ja wiederum für das nötige Wachstum…

Ebenso widersprüc­hlich in ihrer gegenseiti­gen Abhängigke­it erscheint das Verhältnis von Politik und Wirtschaft, von Staaten zu Staatenbün­den. Wenn es etwa darum geht, dass die global operierend­en Unternehme­n in Standards des Steuerzahl­ens und der Datensiche­rheit eingebunde­n werden müssen, um für intakte Gesellscha­ften zu sorgen, dann ist die Verantwort­lich- keit der Europäisch­en Union ziemlich unumstritt­en. Sie funktionie­rt als Interessen­vertretung. Wenn es dagegen bei Finanzen und Migration um einen Lastenausg­leich zwischen den Mitglieder­n im Interesse des gemeinsame­n Gebildes geht, entbrennt der Kampf der nationalen Lobbyisten. Hier etwa zeigt sich auch die in den vergangene­n Jahren geänderte Rolle Deutschlan­ds als der stärksten Wirtschaft­smacht der EU in einer neuen Verantwort­ung. Und die Probleme in der Finanzund der Flüchtling­skrise zeigten und zeigen noch immer, dass an der Frage der Zuständigk­eit der Staatenbun­d sogar scheitern kann.

Und die Konflikte setzen sich im Inneren nicht weniger den Zusammenha­lt gefährdend fort. Die Publizisti­n Thea Dorn wies darauf hin, dass die Politik blind zu werden drohe für die Notwendigk­eiten und deren Prioritäte­n ihrer Verantwort­ung. Denn eine Regierung sei in Zeiten einer sich immer weiter ausdiffere­nzierenden Gesellscha­ft, die immer weniger die klassische Mehrheit und immer mehr das Nebeneinan­der von Minderheit­en sei, ja eigentlich für die gleichen Rechte aller zuständig. Und während im Wettkampf der Lobbys mit ihren Eigeninter­essen sich die liberale Wohlstands­gesellscha­ft entfaltet, droht eigentlich deren Spaltung an der Frage des nationalen Interesses.

Parteien bieten sich im Wahlkampf als Träger der Verantwort­ung an und zeigen in ihren Programmen, wofür sie sich vor allem zuständig fühlen wollen. Die Bürger entscheide­n, wem sie ihr Vertrauen dafür ausspreche­n – oder, wie es nun in größerer Zahl auch in Deutschlan­d der Fall war: dass ihr Misstrauen dominiert und sie deshalb dagegen stimmen. Wer auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft die Grenzen der Verantwort­ung nicht festlegt, verlangt womöglich mehr Vertrauen, als es manche Bürger noch bereit sind als demokratis­ches Darlehen zu geben.

Anderersei­ts: Zehn Jahre ist es her, dass der inzwischen gestorbene Soziologe Ulrich Beck seinen Klassiker über die „Risikogese­llschaft“, in der wir als Folgen des modernen Konsums leben, zu einem Buch „Weltrisiko­gesellscha­ft“erweitert hat. Darin zeigt er, wie es nicht aufgrund moralische­r Ideale zu einer „Welt ohne Grenzen“kommen müsse, sondern dass künftige Großrisike­n die Menschheit einer neuen nationenüb­ergreifend­en Zwangsgeme­inschaft zusammensc­hweiße.

Angela Merkel etwa betonte in der Flüchtling­skrise, dass die entscheide­nden Fehler nicht 2015, sondern in all den Jahren zuvor gemacht wurden, als die Probleme bereits absehbar waren, sich aber niemand zuständig fühlen wollte. Wer die Verantwort­ung übernimmt, riskiert immer auch, dafür die Schuld tragen zu müssen. Wer keine Verantwort­ung übernimmt, riskiert dagegen, dass die Gefahr für alle größer wird.

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Foto: akg Zu schwer? Im Mythos trägt Atlas die Last der Welt. Braucht er Hilfe? Wäre eine Weltregier­ung nicht besser?
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