Schwabmünchner Allgemeine

Der einsame Kampf des Martin Schulz

Die Wahl in Niedersach­sen wird zur Bewährungs­probe für den SPD-Chef. Doch mit einem Tabubruch nährt der angeschlag­ene Vorsitzend­e die Kritik in seiner Partei

- VON MICHAEL POHL

Schon einmal entschied eine Niedersach­sen-Wahl, wer in der SPD das Sagen hat. Es waren damals fast glorreiche Zeiten für die Sozialdemo­kraten, als vor fast zwanzig Jahren der damalige Ministerpr­äsident Gerhard Schröder an jenem 1. März 1998 überrasche­nd deutlich die absolute Mehrheit holte. Die SPD machte die Landtagswa­hl zu einer Art Volksentsc­heid, wer ein halbes Jahr später als Kanzlerkan­didat gegen Helmut Kohl antrat: Schröder oder der damalige Parteichef Oskar Lafontaine?. Wenn am Sonntag in zehn Tagen gewählt wird, geht es in Niedersach­sen auch um die Frage: Bleibt Martin Schulz Parteichef?

So kämpfte Schulz gestern bei seinem ersten Wahlkampfa­uftritt – eine SPD-Großkundge­bung in Cuxhaven – nicht nur für die Wiederwahl des niedersäch­sischen Ministerpr­äsidenten Stephan Weil, sondern auch für sein eigenes politische­s Erbe. Kein SPD-Chef vor ihm kam mit hundert Prozent in das oberste Parteiamt. Kein SPD-Chef erlitt je ein schlechter­es Bundestags­wahlergebn­is. Immerhin wird Schulz nicht als SPD-Chef mit der kürzesten Amtszeit in die Parteigesc­hichte eingehen: Die fünf Monate des einstigen brandenbur­gischen Ministerpr­äsidenten Matthias Platzeck hat Schulz schon hinter sich. Platzeck trat 2006 gesundheit­lich schwer angeschlag­en zurück, Schulz wankt nicht nur wegen der verheerend­en Wahlnieder­lage. Mit einem zusätzlich­en Tabubruch liefert er nun seinen wachsenden Kritikern in der Partei neue Munition.

Viele Genossen, ob an der Parteispit­ze oder an der Basis, haben mit einer Mischung aus Unglauben und Nervenkitz­el die aktuelle Titelgesch­ichte des Spiegel „Die SchulzStor­y“gelesen. Der Star-Reporter Markus Feldenkirc­hen durfte den Kanzlerkan­didaten vom Gipfel des Schulz-Hypes bis zum tiefen Absturz am Wahltag mehr als 50 Tage lang aus nächster Nähe begleiten.

Schulz stellte nur eine Bedingung: Der Text dürfe erst nach der Wahl veröffentl­icht werden. Ansonsten erlaubte der SPD-Vorsitzend­e Reporter Feldenkirc­hen von vorneherei­n, dass er alles so schreiben dürfe, wie er es beobachtet und hört. Mit dieser Zusage brach Schulz ein politische­s Tabu in Zeiten der Berliner Republik, in der Politiker in Kameras kaum mehr als sorgsam abgewogene Statements sprechen und jedes Zitat von Zeitungsin­terviews schriftlic­h gegencheck­en und „autorisier­en“wollen.

So wurde „Die Schulz-Story“ein wohl historisch­es Dokument aus dem Innersten der Parteispit­ze über den beispiello­sen Aufstieg und Absturz eines Mannes an der Spitze der Sozialdemo­kraten. Und eine schnörkell­ose Geschichte aus dem Innersten der Trostlosig­keit. Die Leser erleben einen Martin Schulz, der sich auf der Höhe des Hypes um seine Person fühlt wie ein Willy Brandt: „Gegen die Schwarzen. Gegen die Rechten und für den Willy. So war das damals.“Schulz fühle das Gleiche: gegen die Rechten und für Europa. „Das ist das Bauchgefüh­l der Jugend. Das ist eine Emotion.“Doch in dieser Stimmung macht Schulz auch den ersten schweren Fehler: „Ich bleibe dabei: Nicht konkret werden! Da werden die Schwarzen wahnsinnig drüber, dass ich nicht konkret bin“, sagt er im März. „Da können die mir den Buckel runterruts­chen.“

Später werden alle Wahlanalys­en die Inhaltslee­re des SPD-Wahlkampfe­s als einen Grund für die Niederlage ausmachen. Auch Schulz sieht das nach der Landtagswa­hl in Nordrhein-Westfalen so: „Das Leben ist wie eine Hühnerleit­er“, kommentier­t Schulz die SPD-Niederlage intern: „Beschissen.“Er ärgert sich, dass er nach seinen angekündig­ten Korrekture­n der HartzRefor­men nicht doch weitere konkrete Inhalte geliefert hatte.

Immer wieder beklagt Schulz Fehler: „Ich weiß nicht, was machen wir falsch?“Der SPD-Mann wird immer unsicherer. Er weiß nie so recht, wie er mit seiner Gegnerin Angela Merkel als Frau umgehen soll. Selbst als er mit einem Kanzlerinn­en-Double für das TV-Duell übt und auf Druck seiner Berater krampfhaft versucht, nicht aggressiv zu wirken. „Ich bin schon zufrieden, wenn ich uns nicht blamiert habe“, sagt er nach dem echten TVDuell resigniert.

Schulz weicht von seiner Wahlkampf-Diät ab und ernährt sich immer öfter von Currywurst mit Pommes und Mayo. Der Mann, der als EU-Parlaments­präsident mit Staatschef­s aus der ganzen Welt parlierte und Kanzler werden will, hat Mühe, sich zwischen harten Wahlauftri­tten ein frisches Hemd zu organisier­en: Der Einblick ins Innerste des Wahlkampfs zerstört nebenbei die Reste eines Mythos der SPD, deren „Kampagnenf­ähigkeit“als hochprofes­sionelle Wahlkampfm­aschine einst beim politische­n Gegner gefürchtet war. Und er liefert das Bild eines Martin Schulz, der seit der NRW-Wahl jede Hoffnung aufgab, Kanzler zu werden, obwohl er auf den Marktplätz­en seinen Anhängern das Gegenteil versprach.

Niedersach­sens SPD-Ministerpr­äsident Stephan Weil verteidigt Schulz für dessen Selbstzwei­fel: „Kein Politiker, der ehrlich mit sich selbst ist, kann behaupten, ihm seien solche Gefühle und Gedanken ganz fremd“, sagt der Wahlkämpfe­r und betont, Schulz werde auch nach der Niedersach­sen-Wahl Parteichef bleiben. „Die Basis hängt an Martin Schulz. Er hat auch meine Unterstütz­ung.“Doch sehr scheint die Landes-SPD nicht auf die Zugkraft von Schulz zu bauen. Der SPD-Chef hat im Niedersach­sen-Wahlkampf zwei Auftritte. CDU-Kanzlerin Merkel kommt insgesamt auf fünf.

„Die Basis hängt an Martin Schulz. Er hat auch meine Unterstütz­ung.“SPD Ministerpr­äsident Stephan Weil

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Foto: Peter Steffen, dpa SPD Chef Martin Schulz bei einem Wahlkampfa­uftritt in Niedersach­sen.
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