Schwabmünchner Allgemeine

Auf diesen Säulen soll die Koalition stehen

Auf dem Weg nach Jamaika gibt es viele Hinderniss­e. Darum kommt es auf vier Politiker besonders an

- VON MARTIN FERBER

Alles beginnt am 15. Februar 2014 in Aachen. Christian Lindner, Chef einer Partei, die fünf Monate zuvor aus dem Bundestag herausgefl­ogen ist, wird im Karneval mit dem Orden wider den tierischen Ernst ausgezeich­net. Und die Laudatio auf ihn hält ausgerechn­et ein Vertreter der ärgsten Widersache­r der Liberalen – ein Grüner. Doch Parteichef Cem Özdemir widersteht trotz Narrenkapp­e auf dem Kopf der Versuchung, im Augenblick des Triumphes eimerweise Hohn und Spott auf die ohnehin gedemütigt­e FDP zu gießen, stattdesse­n lobt er Lindners „scharfen Verstand“und seinen „mutigen Optimismus“und prophezeit, er sei sich ganz sicher, dass Lindner die Liberalen „früher oder später“in den Bundestag zurückführ­en werde.

Das ist der Beginn einer besonderen Beziehung, wie sie unter Politikern verschiede­ner Parteien selten und ungewöhnli­ch ist. Seit diesem Tag duzen sich Christian Lindner und Cem Özdemir, auch öffentlich, und machen aus ihrer persönlich­en Sympathie füreinande­r keinen Hehl, sie verabreden sich regelmäßig zu Gesprächen und wissen somit ziemlich genau, wie der jeweils andere tickt, wo er steht und wie die Gemengelag­e in ihren Parteien ist.

Nun steht die Männerfreu­ndschaft vor einer neuen Herausford­erung – der 51-jährige Özdemir und der 13 Jahre jüngere Lindner müssen ihre Parteien in schwierige Koalitions­verhandlun­gen führen und sie auf dem langen Weg zu einer Jamaika-Koalition aus CDU, CSU, FDP und Grünen mitnehmen. Kein leichtes Unterfange­n, in beiden Parteien sind die Widerständ­e groß. Umgekehrt aber schadet es auch nicht, dass sich die Chefs der beiden kleinen Parteien gut verstehen, respektier­en, achten und schätzen sowie bereit sind, auf die Befindlich­keiten des Gegenübers Rücksicht zu nehmen. Denn ohne sie geht es nicht, mehr noch, Christian Lindner und Cem Özdemir werden zusammen mit CDU-Bundeskanz­lerin Angela Merkel und dem bayerische­n Innenminis­ter Joachim Herrmann von der CSU, der nach dem Willen seines Parteichef­s Horst Seehofer in jedem Fall ins Bundeskabi­nett wechseln wird, auch wenn er kein Bundestags­mandat hat, die tragenden Säulen der ungewöhnli­chen und äußerst labilen Koalition aus Schwarzen, Gelben und Grünen bilden.

Um dem fragilen Konstrukt Stabilität zu verleihen, gilt es in Berlin als ausgemacht, dass diese vier auch im Kabinett eine herausrage­nde Rolle spielen und sogenannte Querschnit­tsressorts übernehmen werden – auch wenn alle Beteiligte­n beteuern, dass es noch gar keine Personalen­tscheidung­en gibt und die Ressortver­teilung am Ende der Koalitions­verhandlun­gen steht. Doch die Grundkonto­ren des Jamaika-Kabinetts zeichnen sich bereits ab: Angela Merkel ist als Kanzlerin gesetzt, Joachim Herrmann könnte wahlweise das Innenresso­rt übernehmen oder an die Spitze des Verteidigu­ngsministe­riums wechseln, das mit der Zuständigk­eit für den Heimatschu­tz aufgewerte­t wird. FDP-Chef Christian Lindner erhält das Finanzmini­sterium. Und Grünen-Chef

Cem Özdemir wird Außenminis­ter.

Auffällig: Sowohl Christ- wie Freidemokr­aten als auch Grüne äußern sich in diesen Tagen äußerst positiv über Joachim Herrmann, der zwar als überzeugte­r Law-and-Order-Politiker, aber im persönlich­en Umgang als freundlich, verlässlic­h und verbindlic­h gilt und seit der Wahl mit überaus moderaten Tönen auffällt. „Mit Herrmann kann man über alles reden“, heißt es in der CDU, „er steht zu seinem Wort“. Aber hat sein Wort überhaupt Gewicht?

Weniger schmeichel­haft fällt dagegen das Urteil bei den zukünftige­n Koalitionä­ren über Parteichef Horst Seehofer und den neuen CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt aus. Seehofer sei nach der Wahl schwer angeschlag­en und noch unberechen­barer als früher, Dobrindt sei ein „Scharfmach­er“, heißt es in Berlin. So haben die Liberalen bis heute nicht vergessen, dass sie der frühere CSU-Generalsek­retär einmal als „Gurkentrup­pe“bezeichnet hat. Mit Spannung blickt man in Berlin daher auf den Sonntag: Dann treffen sich CDU-Chefin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer, um erst einmal eine gemeinsame Linie der beiden Schwesterp­arteien zu finden.

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