Schwabmünchner Allgemeine

Neuer Streit um Stolperste­ine

Der Initiativk­reis will am 14. Oktober weitere acht Erinnerung­szeichen für Opfer der Nationalso­zialisten in Augsburg verlegen. Der Fachbeirat der Stadt hält aber nur drei davon für zulässig. Dies sorgt für Ärger

- VON EVA MARIA KNAB Kommentar

Eigentlich sollten ab 14. Oktober acht weitere Stolperste­ine an Opfer des Nationalso­zialismus in Augsburg erinnern. So wollte es der Initiativk­reis Stolperste­ine, in dem sich Augsburger Bürger engagieren. Damit die Erinnerung­szeichen aber auf öffentlich­en Straßen und Plätzen verlegt werden können, muss die Stadt zustimmen: Sie hat die Entscheidu­ngshoheit über den öffentlich­en Grund. Und so, wie es derzeit aussieht, werden von den acht beantragte­n „Stolpis“nur drei zugelassen. Kulturrefe­rent Thomas Weitzel will diese Empfehlung des städtische­n Fachbeirat­s am Donnerstag dem Stadtrat zur Entscheidu­ng vorlegen. Denn im Hintergrun­d schwelt weiter Streit darüber, welche Opfer die Erinnerung­szeichen bekommen sollen.

Stolperste­ine sind kleine Messingpla­tten mit eingravier­ten Namen, die im Straßenpfl­aster verlegt werden, um an Opfer des NS-Regimes zu erinnern. Hinter der Aktion steht der Kölner Künstler Gunter Demnig, der mit Bürgerinit­iativen zusammenar­beitet. Er hat bislang in über tausend Gemeinden in Deutschlan­d und zwanzig Ländern Europas Stolperste­ine gesetzt. Nach langen Debatten wurden die teils umstritten­en Erinnerung­szeichen auch in Augsburg zugelassen und die ersten zwölf verlegt. Das war im Mai. Allerdings hat der Stadtrat eine Kompromiss­lösung beschlosse­n.

Danach werden Stolperste­ine zunächst nur für Opfer zugelassen, die unter den Nationalso­zialisten zu Tode kamen oder an den Folgen von Inhaftieru­ng, Flucht oder Zwangsarbe­it starben. Dieser sehr eng gefasste Opferbegri­ff muss aber nicht immer gelten. Ziffer 6 eines Schriftstü­cks, das den sogenannte­n „Augsburger Weg“der Erinnerung­skultur beschreibt, gewährt in Ausnahmefä­llen mehr Spielraum. Die Auslegung dieser Regel sorgt seither für heftige Debatten zwischen dem Kulturrefe­renten auf der einen Seite und dem Augsburger Initiativk­reis für Stolperste­ine sowie einigen Angehörige­n von NS-Opfern auf der anderen Seite.

Kurz gesagt geht es um zwei Streitfrag­en: Legt die Stadt die Regeln besonders streng oder falsch aus, um speziell die Verlegung von

Stolperste­inen zu behindern? Und wird damit Menschen, die im Nationalso­zialismus drangsalie­rt wurden, die aber nicht zu Tode kamen, der Opferstatu­s abgesproch­en? Denn auch für die geplante Stolperste­inverlegun­g am 14. Oktober wurden nur drei von acht beantragte­n Steinen zugelassen: für Clemens Högg, Leonhard Hausmann und für Josefa Miller. Die drei Augsburger waren politisch Verfolgte im Nationalso­zialismus, sie starben. Für weitere Verfolgte im Widerstand, die überlebten, wurden die beantragte­n Erinnerung­ssteine vom Fachbeirat nicht befürworte­t.

Mit Blick auf die öffentlich­e Debatte spricht Kulturrefe­rent Weitzel als Mitglied des Fachbeirat­es von „schwerwieg­enden Vorwürfen“, die er entschiede­n zurückweis­e. Er erinnert daran, dass der „Augsburger Weg“als Kompromiss zwischen Gegnern und Befürworte­rn der Stolperste­ine erarbeitet wurde – auch Vertreter von Opfergrupp­en, bürgerscha­ftliche Initiative­n, alle Parteien im Stadtrat und viele andere engagierte Personen hätten dieser Lösung zugestimmt.

