Dieser „halbe Mann“wird ausgezeichnet
Florian Sitzmann sitzt seit einem schweren Unfall im Rollstuhl und nimmt das Schicksal mit Humor. Er erzählt kuriose Geschichten vom Autokino und spricht über das Thema Inklusion. Jetzt wird er in Innsbruck geehrt
Zum zweiten Mal innerhalb von eineinhalb Jahre kam der Frankfurter Autor Florian Sitzmann für eine Lesung nach Königsbrunn. Nicht, weil sein drittes Buch erschienen ist – obwohl das Manuskript fertig in der Schublade liegt – sondern weil er ein ganz persönliches Anliegen, ja geradezu eine Mission hat. Florin Sitzmann setzt sich für Inklusion ein und für ein ungezwungenes Miteinander von Menschen mit und ohne Handicap.
Vor 25 Jahren verlor Sitzmann bei einem Unfall beide Beine und sitzt seitdem im Rollstuhl. „Vorher war ich 2,04 Meter groß, anschließend nur noch einen Meter – ein halber Mann“, erzählt Sitzmann den Zuhörern im Spiegelsaal. „Und ja, Sitzmann ist mein echter Name.“In den Autobiografien „Der halbe Mann – Dem Leben Beine machen“und „Bloß keine halben Sachen – Deutschland ein Rollstuhlmärchen“erzählt Sitzmann von dem Tag des Unfalls, bei dem er beide Beine verlor und von seinem Leben danach als „halber Mann“. Sitzmann spricht ungezwungen über die Folgen.
Er beschönigt nichts und oft nimmt er es mit Humor, wenn Mitmenschen ihr Bild von Behinderten nicht mit Sitzmanns Auftreten übereinbringen. Beispielsweise, wenn er mit seinem Sportwagen auf einem Behindertenparkplatz hält. Dann erntet Sitzmann „tödliche“Blicke oder wird von den Mitmenschen be- lehrt, dass er dort nicht stehen darf. Sie können sich nicht vorstellen, dass auch ein behinderter Mensch Spaß an schnellen Autos haben kann. Oder die kuriose Geschichte, wenn Sitzmann mit seinem Freund René ins Autokino fährt. René ist querschnittsgelähmt. Die Begleitperson eines behinderten Besuchers braucht keinen Eintritt zu bezahlen, klärte sie der Mann an der Kasse auf. Wer von den beiden muss dann nun bezahlen und wer ist frei? Und seitdem Sitzmann das mit der Begleitperson weiß, lädt er seine Tochter gerne ins Autokino ein, witzelt der Autor.
Durch seine offene und humorvolle Art über körperliche Behinderungen zu sprechen, nimmt Sitz- mann den Besuchern die Scheu, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Die Besucher fragen ihn zu Tiefpunkten in seinem Leben und seiner Begegnung mit dem Lastwagenfahrer, der damals über seine Beine fuhr. Der Fahrer habe 19 Jahre lang geglaubt, Sitzmann sei bei dem Unfall ums Leben gekommen, berichtet der Autor. Erst aus dem Fernsehen habe er die wahre Geschichte erfahren. Und Sitzmann sagt heute auch: „Ich will mit niemanden tauschen.“
Die Frage nach dem Warum oder „hätte, wäre, wenn“würde an der Situation nichts ändern. Der 40-Jährige mag sein Leben, so wie es ist. Er ist glücklich mit seiner Frau, seinen drei Kinder und dem Alltag – meistens als Hausmann. „Es müsste noch mehr Typen wie mich geben, die rausgehen und erzählen, wie lebenswert das Leben auch mit Behinderung ist.“
Am 17. November erhält Sitzmann in Innsbruck den Life Award. Der Life Award versteht sich als Botschafter für Barrierefreiheit. Dass er den Preis dieses Jahr erhalte, mache ihn stolz, so Sitzmann. Bei seinen Auftritten sei nichts gespielt, alles sei echt, „und jetzt werde ich für meine Echtheit geehrt“. In den vergangenen 25 Jahren seit seinem Unfall habe sich in Sachen Barrierefreiheit viel getan. Wo es dem Autor zu langsam geht, ist in den Köpfen der Leute. Er lacht die Menschen gerne an, denn wer auf sein lachendes Gesicht schaut, schaut nicht mehr auf die fehlenden Beine. Und er sagt auch: „Jeder bekommt nur den Rucksack auf den Rücken, den er auch tragen kann.“
Bei den Besuchern kam Sitzmann gut an. Jürgen Müller ist beeindruckt, wie Sitzmann sein Leben meistert und er hat von dessen humorvoller Vortragsweise schon gehört. „Und das hat sich voll bestätigt“, sagte Müller im Anschluss. Angelika Franke mag Lesungen und diese sei für etwas ganz Besonderes: „Nach einem Unfall fällt man in viele Löcher, toll wie Sitzmann das Leben meistert. Aber wer resigniert, hat schon verloren.“
„Jeder bekommt nur den Rucksack auf den Rücken, den er auch tragen kann.“Florian Sitzmann