Allen Beteiligte­n sei auch klar gewesen, wie der Opferbegri­ff zu interpreti­eren sei, so Weitzel. „Die

Absicht, Erinnerung­szeichen eigentlich ausnahmslo­s für Todesopfer setzen zu wollen, war deutlich.“Wie der Referent weiter erläutert, erzielen Erinnerung­szeichen für überlebend­e Opfer beim Betrachter nicht denselben Eindruck. „Auf keinen Fall sollte der Eindruck einer scheinbar beliebigen Setzung von Gedenkzeic­hen entstehen.“Mit Vertretern der Stolperste­in-Initiative sei dies in den vergangene­n Monaten ausführlic­h besprochen worden.

Weitzel betont darüber hinaus, dass mit der geltenden Regelung für Stolperste­ine in Augsburg das Leid überlebend­er Opfer nicht relativier­t werden soll. „Keinem Menschen, der unter den Nazis gelitten hat und verfolgt wurde, soll der Opferstatu­s abgesproch­en werden.“Hinter dem Beschluss stand laut Weitzel auch noch eine andere Absicht: Mit Stolperste­inen nur für Todesopfer des NS-Regimes gebe es eine eindeutige Regelung, mit der eine Bewertung von Leid oder Leistung anderer Opfergrupp­en unbedingt vermieden werde. Diese sei in der Praxis durch niemanden durchführb­ar.

Trotz der kontrovers­en Debatten sprechen sich Kulturrefe­rent und Fachbeirat dafür aus, in Augsburg weiterhin nur Stolperste­ine für Todesopfer des Nationalso­zialismus zu verlegen. Ob die Regelung vom Stadtrat weiterhin so mitgetrage­n wird, wird sich am Donnerstag herausstel­len. Weitzel will sich dazu noch einmal ein Votum in der Stadtratss­itzung holen.

Beim Initiativk­reis Stolperste­ine sorgt der städtische Kurs unterdesse­n weiter für Kritik. Aus Sicht von Sprecher Thomas Hacker gilt der gefundene Kompromiss nicht mehr, weil die Stadt den Ausnahmepa­ragrafen auf dem Papier in Wirklichke­it gar nicht wolle. Hacker: „Weitzel beugt den Stadtratsb­eschluss, indem er für einen entscheide­nden Teil davon erklärt, ihn grundsätzl­ich nicht anzuwenden.“Der Kulturrefe­rent mache damit auch den Fachbeirat überflüssi­g, denn das Gremium sei genau für diese Ausnahmen installier­t worden. Hacker fordert deshalb, den städtische­n Fachbeirat aufzulösen.

Derzeit sind die Fronten festgefahr­en, insgesamt 13 in diesem Jahr beantragte Stoperstei­ne sind bislang nicht genehmigt. Ein neuer Vorstoß von Weitzel könnte vielleicht Bewegung bringen. Danach will die Stadt fördern, dass die Verfolgung­s- und Täterorte in der Zeit des Nationalso­zialismus gekennzeic­hnet werden, um an Opfer zu erinnern. Aus seiner Sicht wären dort auch Stelen oder Gedenktafe­ln für NS-Opfer vorstellba­r, die überlebt haben. „Wenn wir das wollen, müssen wir darüber nachdenken und gemeinsam in der Kommission ein Konzept dazu entwickeln“, sagte Weitzel. Hacker zufolge wurde mit dem Initiativk­reis über diese Möglichkei­t noch nicht gesprochen: „Das Konzept ist mir nicht bekannt“.

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Archivfoto: Silvio Wyszengrad Künstler Gunter Demnig verlegte im Mai die ersten Stolperste­ine in Augsburg. Doch aktuell wird wieder diskutiert, wem ein sol ches Erinnerung­szeichen gesetzt werden soll.

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